Bragi Thór Hinriksson, Foto: Susanne Birck

Gala und Preisverteilung der 58. Nordischen Filmtage Lübeck

Mit einer rappelvollen und gut gelaunten Filmgala gingen am Samstagabend im Theater Lübeck die 58. Nordischen Filmtage zu Ende. Was war los? Wer gewann die Preise?

Auf dem roten Teppich: Zum Einstieg eine Überraschung. Die festlich gekleideten Gäste der Gala wurden von einer Delegation von Verdi-Kollegen empfangen, die mit einer Flugblattaktion auf einen drohenden drastischen Personalabbau bei den Lübecker Nachrichten (wichtigster Medienpartner neben NDR und „unser-Luebeck.de“ bei den NFL) aufmerksam machten. Ansonsten wurden wieder die üblichen Verdächtigen aus Lübecks Wirtschaft, Politik und Kultur gesichtet. Dazu kam aber auch eine illustre Schar an Filmschaffenden aus den teilnehmenden Ländern, wie Baltasar Kormákur, Islands wichtigster Regisseur und Schauspieler, der gleich zwei hervorragende Arbeiten am Start hatte (Der Eid im Spielfilm-Wettbewerb und Trapped, eine neue Krimiserie für das Fernsehen). Besonders auffällig die estnische Schauspielerin und Hauptdarstellerin Tiina Mälberg aus der wunderbaren Crime-Komödie Mutter mit ihren feuerroten Haaren oder die beiden gut gelaunten finnischen Schauspieler Jarkko Lahti und Eero Milonoff aus der Boxer-Liebes-Geschichte Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki. Cool und keineswegs abgehoben kam auch der Jungregisseur Gudmundur Arnar Gudmundsson aus Island daher, der lässig und mit wallenden Haaren seinen hervorragenden Jugendfilm Herzstein in den Filmtagen präsentiert hatte.

 Yared Dibaba und die Sitzplatz-Tombola, Foto: Susanne BirckYared Dibaba und die Sitzplatz-Tombola, Foto: Susanne Birck

Die Sitzplatz-Tombola: Ein neues Vergabesystem der Sitzplätze im Theatersaal der sympathischen Art sorgte für Erstaunen, viele Lacher und ein neues Kennenlernen der Besucher. Jeder Besucher mit Einladung wurde zur Tombola gebeten, um sich seinen persönlichen Sitzplatz selbst zu ziehen. Später im Saal wurde man dann von Moderator Yared Dibaba aufgefordert, sich mit seinen unbekannten Sitznachbarn bekannt zu machen, was sofort zu regem Austausch und freundlichen Gesprächen führte. Dieses System ist nicht nur symphatisch, sondern fördert außerdem die familiäre Atmosphäre und Kommunikation und sollte unbedingt zukünftig beibehalten werden.

Die Show und ihr Moderator:
Zunächst staunte der Besucher, denn die Bühne war gänzlich leer und zeigte nur alte Requisiten im Hintergrund. Moderator Yared Dibaba erschien ohne Mikrophon und erklärte die Situation mit Einsparungsnotwendigkeiten. Gekonnt und launig führte der NDR-Mann, wie bereits in den letzten vier Jahren, durch den Abend und hatte mit seiner lockeren und charmanten Art die Gäste sofort auf seiner Seite. Seine Improvisationsfähigkeit und sein Yared Dibaba, Foto: Susanne BirckYared Dibaba, Foto: Susanne BirckHumor, der auch auf seine eigenen Kosten gehen darf, beeindrucken jedes Jahr auf´s Neue. Als er plötzlich im Dunkeln steht, scherzt er: „Schwarzer Mann auf schwarzer Bühne, noch schlimmer geht nicht!“ Oder den Satz „Wir sind noch nicht durch mit den Finnen“ übersetzt er mit „We are not finished with the Finnish“ – ziemlich platt, aber trotzdem ein Kracher. In Deutsch, Englisch und Platt führte er diesmal rasant durch das Programm – was er mir später in einem persönlichen Gespräch erklärte: „Die Organisatoren wünschen eine zügige Abwicklung der Gala.“ Am Ende der Show glänzte er auch mal wieder mit einer musikalischen Einlage, als er mit dem norwegischen Rapper, der auf Samisch singt (Nils Rune Utzi, alias Slin Craze aus Arctic Superstar), auf Platt rappt. Als weitere Showeinlage gab die finnische Schauspielerin Oona Airola mit dem Gitarristen Tuomas Asanti eine finnisch gesungene Version eines James-Bond-Liedes zum Besten, die zwar kein Mensch verstand, die sie aber lustigerweise „Ilse-Werner-mäßig“ pfeifend untermalte.

Die Preisverteilung und die Gewinner: Zum Einstieg wird jedes Jahr zunächst die Kinder-Jury, die für die Vergabe des besten Kinderfilms zuständig ist, auf die Bühne geholt. Lässig und keineswegs nervös absolvierten Lars Hartwig (11 Jahre), Niels Langnäse (11 Jahre), Constantin Tietz (11 Jahre) und Hannah Tietz (12 Jahre) ihren Job, in dem sie sich erst überhaupt nicht einigen konnten. Nach langen Diskussionen („zwischen einer und eineinhalber Stunde“) entschieden sie sich für Gilberts grausame Rache der norwegischen Regisseurin Hanne Larsen, eine herrlich unkorrekte Komödie um den Eiallergiker Gilbert, der gegen eine fiese Hühnerfreundin ankämpft.

Hanne Larsen (links, Gilberts grausame Rache), Foto: Susanne BirckHanne Larsen (links, Gilberts grausame Rache), Foto: Susanne Birck

Als bester Kinder- und Jugendfilm (5.000 Euro) wurde der Film Ich bin hier (Mellow Mud), eine stark gespielte Coming-of-age-Story von Renars Vimba aus Lettland, geehrt.

Dann wurden die beiden finnischen Schauspieler Jarkko Lahti und Eero Milonoff (Boxer und Manager des Streifens Der glücklichste Tag des Olli Mäki) als Laudatoren auf die Bühne gebeten. Sie vergaben den Dokumentarfilmpreis (2.500 Euro von den Lübecker Gewerkschaften) an den norwegischen Streifen Die Überfahrt von George Kurian sowie den CineStar-Preis für den besten Kurzfilm (3.000 Euro) an Pauls Boot vom deutschen Regisseur Cyprien Clément-Delmas.

George Kurian (Die Überfahrt), Foto: S. BirckGeorge Kurian (Die Überfahrt), Foto: S. BirckWeiter ging es mit den Spielfilmpreisen. Als Laudatoren wirkten die beiden Schauspieler Filip Berg (Schweden) und Justas Valinskas (Der Mann, der 75 Sprachen sprach). Der Kirchliche Filmpreis Interfilm (2.500 Euro) ging an den diesjährigen Eröffnungsfilm Rosemari aus Norwegen von Sarah Johnsen, der hauptsächlich durch seine erst 16-jährige Hauptdarstellerin Ruby Dagnall glänzen konnte.

Den gewichtigsten Filmpreis (kilo-mäßig), den Baltischen Filmpreis (undotiert), erhielten dann die Finnen selbst. Ziemlich überraschend mussten Jarkko Lahti und Eero Milonoff erneut auf die Bühne, um sich für ihre Boxer-Liebes-Geschichte Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki das dicke Ding abzuholen. Der Schwarz-Weiß-Film kommt als semi-dokumentarischer Boxerfilm daher, erzählt aber eigentlich eine wunderbare kleine Liebesgeschichte.

Dann wurde der älteste Filmpreis der Filmtage, der LN-Publikumspreis (5.000 Euro), den es bereits seit 1979 gibt, vergeben. Weit über 4.000 abgegebene Stimmkarten wählten das Jugendsozialdrama Der Tag wird kommen aus Dänemark von Jesper W. Nielsen zum Gewinner. Es beschreibt in kaum erträglicher Weise die „schwarze Pädagogik“ in dänischen Kinderheimen in den 60er Jahren, zu deren Opfern die beiden Jungen Elmer und Erik werden, als ihre Mutter schwer erkrankt. Ein böser, aber wichtiger Film.

Inger Nilsson und Helene Grass, Foto: Susanne BirckInger Nilsson und Helene Grass, Foto: Susanne Birck

Am Ende dann strahlte der junge, symphatische isländische Film-Regisseur Gudmundur Arnar Gudmundsson, der den großen NDR-Preis (12.500 Euro) von den Jury-Mitgliedern Inger Nilsson (Pippi Langstrumpf) und Helene Grass überreicht bekam. Sein Jugenddrama Herzstein war auch mein persönlicher Favorit. Mit seinem Langfilm-Debüt entführt er die Zuschauer „eigenwillig, ruhig und intensiv an einen Ort am Ende der Welt, wo Teenager dabei sind, ihren Weg ins Leben und zu sich selbst zu finden“, wie die Spielfilm-Jury in ihrem Urteil befand. In dem anrührenden Film versuchen Thor und Kristján (Baldur Einarsson und Blær Hinriksson), ihre Freundschaft gegen alle Widrigkeiten zu erhalten, auch wenn Erwachsene, Mobbing durch Gleichaltrige und die Suche nach der eigenen Sexualität und eventuelle Homosexualität im Wege stehen.

Gudmundur Arnar Gudmunsson aus Island (Herzstein), Foto: Susanne BirckGudmundur Arnar Gudmunsson aus Island (Herzstein), Foto: Susanne Birck

Gudmundsson erwies sich auch im persönlichen Gespräch als äußerst bescheiden und freundlich. Er erzählt, dass ihn der Preis natürlich erst mal sehr überrascht habe, er das Preisgeld (das ich persönlich für ziemlich mickrig halte!) aber sehr gut gebrauchen könne, denn der Film habe ihn und seinen Produzenten sein letztes Eigenkapital gekostet. Jetzt erhoffen sie sich natürlich Aufschwung und Anerkennung durch den Preis, damit der Film auch in Deutschland hoffentlich bald in die Kinos kommen könnte. Noch haben sie nämlich keinen Abnehmer in Europa gefunden.

Was war sonst noch? Das anschließende Buffet war nicht wie im letzten Jahr rein vegetarisch, was doch zu ziemlich langen Gesichtern bei den skandinavischen Gästen geführt hatte. Die Fischliebhaber aus dem Norden kamen wieder zu ihrem Recht und konnten neben allerlei Gemüse und anderen Leckereien auch wieder Muschel, Hering und Rollmops zu sich nehmen. Dazu flossen wie üblich Wein, Bier und andere geistige Getränke in Mengen. Der Besuch auf dem Raucher-Balkon im Theater war wieder ein Geheim-Tipp und führte zu vielen tief-schürfenden Gesprächen. Galerist Gaulin konnte von mir bei einem „Fast-Treppen-Sturz“ noch gerade abgefangen werden, und ein Abend ohne schwere Kamera-Tasche im Dauer-Einsatz ist auch mal ein Genuss und fördert die Gesprächsmöglichkeiten mit den vielen interessanten Filmgästen, findet Holger Kistenmacher.


Fotos: (c) Susanne Birck


Fotos: Wolf-Dietrich Turné

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

Kommentare  

# toller Text, superschöne Bilder!Kirstin Hartung (07.11.2016, 19:03)
Danke für den gelungenen Einblick in diese wichtige Veranstaltung!

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