Wieder einmal gibt es eine Zusammenarbeit in Sachen moderner Gegenwartskunst zwischen dem Lübecker Kunstverein, der Overbeck-Gesellschaft und der Lübecker Kunstkirche St. Petri. Unter dem Titel: „Vom Himmel gefallen“ hat die Kuratorin Paula Kommoss insgesamt sieben Künstler und Künstlerinnen eingeladen, aktuelle Werke zum Thema sowohl in den Räumlichkeiten der Overbeck-Gesellschaft, in dem Pavillon im Garten des Behnhauses wie auch im großen Kirchenraum von St. Petri zu präsentieren.
Im Zentrum der Ausstellung in der Petri-Kirche steht eine große Leinwand vor dem Altarraum, auf der der 20-minütige Film der deutsch-iranischen Künstlerin Yalda Afsah (1983) gezeigt wird. Man sieht Männer, die in den Himmel starren, wo hoch über ihnen ein Schwarm Tauben kreist. Plötzlich scheren einzelne der Vögel aus, drehen sich mit ausgebreiteten Flügeln rückwärts und scheinen in kreisförmigen Bewegungen zu Boden zu stürzen. In Yalda Afsahs Filmarbeit wird diese seltsame Choreografie dokumentiert. Dabei hat sie das berührende Zusammenspiel von domestizierten Brieftauben durch ihre Besitzer, den Mitgliedern des „Secret Society Roller Club“ aus Los Angeles gefilmt, die die gegenseitige Abhängigkeit und Fürsorge aufzeigen. Einerseits sind die Vögel frei und unabhängig in ihrem Flug, was sie durch die speziellen Eskapaden am Himmel beweisen, gleichzeitig scheinen sie gebunden an den Willen ihrer menschlichen Besitzer und Dompteure.
Kommt ein Vogel geflogen, Foto: Holger Kistenmacher
Daneben hängen an den Säulen des großen weißen Kirchenraumes mehrere Acryl-Malereien von der 1986 geborenen Konzept-Künstlerin Maximiliane Baumgartner. Die kreisrunden Malereien auf Alu Dibond-Scheiben von der Größe von Autoreifen zeigen Tauben und Pferde. Beides Tiergattungen, die eine bestimmte Rolle in der menschlichen Gesellschaft spielen. Die gemeine Straßentaube wird ja auch gerne als fliegende Ratte bezeichnet, weil ihr Kot überall für Schaden sorgt. Gleichzeitig gelten sie als Komplizen in der urbanen Stadt-Gesellschaft, weil sie außerordentlich anpassungsfähig sind, nachdem sie aus der Gefangenschaft beim Menschen in die Freiheit gelangten.
Besonders auffällig ist die niedliche Installation „Snow Owls Sanctuary“ von Gerrit Frohne-Brinkmann, gebürtig aus Friesoyte (1990). Dabei handelt es sich um einen Vogelschwarm von Schnee-Eulen, die scheinbar in einer weiß gekalkten Ecke der Kirche eine Rast eingelegt haben. Die stark gefährdete Vogelart aus kalten Regionen der Erde hat besonders durch ihre filmische Vermarktung zum Beispiel als Schnee-Eule Hedwig aus Harry Potter große Bekanntheit erlangt. Dadurch wird das Tier zum Fetisch und zur Projektionsfläche für Pop-Kultur. Die gezeigten Tiere sind natürlich nicht echt, sondern Computer-gesteuerte Mini-Roboter, die als niedliche Plüschtiere daher kommen. Teilweise drehen sie die Köpfe oder geben einen typischen Ruf von sich. Gerrit Frohne-Brinkmann gibt den Vögeln einen Platz in einer scheinbaren Auffangstation, einer Sanctuary, wo Wesen Zuflucht finden, die aus ihren natürlichen Zusammenhängen heraus gerissen wurden, um sie kommerziell zu nutzen, zum Beispiel als Film-Helden, wie die künstliche Eule bei Blade Runner.
Snow Owl Sanctuary von Gerrit Frohne-Brinkmann, Foto: Holger Kistenmacher
Daneben gibt es ein weiteres Video zu sehen, in dem die in Lübeck geborene Künstlerin Almut Linde den Übergang einer aktiven Fabrikhalle in eine Industriebrache dokumentiert. Es geht Almut Linde, die in ihrer Arbeit die Fabrikhallen der ehemaligen Lübecker Maschinenbau Gesellschaft (LMG) besucht hat, wo niemand mehr arbeitet, sondern Möwengeschrei zu hören ist und Taubenfedern herum liegen, um den Stillstand und das Ende von Arbeit. Es gibt keine geschäftigen Arbeiter mehr in den leeren Hallen. Vielmehr zeigt ihre Arbeit die Rückeroberung von Natur im urbanen Raum.
Aus Mauritius stammt der letzte Künstler, der in der Petri-Kirche ausstellt. Er heißt Hemansingh Lutchmun und lebt und arbeitet mittlerweile in Deutschland. Er zeigt kleine Ausschnitte von historischen Kupferstichen aus dem 17. Jahrhundert, die er von großen weißen Passepartouts überlagern lässt. Die nachgedruckten Kupferstiche dokumentieren eine Zeit, als niederländische Kolonisatoren nach Mauritius kamen und große Teile der dortigen Tier- und Vogelwelt ausrotteten, wie zum Beispiel den Dodo, einen großen Laufvogel oder auch die Riesenschildkröten, die sie als Nahrung auf ihre Schiffe brachten. Er will damit die Verletzlichkeit der Tierwelt, speziell der endemischen Tiere, die menschlichen Jägern zum Opfer fielen, dokumentieren.
Koloniale Gewalt gegen Tauben aus Mauritius - Hemansingh Lutchmun: Historische Kupferstiche im Ausschnitt, Foto: Holger Kistenmacher
Neben der Ausstellung in der Petri-Kirche kann man auch noch einer besondere Sound-Installation des neuseeländischen Künstlers Richard Frater aus Aotearoa (1984) lauschen, die in dem Pavillon der Kunstgesellschaft installiert wurde. Leinwände trennen die drei Räume des Ausstellungsraums, wo Klänge des Kaka zu hören sind, eine endemische Papageienart, die fast ausgerottet worden war, nun aber wieder in der Gegend von Aotearoa anzutreffen ist. In seinem „House of the Whistle“ treffen urbane Geräusche, elektrisches Brummen und tierische Stimmen aufeinander. Hinzu kommt der Gesang der Vögel aus dem Außenraum der wunderbaren Lübecker Gärten. Das Werk des Künstlers lenkt die Aufmerksamkeit auf diese parallelen Strukturen - einerseits eine gefährdete Spezies, die sich gerade wieder im urbanen Raum ausbreitet und ein menschlicher Lebensraum, der diesen fragilen Schutzraum wieder bedroht.
Fotos: (c) Holger Kistenmacher