Foto: (c) Thomas Schmitt

"CirQles I" im Museumsquartier St. Annen
Kommt in Bewegung, zieht eure Kreise!

Man kann die verschiedenen Stationen der Inszenierung „CirQles I“ als Unterhaltung genießen. Dann erfreut man sich an artistischen Darbietungen, anmutiger Tanzkunst, pointiertem Schauspiel, unerhörten Texten, unterschiedlichster Musik und origineller Kostümierung.

{banner_here}Man kann die intellektuelle Herausforderung des Stückes annehmen. Das beginnt mit dem Titel, CirQles: Ist das wohl eine Kombination aus Circles und Cirque? Wie passt die Ankündigung im Eingangsbereich dazu: Ihr kommt in Bewegung, ihr zieht eure Kreise, ihr fahrt zur Hölle ...? Dann, im Foyer, die bewegenden Rilke-Worte vom Leben in wachsenden Ringen und dem Kreisen um Gott. Bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang? Im Keller nimmt Sartres Entwurf der „Geschlossenen Gesellschaft“ in der Hölle Gestalt an: „Es fehlt der Folterknecht“ – so weit muss man erst mal kommen. Auch die als „Babel-Spirale“ betitelte Station im Kreuzhof schreit nach Interpretation: Ist es das (sprachlose) Rotieren gen Himmel, das den Menschen schließlich als Gefesselten zurücklässt?

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Man kann diesen genre-übergreifenden Theater-Akrobatik-Tanz-Musik-Abend auch als Projektionsfläche für Assoziationen verstehen, und das ist die vielleicht befriedigendste Variante. Will heißen: Man nimmt die Anspielungen auf die Funktionalität der ehemaligen Klosterbereiche wahr, verknüpft sie, wo man kann, mit religiös geprägten Reflexionen und erquickt sich an den künstlerischen Darbietungen. Nie vergessen sollte man dabei die kreisförmigen Fügungen als Motiv. Wie schon die Eingangswächter sagen: „Am Ende findet ihr euch draußen wieder – und wieder ein Anfang ...“

Kindlich-ernsthaft und von ungekünstelter Grazie schneiden zwei kleine Mädchen Kreise aus schwarzem und weißem Papier und tanzen auf der runden Fußbodenbegrenzung – sie schränkt sie nicht ein, sie toben sich aus. Doch schwarz-weiß, wie man Lebensentscheidungen wahrnehmen mag, folgt man den Choreografien des Erwachsenenlebens bis ins Inferno. Der Tänzer mit dem riesigen Reifen schaut mal dessen Bewegungen zu, gibt mal die Richtung vor, passt sich an oder nutzt sie als Hilfsmittel – dann, selten, doch immerhin möglich – reicht es zum Fliegen.

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Der Abstieg in die Hölle ist von einem wahrhaft wütenden Cerberus begleitet. „Halten Sie uns nicht auf!“, weist er den Fotografen zurecht, der kurz die faszinierten Gesichter der Zuschauer dokumentieren will, bevor sie nur zu bald Zeugen der tiefsten aller Kellerszenen werden. Das im Diesseits banal wirkende Zwinkern sehnt sich ein einsamer Joseph Garcin zurück: „Ein kleiner schwarzer Blitz, Vorhang zu, Vorhang auf“, doch jetzt, in der Hölle, ist er ohne Augenlider und somit selbst dieser kläglichen Möglichkeit beraubt, die Ewigkeit in Intervalle zu unterteilen. Die Hölle in den Untiefen des Klosters – ein frecher, ein gelungener Coup!

Sie haben sich, erklären die Produzenten vom Theater Combinale, inspirieren lassen „von Figuren aus den mittelalterlichen Altären und ihren möglichen Geschichten“.

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Auf die Hölle folgt ein Traum in Weiß. Traum? Die Bewegungen der drei grandiosen Tänzerinnen haben etwas Mechanisches, aufgezogenen Puppen gleich. Doch im nächsten Moment erinnern ihre Figuren an Organisches – Pflanzen, Tiere. Die transparenten Reifröcke, die sich als fantastisch-wandelbar erweisen, referenzieren die extravaganten Modeschöpfungen, die gerade im St.-Annen-Quartier ausgestellt sind. Der Auftritt in all seiner Vielfalt hat stets etwas Artifizielles, Zur-Schau-Gestelltes: Das Museale zeigt sich. Dass es nicht um ein beliebiges Museum geht, wird in den Abschlussfiguren deutlich: Die variablen Röcke werden, auf die eine oder andere Art über den Kopf gezogen, zur Burka mit schmalen Sehschlitzen, zum Nonnen-Habit. Das Religiöse behauptet seine Stellung.

Unübersehbar ist die Anspielung auf das Klosterleben im ehemaligen Refektorium: eine lange, simple Holztafel, um die herum die Zuschauer auf einfachen Hockern Platz nehmen. Ein reumütiger Mönch, hin- und hergerissen zwischen Buße und Versuchung, träumt von sinnlichen Genüssen, doch, ach: „Genuss ist von Übel. Die Zunge ist von Übel.“

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Die Zunge des Teufels verdammt er; den Herrn bittet er, ihn die Vollkommenheit seiner enthaltsamen Brüder ertragen zu lassen. Versuchung und schlechte Gedanken repräsentiert die geniale Sängerin, die Lachen, Locken, Jauchzen und Hohn bei Bedarf miteinander verschmelzen lässt.

Einzelne Akteure seien hier nicht hervorgehoben, denn alle erbringen eine Glanzleistung. Dies gilt sowohl für Darsteller/innen als auch für die konzeptionell, künstlerisch, technisch und organisatorisch Tätigen im Hintergrund. Auch wer nicht jede Anspielung entschlüsseln kann, bekommt feine Kunst geboten. Dies gilt ebenso für die Tänzerinnen im Kreuzhof und die Seilakrobatin, die in der folgenden Sequenz wieder auftaucht als lebendig gewordene Statue, nachdem der Jongleur in immer verzweifelteren Ansprachen die zu Stein gewordenen Figuren im Puppenhof vergeblich bespielt hat. Dass er auch mit der Frau aus Fleisch und Blut letztlich nichts Rechtes anzufangen weiß, manifestiert sich in der aus Krimis bekannten Symbolik der Umrisszeichnung am Tatort.

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Erstklassige Akrobatik beschließt das Gesamtkunstwerk. Im Betriebshof stellen fünf Break-Dancer das „Past-Time-Paradise“ dar. Ihre schwarzen Kapuzenshirts verweisen auf den in Versuchung geratenen Mönch. Was soll man sagen: Der Kreis schließt sich.

Dem Theater Combinale ist in Kooperation mit dem Museumsquartier St. Annen eine im Wortsinn wunder-volle Produktion gelungen.

Karla Letterman
Karla Letterman
Karla Letterman ist Krimiautorin aus dem Harz mit Leidenschaft für Norddeutschland, Nebel und Schattenboxen. Lebt seit 2017 in Lübeck. Höchst interessiert an Filmen, Literatur und Sprechkunst. Thomas Schmitt-Schech ist nicht nur Fotograf mit unbezwingbarem Hang zu Nachtaufnahmen, sondern auch nebenberuflich als Tai-Chi- und Qigong-Lehrer unterwegs. Karlas liebster Lichtfänger und Schattenboxer. www.karla-letterman.de / www.lichtblick-fotokompass.de

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