Feuermann, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Wintermärchen „Die Regentrude“ im Theater am Tremser Teich
In den Fängen des Feuermanns

Wie bitte: Ein wenig bekanntes Märchen aus dem Jahre 1863 soll 2019 die Kinder begeistern? Eine Geschichte, die den betulich wirkenden Titel „Die Regentrude“ trägt, soll „Menschen ab 6 Jahren“, wie das Theater am Tremser Teich sie nennt, hinter Ofen und Playstation hervorlocken? „Trude“: gähn. „Regen“: och nö. Und doch geht die Gleichung „Die Regentrude ist eine spannende Geschichte“ im 21. Jahrhundert auf. Weil das kleine, engagierte Kindertheater weiß, was es tut.

Die Handlung, die Theodor Storm während einer Bettlägerigkeit über Weihnachten vor 156 Jahren erdachte, ist wie folgt skizziert. Während eines unerträglich heißen Sommers verzweifeln die Menschen im Dorf, denn ihre Ernte vertrocknet, das Vieh verdurstet. Einer jedoch zieht seinen Nutzen aus der Situation: Der Moorbauer (im Original der „Wiesenbauer“) hat vor einigen Jahren für wenig Geld sumpfige Felder aufgekauft, die damals fast wertlos waren. Mittlerweile jedoch machen sie ihn reich, denn er kann Wasser an die anderen Bauern verkaufen. Auch ist er einer der wenigen, die noch Heu ernten. Viele Bauern stehen bei ihm in der Schuld und müssen dankbar sein, wenn er sie durch Wucherkredite vor der unmittelbaren Katastrophe errettet. Wie Stine, eine verwitwete Bäuerin, deren Sohn Andrees Maren, die hübsche und couragierte Tochter des Moorbauern, liebt. Die beiden würden gern heiraten, doch der Moorbauer wittert, da er nun selbst reich geworden ist, eine bessere Partie für seine Tochter.

Andres, Mutter Stine, Maren, Moorbauer, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechAndres, Mutter Stine, Maren, Moorbauer, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Angesichts der drohenden Hungersnot erwacht im Dorf der alte Glaube an die Regentrude wieder, eine Naturgöttin, die Wolken und Regen befehlen und die Trockenheit beenden kann. Sie schläft jedoch seit vielen Jahren, denn der Glaube an sie war erloschen. Menschen wie der Moorbauer verhöhnen sie nur noch. Stine jedoch, Andrees‘ Mutter, erinnert sich an ihre Urahnin, die die Regentrude vor 100 Jahren schon einmal in einer ähnlichen Notsituation geweckt hat. Dazu bedarf es eines Spruches sowie des Wissens um den richtigen Weg zum Ruheplatz der Göttin. Stine und Andrees rekonstruieren dieses Wissen; Maren ist diejenige, die den gefährlichen Weg zur Regentrude auf sich nimmt, denn die rettende Tat kann nur von einem mutigen jungen Mädchen vollbracht werden.

Eine Schlüsselrolle in diesem Märchen, dessen hochaktueller Hintergrund der Klimawandel ist, hat der Feuermann inne, Regentrudes Gegenspieler. Er lässt die wichtige Feldquelle austrocknen, verwandelt in der Aufführung am Tremser Teich Wasser mit einem Fingerschnippen in Schall und Rauch. Wenn Stine bemerkt „Niemand wollte wahrhaben, dass es Jahr für Jahr heißer und trockener wird“, ist das für die Kinder ein erklärendes Detail, für die Erwachsenen ein politischer Kommentar. Stine wird noch deutlicher: „Das mit dem Wetter haben wir uns selbst eingebrockt. Die Natur rächt sich jetzt – kein Wunder, wie wir mit ihr umgegangen sind.“

Andres und Maren, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechAndres und Maren, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Im Märchen gibt es einen Schuldigen – und die Chance, ihn zu überlisten. Die Theatermacher beziehen ihr kindliches Publikum gekonnt dabei ein, etwa wenn die Kinder Andrees und Maren warnen. „Hinter euch!“, schreien sie, wenn die beiden den Feuermann zu übersehen drohen. Oder: Wie ging noch gleich der Spruch, um die Regentrude zu wecken? „Staub ist die Quelle / Dunst ist die Welle“, rufen die Kinder, und auch die nächsten Zeilen haben sie sich gemerkt.

Das fantasievolle, variable Bühnenbild, das mit wohlüberlegten Lichteffekten in verschiedene Szenarien verwandelt wird, ist kindgerecht, weiß aber auch Mama, Papa, Tante und Onkel zu begeistern. Da sind Bäume, deren Kronen je nach Beleuchtung mal wie Laub, mal wie Feuer aussehen. Da werden Klangeffekte klug eingesetzt, etwa wenn die Tiefe eines hohlen Baums ermessen werden soll und Andrees einen Stein hineinwirft. Da werden Macht und Machtmissbrauch am Beispiel des Moorbauern und des Feuermanns spürbar – für die kleinen Besucherinnen und Besucher noch zu verdauen, für ihre erwachsenen Begleiter mit Subtext versehen.

Regentrude, Maren, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechRegentrude, Maren, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Die Regentrude – anders als ihr trutschiger Name erwarten lässt – ist eine schicke Wasserprinzessin; Stine und der Moorbauer versöhnen sich, das Ende wird gut. Die Kinder fiebern 90 Minuten lang mit, und auch für die Erwachsenen vergeht die Zeit schnell. Denn  Jannika Gnewuch (Maren), Hendrik Heiler (Andrees), Mona Stawicki (Stine), Gerrit Hargus (der Moorbauer), Gundula Schulze (die Regentrude) und William Schmidt (der Feuermann) sind hochprofessionelle Akteure, und Wolfgang Gottschlich, Ria Bredemeyer, Jörg Ohlenbusch, Daniel Fabio Krüger, Kerstin Krüger und Kolja Braun haben hinter den Kulissen alles im Griff. Deshalb kann man dieses Wintermärchen wärmstens empfehlen – sorry, Feuermann…

Termine: 22. und 23. Dezember 2019, 18. Januar und zum letzten Mal am 19. Januar 2020 jeweils um 16 Uhr

www.theater-am-tremser-teich.de

www.karla-letterman.de

Karla Letterman
Karla Letterman
Karla Letterman ist Krimiautorin aus dem Harz mit Leidenschaft für Norddeutschland, Nebel und Schattenboxen. Lebt seit 2017 in Lübeck. Höchst interessiert an Filmen, Literatur und Sprechkunst. Thomas Schmitt-Schech ist nicht nur Fotograf mit unbezwingbarem Hang zu Nachtaufnahmen, sondern auch nebenberuflich als Tai-Chi- und Qigong-Lehrer unterwegs. Karlas liebster Lichtfänger und Schattenboxer. www.karla-letterman.de / www.lichtblick-fotokompass.de

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