Blauer Engel, Lübeck, Clemensstraße. Hier konzentrierte sich Ende des 19. Jahrhunderts auf Ratsbeschluss das gesamte Bordellgewerbe der Hansestadt, hier machte Heinrich Mann seine ersten „sinnlichen Lebenserfahrungen“, die sich in seinem Professor Unrat niederschlugen, hier gab es – nach offiziellen Angaben – noch bis 2006 Prostitution. Wir befinden uns im kaum verblichenen „Red Light District“. In einem veritablen so genannten Freudenhaus, einem ehemaligen natürlich. Jetzt aufs Vortrefflichste im Jugendstil renoviert und zum Restaurant umgestaltet, atmet es alles andere als die ganz gewöhnliche Luft des verruchten Viertels, und es bedarf bereits nackter Frauengestalten auf rot gestrichenen Wänden, um auf spielerische Weise an den Geist vergangener Zeiten erinnert zu werden, als sich die Freier hier die Klinke in die Hand gaben.
Letzten Samstagabend in der Lübecker Musik- und Kongreßhalle: Die Neuinszenierung des Phantoms der Oper mit der Musik von Peter Moss und Deborah Sasson in der Rolle der Christine steht auf dem Programm. Über 800 Besucher strömen in den Saal und nehmen ihre Plätze ein. Und dann kommt alles anders als erwartet.
Ist die Darstellerin der Frau Fluth in der heutigen B-Besetzung tatsächlich erst im ersten Semester (statt im 6., wie das Programm vermerkt)? Offenbar, denn sie hat die Aufnahmeprüfung ja erst vor dem letzten Herbst absolviert und dann nicht einmal fürs Bühnenfach. Aber für diese Produktion, die zusätzlich zum normalen Studienbetrieb stattfand und in äußerst kurzer Zeit zu bewältigen war, wurden alle sängerisch Mitwirkenden zum Vorsingen bestellt, wurden also regelrecht gecastet. Musste man dann unbedingt Frau Fluth mit einem Erstsemester besetzen? Ist das nicht geradezu gefährlich und verdirbt die Stimme? Ja sicher, aber wir wurden ja nicht gefragt. Wer ist denn dafür verantwortlich? Der Herr, der über uns wohnt. Wer mag das nun sein?