Dirigentin Anja Bihlmaier, Foto: Olaf Malzahn

Das Debüt der Dirigentin Anja Bihlmaier bei den Lübecker Philharmonikern
„Viel Licht, starker Schatten“?

Zum Zeitpunkt, als für das achte Sinfoniekonzert das Programm gewählt worden war, war nicht bekannt, dass Ryusuke Numajiri, noch amtierender GMD in Lübeck, sein Amt zur Verfügung stellen würde, ein Jahr, bevor sein Vertrag zu Ende gegangen wäre. Das bedingte, dass kurzfristig ein neuer Chef oder gar eine Chefin zu finden waren.

Für Aspiranten mussten also Gelegenheiten gefunden werden, sich zu präsentieren, in der Oper, wo sie mehr versteckt amtieren, im Konzert, wo sie auf dem Podest voll im Blickpunkt stehen. Das achte Sinfoniekonzert dieser Saison nun wurde deshalb umprogrammiert. Statt eines Programms, das „Über die Grenze“ nach Frankreich blicken wollte, gab es nun eines, das den verkürzten Goethe-Aphorismus aus dem „Götz von Berlichingen“ „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“ als Motto hatte.

„Viel Licht, starker Schatten“ bezog sich auf eine Folge von Werken mit dunklem Charakter im ersten Teil, auf Johannes Brahms‘ „Tragische Ouvertüre“ und Ludwig van Beethovens „c-Moll-Klavierkonzert“, sein drittes. Im zweiten Teil war Antonin Dvořáks „G-Dur-Sinfonie“ vorbehalten, viel Licht zu verbreiten. Die Werkfolge war auf die junge Bewerberin Anja Bihlmaier zugeschnitten, die als 1. Kapellmeisterin und Stellvertreterin des Generalmusikdirektors in Kassel arbeitet. In ihrem Repertoire-Verzeichnis im Internet sind diese Werke, bis auf Beethovens Instrumentalkonzert, aufgelistet. So konnte der Zuhörer eine gut vorbereitete Dirigentin erleben, die allein durch ihre Körpersprache schon für sich einnahm. Wo sieht man schon eine Orchesterleitung, die sich zunächst, und das beim Auftritt und beim Applaus nach den Stücken, dem Orchester zuwendet, das das positive Erarbeiten ermöglichte und den Erfolg brachte? Wo sieht man ein freundliches oder ermutigendes Zulächeln, das vom Pult zum Solo-Instrument wanderte?

Martina Filjak, Foto: Olaf MalzahnMartina Filjak, Foto: Olaf Malzahn

Die aus Kroatien stammende Pianistin Martina Filjak wird sich gefreut haben, wie sorgsam und aufmunternd sie begleitet wurde, von der Dirigentin wie vom Orchester. Ihr Spiel war zugleich kraftvoll und sensibel, virtuos und dosiert, immer aber auf gute Partnerschaft bedacht, die sich vorbildlich in der Durchführung zum Kopfsatz in dialogischen Partien zeigte. Die Pianistin bedankte sich nicht nur mit einem vollgriffig bearbeiteten Präludium von Bach als Zugabe. Auch gestisch bemühte sie sich immer wieder, Anja Bihlmaier in den Beifall einzubeziehen, denn die hatte mit sorgsamer Art eine sichere, zugleich ausbalancierte Partnerschaft mit dem Orchester erreicht.

Schon bei der Brahms-Komposition war zu beobachten, dass die Dirigentin nicht nur präzise, auch führend und fordernd ihre Hinweise gab, die selbst Schlussakkorde noch formend im Sinne hatte. Brahms‘ Werk, der ernste Gegenpart zu der „Akademischen Festouvertüre“, die erst kürzlich bei dem Erstkonzert nach der Wiedereröffnung der Halle erklang, ist wegen der Grundstimmung weniger bekannt. Anja Bihlmaier aber machte sie in ihrer klaren Zeichensprache, die beide Hände unabhängig voneinander einsetzte, zu einem dramatischen Werk mit kontrastiven Teilen, die in dem einem Trauermarsch ähnlichen Finale einen anrührenden Gestus bekam. Sie traf damit Brahms‘ Intention, der sich auch bei dieser Ouvertüre in einem Brief nicht entscheiden konnte, ob er sie „eine ‚dramatische‘ oder ‚tragische‘ oder ‚Trauerspiel-Ouvertüre‘“ nennen sollte.

Auch im zweiten Teil ereignete sich Ungewöhnliches wie ein genau dosiertes dynamisches und agogisches Austarieren. Wie sie den noch mollverhangenen Beginn aufbrach, die Schwankungen im Ausdruck auffing und zu dem Graziösen des dritten und schließlich Triumphalen des vierten Satzes steigerte, hatte einen überzeugenden Gestus. Ein ungewöhnlich langer Beifall bestätigte, dass sie auch das Publikum mit ihrem kontrollierten Temperament überzeugt hatte.


Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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