Fazıl Say und Nicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Das Schleswig-Holstein Musik Festival schöpft aus seiner reichen Identität
Say und Altstaedt lassen Bad Oldesloe leuchten

Das Schleswig-Holstein Musik Festival 2025 endete mit einer Auslastung von 92 Prozent und insgesamt 202.000 Besucherinnen und Besuchern! Acht intensive Sommerwochen und insgesamt 203 Konzerte an 125 Spielstätten in Schleswig-Holstein, Dänemark, Hamburg und im Norden von Niedersachsen sind nun Vergangenheit.

Auftritt Nr. 198 zeigte vergangenen Samstagabend, was das SHMF so stark macht. Der 1970 in Ankara geborene diesjährige Porträtkünstler Fazıl Say gab zusammen mit seinem kongenialen Duopartner Nicolas Altstaedt sein letztes kammermusikalisches Konzert – insgesamt brillierte er in 17 Konzerten – in dem wunderschönen alten Gotteshaus auf dem Kirchberg zu Bad Oldesloe.

Die Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannDie Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Um es vorweg zu nehmen: Der Komponist und Pianist Say zeigte seine Virtuosität gepaart mit intensivem Ausdruck und bereitete dem Publikum gemeinsam mit dem ausdrucksstark wie meisterlich aufspielenden deutsch-französischen Cellisten Altstaedt in der von Kerzenschein erhellten Kirche eine Sternstunde.

Nach kurzer Verbeugung vor dem ausverkauften Haus legten die beiden Vollblutmusiker los – 5 € in die Klischeekasse, aber es stimmt einfach – mit der Sonate für Violoncello und Klavier C-Dur op. 65 von Benjamin Britten, die dieser für den russischen Cellisten Mstislaw Rostropovich geschrieben hatte. Ein Auf und Ab kurzer Tonleitern, leise Momente wechselten sich mit kraftvollem, intensiven Zusammenspiel ab, kein Instrument konnte ohne das andere bestehen. Altstaedt kostete die gesamte Bandbreite seines Cellos aus, von warmen tiefen Tönen über klare Koloraturen, mal wild, mal ziehende fast flehende Klänge bis hin zu perkussiven Elementen und staccatoähnlichen Pizzicati. Fazil Say ließ schnelle Melodiefolgen hineinperlen, mal akzentuiert, mal lyrisch zart, mal wild galoppierend wie zum Abschluss des letzten Satzes. Schnell wurde deutlich, die beiden Könner ihres Fachs, die eine langjährige künstlerische Freundschaft verbindet, ergänzen sich blind, selten sah Say zu dem vor seinem Flügel sitzenden Altstaedt; dieser blickte nie über seine Schultern zum Pianisten zurück und hatte das auch zu keinem Zeitpunkt nötig.

Nicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannNicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Ein Grund dafür war bestimmt, dass das folgende Werk, »Dört Şehir« (»Vier Städte«) – Sonate für Cello und Klavier op. 41, von Fazil Say 2012 explizit für Altstaedt komponiert wurde. Diese Vertonung der vier anatolischen Städte Sivas, Hopa, Ankara und Bodrum, verbunden mit biographischen Erinnerungen und Ereignissen war für uns der Höhepunkt des vielfältigen Konzerts und mutete den faszinierten Gästen zu, ab und an die Komfortzone zu verlassen. Das galt nicht für die wenigen orientalischen Einsprengsel, die lyrischen Momente aus dem ersten und vierten Satz. Es waren eher die rhythmischen Tongewitter und fast industriell anmutend harten Schläge, die mit ihrer akustischen Gewalt einige Hörer*innen schwer atmen ließen. Vor dem inneren Auge wechselten eine Reise auf dem Meer – ein harmonisches Gleiten und Dahintreiben vor weiten Horizonten – ab mit dissonanten, lautstarken Industriearealen. Dazwischen Fetzen anatolischer Tänze und sogar Töne von Instrumenten wie der lautenähnlichen Saz und Kemençe und der Duduk, eine Art Flöte: Anatolien in einer großen musikalischen Vielfalt abseits türkischer Klischees.

Fazıl Say und Nicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannFazıl Say und Nicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Es gibt Interpret*innen, die stehen für Mozart, Bach, Beethoven oder zeitgenössische Komponist*innen. Say und Altstaedt lassen sich nicht festlegen, haben sich aber für dieses Konzert neben Says Eigenkomposition auf drei Meilensteine der kammermusikalischen Cello-Literatur geeinigt. Nach Britten standen, im Anschluss an eine erfrischende Pause, noch Barber und Brahms aus.

Zu Samuel Barbers Sonate für Violoncello und Klavier c-Moll op. 6 schreibt Lea Kollath auf der Internetseite des SHMF, dass die Sonate kein Werk der Avantgarde, sondern stilistisch in der Spätromantik verhaftet sei, jedoch auch Färbungen des frühen 20. Jahrhunderts aufweise und insgesamt von einer ganz eigenen Musiksprache zeuge.

Nicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannNicolas Altstaedt, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Nach der aufwühlenden Eigenkomposition Says konnten wir uns hier wieder etwas mehr zurücklehnen und genießen, wie sich das Duo die Bälle gegenseitig zuspielte. Da war ein Fliegen ebenso wie eine Wanderschaft durch ein tonales Springen und Plätschern. Kein Wunder, dass diese vielschichtigen Formen und Melodien dem Komponisten ein Stipendium des Pulitzer-Preises sowie den Rom-Preis einbrachten.

Der bekannteste der vier gespielten Komponisten des Abends ist ohne Zweifel Johannes Brahms. So vermuten wir, dass dessen Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 e-Moll op. 38 von vielen Gästen besonders ersehnt wurde. Wir erlebten einen wohltönenden, elegischen Ausklang des Konzerts, das mit seinem romantischen Ausschwingen den begeisternden Abend angenehm abrundete. Das Publikum sah das bestimmt ähnlich und verabschiedete die Musiker nach mehr als zwei Stunden mit Standing Ovations, bevor es beseelt in die laue Spätsommernacht trat.

Fazıl Say und Nicolas Altstaedt in der Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannFazıl Say und Nicolas Altstaedt in der Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Fragen Sie in der Lübecker Fußgängerzone nach, werden vermutlich viele Menschen noch nichts von Say und Altstaedt trotz ihrer exzeptionellen Qualität gehört haben. Dagegen kennen mit hoher Wahrscheinlichkeit viele Anne-Sophie Mutter, Sting, Lang Lang oder Fanta4; diese Stars der Jubiläumsausgabe des SHMF sind nicht ohne Grund so bekannt und wichtig für eine erfolgreiche Vermarktung. Für uns jedoch sind Konzerte wie das hier rezensierte an Orten wie der Peter-Paul-Kirche in Bad Oldesloe die Ereignisse, die dem SHMF stets von Neuem Wurzeln, Kraft und Identität geben und es so zum Leuchten bringen. An solch einem Glück teilgehabt zu haben freuen wir uns mit der dazugehörigen Zuversicht auf die 41. Ausgabe des SHMF im kommenden Jahr!


Fotos: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann


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