Wasserkunst, Foto: Holger Kistenmacher

SHMF 2025 in der Gollanwerft
Night of the Drums

Es ist doch immer wieder erstaunlich, welch überraschende Sounds das Schleswig-Holstein Musik Festival seinem treuen Publikum zu bieten hat.

Jahrelang war der österreichische Star-Percussionist Martin Gruber einer der unerreichten Stars des Festivals. Seine Virtuosität, Vielseitigkeit und Kreativität machten ihn zu dem Liebling des Publikums. Jetzt bekommt der Held aller Schlaginstrumente aber Konkurrenz, denn bei der „Night of Drums“ am Dienstag in dem rustikalen Industrial Surrounding der alten Gollan-Fabrikhalle wurden vier neue Helden der percussiven Musik geboren.

Angeführt vom ukrainisch-stämmigen, aber in Essen geborenen Alexej Gerassimez, Musik-Professor an der Musik-Hochschule in München, spielten des Weiteren Emil Kuyumcuyan, geboren in Istanbul, aber ebenfalls mit Professur für Schlagzeug in Frankfurt, Lukas Böhm aus Berlin, Gastprofessor in Köln-Wuppertal und Dresden, sowie Sergey Mikhaylenko aus Nowosibirsk, zur Zeit Masterstudent an der Hochschule „Hanns Eisler“ in Berlin und Solo-Schlagzeuger des Göttinger Symphonieorchesters. Die vier Ausnahme-Schlagzeuger sind nicht nur eng befreundet, sondern erzeugten eine Lust, aus allen möglichen Sachen, Töne heraus zu trommeln und Kompositionen zu erschaffen voller Dynamik, Schnelligkeit, gepaart mit großartigem Zusammenspiel der Protagonisten.

Foto: Holger KistenmacherFoto: Holger Kistenmacher

Es begann mit einer humorvollen Einleitung durch den internen Chef der „Viererbande“, Alexej Gerassimez, der betonte, dass das angekündigte Programm einige kleine Veränderungen nötig gemacht hätte. Sie waren nach stundenlanger Fahrt im Stau hinter dicken Lastern aus Berlin verspätet in Lübeck eingetroffen, hatten auch noch ihre Konzert-Schuhe vergessen, deshalb die sportlichen Sneeker, und außerdem war das Eröffnungskonzert-Stück gerade erst fertig geworden. Also gab es das neueste Stück gleich zum Anfang und das älteste, eine traditionelle Bearbeitung einer alten türkischen Komposition von Sari Gelin am Ende des Konzerts.

Insgesamt stand das Programm unter dem Motto: Eine musikalische Reise durch Kultur und Musik von Istanbul, die Stadt am Bosporus, die dieses Jahr den Schwerpunkt des SHMF darstellt. Daneben standen die Elemente Wasser, Holz, Metall, Steine und Fell im Mittelpunkt des umwerfenden Abends voller Experimente, Kreativität und Humor. Zunächst also die „Suite of Elements: „Water“ von Alexej Gerassimez, geboren 1987. Dafür hatten die Musiker zwei große Wasserbecken und diverse andere Wasserspielzeuge, die Töne produzieren am Start: Mit Hilfe der Finger, Hände, Kochtopf-Deckel oder Wasser-gefüllten Plastikröhren zauberten die vier Percussionisten einen wirbelnden Sound, der das Publikum staunen ließ. Abgerundet wurde die Suite durch die Schwall-artigen Klänge des Wassers, die durch Nudelsiebe strömt.

Element Holz als Musikinstrument, Foto: Holger KistenmacherElement Holz als Musikinstrument, Foto: Holger Kistenmacher

Dann folgte eine wunderbare Komposition zum Element Holz: Da wurde getrommelt auf allem, was aus Holz stammte: Kisten, Kästen und Holzbretter. Wellenartig wurde das Holz von den vier Trommel-Virtuosen bearbeitet, indem sie abwechselnd in Schnelligkeit, Lautstärke und Intensität ihre Trommelstöcke über die Hölzer fliegen ließen - absolut faszinierend.

Schnell wurden danach die Instrumente gewechselt, wofür die Sport-Schuhe bestens geeignet waren, denn immer wieder liefen die Musiker zwischen dem ausuferndem Instrumentarium ihrer Percussionskunst kreuz und quer über die Bühne. Es folgte eine Komposition von Ulvi Cemal Erkin (1906 - 1972), ein musikalischer Volksheld in der Türkei, der nach der Revolution im Lande versuchte, Orient und Okzident zu vereinen, wie Emil Kuyumcuyan zuvor als „Türke“ der Truppe erklären durfte. Es wurden wunderbare Weisen und Elektronik geschickt mit den vierhändig gespielten Klängen verschiedenster Xylophone vermengt. Dabei handelte es sich um einen sogenannten türkischen Bolero - ein Potpourri aus traditionellen Tänzen und Volksliedern - alles getrommelt und auf unterschiedlichste Art und Weise aus den diversen Percussions-Instrumenten gezaubert. Großes Kino!

Experimentelles mit Geigenbogen: Suite of Elements "Metal", Foto: Holger KistenmacherExperimentelles mit Geigenbogen: Suite of Elements "Metal", Foto: Holger Kistenmacher

Es folgte ein weiteres Element, das man als Percussionist betrommeln kann, nämlich das Element „Metall“. Dazu holte Alexej Gerassimez einen Geigenbogen hervor und bearbeitete eine wunderliche Skulptur aus Metallspitzen, die rund auf einer tragbaren Form angebracht waren. Der Sound war irgendwie unheimlich, aber auch witzig. Dann ging es in eine Umbau-Pause und zur Erfrischung an den Getränkestand.

Danach bewies Gerassimez seine ungewöhnliche Experimentierfreudigkeit und seinen besonderen Humor. Er erzählte, dass die Musiker bei einem Stop auf der Autobahn Wasser gekauft hätten und hielt eine zu einem Drittel geleerte Mineralwasserflasche in die Höhe. Dazu erzählte er die Geschichte, dass das folgende Stück ihm am Frühstückstisch mit seiner Freundin eingefallen sei. Er könne halt nichts unbenutzt lassen, was irgendwie Klänge erzeugen könnte. Alles was er in die Finger bekommt wird zum Musikinstrument. Also selbst eine alte Plastikflasche hat ihren eigenen Sound, erklärte der Musiker und legte los. Zunächst kratzte er nur am Deckel der Flasche, befingerte den Flaschenhals und begann mit den Fingern die Flasche zu bearbeiten. Immer schneller im Rhythmus wurde sein Getrommel, bis sich durch das Öffnen der Flasche, durch den Austritt der Kohlensäure die „Soul of Bottle“, also die Seele der Flasche entwich. Tosender Applaus waren der gerechte Lohn für diese freche Nummer.

Kleine Flügel, Foto: Holger KistenmacherKleine Flügel, Foto: Holger Kistenmacher

Es fehlten aber noch die Elemente Stein und Fell, also ebenfalls Teile der Suite zu den Elementen, mit denen man percussive Musik machen kann. Also wurden im Verbund diverse Bongos, Trommeln und anderes, was man mit Fell bespannen kann, bearbeitet. Als weiteres witziges Highlight des Abends hatten die vier Musiker vier kleine Musikflügel auf einer Kiste aufgestellt. Darauf wurde viel-händisch gespielt und rhythmisch angeschlagen. Ein Stück, das Emil Kuyumcuyan (1993) als „Glitter“ bezeichnete und womit er auf seine eigene Kindheit in Istanbul verweisen wollte.

Zum Ende hin wurde das experimentelle und Richtung Jazz gehende Programm mit türkisch anmutenden Klängen vermischt. Emil Kuyumcuyan erklärte und deutete die Verschiedenartigkeit der Klänge, die vom Komponisten Sari Gelin stammten und hier neu bearbeitet wurden auf die Vielvölker-Schar seiner Heimatstadt Istanbul, die das Musikleben der Stadt geprägt hatten. Menschen aus dem Iran, Aserbaidschan, Armenien, Griechenland, Kurdistan und der Türkei seien Jahrhunderte lang friedlich und musikalisch vereint in der Stadt gewesen, hätten zusammen gefeiert und Feste voller Musik veranstaltet. Die letzten drei Kompositionen legten davon Zeugnis ab zwischen Jazz, Folklore, traditionellen Klängen und Experiment gemixt mit einer Prise Exotik und Anklängen an einen Film, der im Kopf ablief, wenn man die Augen schloss.

Vier Percussionisten der Extraklasse, Foto: Holger KistenmacherVier Percussionisten der Extraklasse, Foto: Holger Kistenmacher

Damit endete ein beeindruckendes Konzert voller Dynamik, Percussionskunst vom Feinsten und viel Humor. Standing Ovation waren der gerechte Lohn für diesen besonderen Musikabend.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.