Schleswig-Holstein Festivalchor, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Sakrale Sangeskunst erfüllt den Lübecker Dom
Der Schleswig-Holstein Festivalchor bewegt sich in höchsten Sphären

Wenn Sie von der Mühlenstraße kommend durch das Fegefeuer (für Nicht-Lübecker*innen: So heißt diese Gasse wirklich) gehen, erreichen Sie direkt das Paradies, einen Anbau des Doms zu Lübeck. Durch dieses betraten die ungefähr 900 Besucher*innen die im Jahr 1173 gegründete Backsteinkirche, in Vorfreude auf ein ganz besonderes Vokal-Konzert, vielleicht mit einer Fortführung paradiesischer Zustände.

Nach einer Einführung von Birgitt Rehbock, die seit Januar 2025 das Intendanzbüro des Schleswig-Holstein Musik Festival leitet, ging es los mit dem Cantus Missae Es-Dur op. 109 von Josef Gabriel Rheinberger, einem lange Zeit vergessenen, gleichfalls bedeutenden Repräsentanten einer vielfältigen Musikkultur am Ende der klassisch-romantischen Epoche. Bekannt war Rheinberger vor allem für seine Kompositionen für Orgel. Sein umfangreiches Œuvre umfasst zudem Klaviermusik, Sololieder, Kammermusik, Sinfonien, Konzertouvertüren, Schauspielmusiken, Opern und eben weltliche wie geistliche Chormusik.

Birgitt Rehbock, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannBirgitt Rehbock, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Der erste Ton der 80 Sängerinnen und Sänger war noch etwas wackelig, dann jedoch hatte Nicolas Fink seinen Chor sofort im Griff und führte diesen durch berührend zarte Klänge ebenso wie schmetternde Tutti. Das Wechselspiel zwischen Bass, Tenor, Alt und Sopran füllte jeden Winkel der gotischen Hallenkirche. Wie eine große See wogten fließend, schwingend musikalische Wellen hin und her und schwebten im Kirchenschiff über den Köpfen des Publikums. Auch das um 20 Uhr ertönende Glockenspiel vermochte nicht, die Kraft des Chores zu stören. Der opulent achtstimmige Messgesang bot einen gelungenen Auftakt, der Lust auf mehr machte.

Und das trotz der Tatsache, dass Chormusik im Lübecker Dom aufgrund des langen Nachhalls so eine Sache ist. Im folgenden Fall jedoch war das exzeptionelle Chorwerk »Harmony of Spheres« ausdrücklich für einen Kirchenraum mit langer Nachhallzeit geschaffen – diesen aufführungspraktischen Wunsch des niederländischen Komponisten Joep Franssens wollte der Schleswig-Holstein Festivalchor zusammen mit seinem Chordirektor Nicolas Fink in idealer Weise erfüllen: Die Sängerinnen und Sänger des 2014 gegründeten Chores nahmen vor, hinter und neben dem Publikum Stellung auf, rahmten dieses ein und spielten sich singend die Bälle zu. Technisch für alle Beteiligten sehr herausfordernd, da es nur schwer möglich war, aufeinander zu hören und alle Mitsingenden sowie den erfahrenen Dirgenten, seit der Spielzeit 2020/2021 auch Chefdirigent des WDR Rundfunkchores, im Blick zu haben.

Vielleicht lag es an unserem Sitzplatz, dass wir zu hören meinten, die Einsätze der Sängerinnen direkt neben uns waren bisweilen nicht immer synchron und sauber intoniert, überlagerten häufiger zu deutlich das Gesamtwerk. Insgesamt jedoch erzeugte der Festivalchor geheimnisvoll-schwebende Sphärenklänge, die über den Köpfen des Publikums ineinander verwoben wurden. Es galt, sich darauf einzulassen und dieses ungewöhnliche Opus des Repräsentanten einer neuen Spiritualität mit universeller Ausprägung in den Niederlanden zu genießen.

Der Schleswig-Holstein Festivalchor mit seinem Chordirektor Nicolas Fink, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannDer Schleswig-Holstein Festivalchor mit seinem Chordirektor Nicolas Fink, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Leichter wurde es zum Abschluss für Sängerinnen und Sänger (und vielleicht auch die Zuhörenden) mit Frank Martins vielgerühmter doppelchöriger Messe, einer Musik mit sphärenhafter Aura zwischen Vokalpolyphonie und Jazzansätzen, die besonders durch einen großen Chor im Kirchenraum ins Pulsieren kommen kann; soweit zumindest die Presseabteilung des SHMF. Die gesungenen Gebete der kompakten Aufführung waren erhebend, erzeugten Weite, Größe und im positiven Sinne spirituelle Momente, die uns daran erinnerten, dass wir diese in unserer immer stärker technisierten wie entfremdeten Welt bewahren mögen.

So erfüllte sich der Wunsch des SHFC, sein Publikum für eine Weile aus dem irdischen Weltgeschehen in andere Gefilde zu entführen. Dieses dankte mit großem Applaus und erhielt als Zugabe das wunderschöne Ave Maris Stella von Edvard Grieg. Ein besonderer Abend ging zu Ende und vielleicht war dem einen Hörer oder der anderen Hörerin auf dem Heimweg noch das Schlusswort aus Frank Martins Messe für zwei vierstimmige Chöre im Kopf: Dona nobis Pacem!


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