Michel Schroeder Ensemble, Foto: Leonhard Calm

JazzBaltica 2025
Indoor-Sturm im Maritim mit dem Michel Schroeder Ensemble

Man ahnt, woran man ist, bei so einem Konzert, wenn der erste Song direkt einen entspannten 11/8tel-Takt vorlegt (ohne Gewähr). Den Song mit dem Titel „Refreshing“ widmet Bandleader Michel Schröder der Handysucht. Wer jetzt an sinnlose Zeitverschwendung auf sozialen Netzwerken denkt, hat sich vertan. Bei Schröder manifestiert sich die Handysucht im ständigen Prüfen des Mailprogramms, wo doch eigentlich längst die nächste wichtige E-Mail hätte eingehen sollen. Sieht so gelebter Workoholismus aus?

Das Michel Schöder Ensemble ist, wenn auch nicht Lübeck-based, so doch im Kern reichlich lübsch. Der Bandleader selbst hat hier ebenso die Anfänge seiner musikalischen Ausbildung genossen, wie seine Gattin Marie an der Harfe oder Saxofonist Mikko Krebs. Das musikalische Wirken der Mitglieder verteilt sich über die ganze Nation, viel Gelegenheit zur gemeinsamen Probe besteht da nicht - was man ihnen nie anmerkt. „Here today and gone tomorrow“ von Joni Mitchell, gesungen von Katharina Koch, passt da ganz wunderbar ins Programm. Und Kochs Gesang schwebt so wunderbar leicht über Allem, dass die Komplexität des Arrangements nicht nur Hardcore-Jazzern ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Auf manch grandioses Solo folgt kein Applaus, weil die ungeduldig voranschreitende, äußerst hörenswerte Komposition diesen im Keim erstickt.

Foto: Leonhard CalmFoto: Leonhard Calm

Überhaupt ist die Besetzung dieses Ensembles von einer Art, die unfassbare Leichtigkeit bei beeindruckender klanglicher Flexibilität gewährleistet. Diese in den Bläsern reduzierte und um Streichquartett plus Harfe bereicherte Bigband, wahlweise auch aus den Nähten gegangene Latin Combo, kennt keine Schwere oder gar Schwermut. Dabei behält jedes Instrument seine Autonomie. Manchmal wirkt es, als entschieden sie sich freiwillig und spontan zum gemeinsamen Spiel.

Der dritte Song ist schon der letzte. Bei „The Songs for the Sea“ handelt es sich allerdings um eine 5-teilige Suite, verbunden durch wiederkehrende, an Clapping Music erinnernde Elemente. Die einzelnen Teile tragen Namen wie „The Tide“ oder „The Storm“. Schröders Sound an Flügelhorn wie Trompete ist von fast schon klassischer Brillanz, am Solo-Pult aber gleitet er durch die Skalen gibt ihnen Struktur wie eine Strömung dem offenen Meer, nagelt dann Chromatiken in den Sturm wie ein Notfunker den Morsecode. Der Text, den die Sängerin mal spricht, mal singt, dient eher als rhythmisches oder musikalisches Element, verstehen tut man ihn selten vollumfänglich - was nicht an ihr liegt. Sie lauter zu drehen hätte aber auch eine Imbalance bewirkt in diesem fein aufeinander abgestimmten Klangparadies. Auch Mikko Krebs weiß seinen unfassbar weichen Alt-Sound gekonnt in den Wind zu stellen. Überhaupt ist nichts hart an diesem Sturm, keine Kanten, trotz all der Disharmonie und Taktschieberei, die bei weniger meisterhaften Musikern schnell zur Kakophonie verkommen könnte.

Foto: Leonhard CalmFoto: Leonhard Calm

Leider ist das wohlige Unwetter nach einer guten Stunde schon wieder vorüber. Aber das Schöne an so einem Festival-Format ist ja die Gewissheit: das nächste kommt bestimmt.


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