Foto: Anja Bihlmaier, (c) Nikolaj Lund

MuK Lübeck
Das sechste NDR-Konzert in klassisch-romantischer Homogenität und mit einem Novum

Dass eine Dirigentin vor einem sinfonischen Orchester steht wie jetzt Anja Bihlmaier, die Chefin des Residentie Orchest Den Haag, geschieht immer noch selten. In der letzten Saison hatte von den acht Konzerten des NDR eines eine Dirigentin geleitet. Sie trat zudem noch mit einer Solistin auf. Diese Saison bietet das gleiche Verhältnis, wobei das weibliche Element indes dadurch verstärkt wurde, dass eine Komposition einer Frau das Programm eröffnete.

Es war allerdings nicht eine der drei Sinfonien, die die Französin Louise Farrenc (1804 – 1875) komponiert hatte, „nur“ eine der beiden relativ kurzen Konzert-Ouvertüren, die zweite in Es-Dur. Sie waren beide zwar 1834 entstanden, aber auch beide erst sechs Jahre später uraufgeführt worden. Das Stück, das in dem Konzert erklang, benötigt - wie das andere - nur etwa sieben Minuten, um doch von der großen Fähigkeit der Komponistin zu zeugen.

Es begann mit einer akkordisch wuchtigen, eher düsteren Einleitung, der ein betriebsamer und fein instrumentierter Allegro-Teil folgte. Sein Vorbild war offenbar die Wiener Klassik, aus der sie das Muster der Sonatenform übernommen hatte, dem sie aber dennoch ein breites Ausdrucksniveau gab. So entwickelte sie mit den Holzbläsern ein durchaus romantisches Flair, das das Orchester mit feiner Gestaltung und großer dynamischer Finesse wiedergab.

Foto: Anja Bihlmaier, (c) Nikolaj LundFoto: Anja Bihlmaier, (c) Nikolaj Lund

Bei dem zweiten Werk an diesem Abend hatte die Dirigentin mit dem Solisten eine intensive Zusammenarbeit herzustellen. Denn Ludwig van Beethovens viertes Klavierkonzert in G-Dur war nicht nur 1846, zur Zeit seiner Uraufführung, ein Werk ausgesprochener Eigenheit, ist es auch heute noch. Gleich der Beginn überrascht immer wieder, wenn das Soloinstrument nach wenigen Takten dem Orchester den Auftrag gibt, das Thema in lyrischer Art weiterzuführen. Der spanische Pianist Javier Perianes erreichte es bewundernswert, sich dem Orchester gegenüber durchzusetzen. Die Dirigentin unterstützte ihn dabei aufmerksam, seine Partien in aller Ruhe auszuformen und im Allegro moderato die Themen sensibel zu entwickeln. Erst in seiner Kadenz trumpfte er auf, bevor dann im zweiten Satz in der eigenwilligen Dialogszene die Standpunkte beider Partner einander näher gebracht werden. Wieder fiel auf, dass die Dirigentin trotz aller Vitalität nur ein gemäßigtes Vivace anstrebte, während bei anderen Interpreten im robusten Finalsatz oft ein ausgesprochen angespanntes Laustärkeverhältnis herrschte und die Instrumentierung dadurch nicht immer so transparent blieb wie hier. Der Pianist wurde niemals überdeckt, konnte wie auch das Orchester alle Partien subtil ausformen, musste nicht gegen harte Forteschläge sich durchsetzen. So entwickelte sich ein sehr geschlossener Gesamteindruck, der großen Beifall erhielt.

Dass Anja Bihlmaier konsequent zuhört und ein Orchester sehr empfindsam durch die Partitur führt, war dann in Schumanns zweiter Sinfonie, der in C-Dur, spannend zu beobachten. Sie schien sogar für jeden Satz ein eigenes Bewegungsrepertoire zu besitzen, das dem jeweiligen Ausdruck entsprach. Nicht nur die Hände und Arme waren beteiligt, ihr ganzer Körper diente dem Gehalt, erlaubte sogar, für kurze Momente allein dem Orchester den Fortgang zu überlassen. Im ersten Satz entwickelt sich aus dem ruhigen Miteinander der tiefen Streicherbasis und der Hörner-Fanfaren der ganze Satz, sogar das ganze Werk, mit seiner spannungsvollen Grundstimmung. Im zweiten dann, dem Scherzo, baut sich eine, zum Schluss immer mehr voranstürmende Unruhe auf. Das expressive Adagio im dritten Satz nahm dagegen in seiner scheinbaren Ruhe gefangen, machte aber auch mit den weiten melodischen Bögen und synkopischen Rhythmen einen innerlich ungeduldigen Eindruck. Während das Finale mit seinem Oktavaufschwung und dem geschmetterten Fanfarenaufruf ein trotziges Trotzdem zu verkünden schien.

Foto: Anja Bihlmaier, (c) Nikolaj HordijkFoto: Anja Bihlmaier, (c) Nikolaj Hordijk

Der langanhaltende Beifall belegte, dass das Publikum der Dirigentin und dem Orchester gern gefolgt war, nicht nur das, auch sie bedankte sich in drei, vier Sätzen für die Aufmerksamkeit des Publikums! So etwas hat der Rezensent in den vielen Konzerten, die er gehört hat, noch nie erlebt!


Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.