Foto: Erina Yashima, (c) Todd Rosenberg

NDR-Sinfoniekonzert
Das vierte Saisonkonzert der Elbphilharmoniker in der MuK – Ungewöhnlich!

In mehrerer Hinsicht ungewöhnlich war der letzte Konzertabend der Elbphilharmoniker. Sie kamen mit einer Dirigentin und mit einem Programm mit ganz unbekannten oder selten gespielten Werken.

Die Dirigentin war die in Deutschland geborene Erina Yashima und auf dem Programmzettel stand Kareem Roustom, Ernest Bloch und Antonín Dvořák. Der erste dürfte sehr wenigen geläufig sein, der zweite ist durch seine Werke, einige dem jüdischen Ritus nahe, wenigstens ab und zu zu hören. Aber selbst von dem dritten, der sonst mit anderen Sinfonien häufig aufgeführt wird, ist gerade die Fünfte, manchmal als „Pastorale“ bezeichnet, eine Rarität. Die junge Dirigentin hatte also für diesen Abend eine gründliche Vorarbeit zu leisten.

„Mir wurde schon oft gesagt, die erste Hälfte der Karriere ist einfach Notenfressen ohne Ende. Und das stimmt.“ Das sagte sie in einem Interview. Vor fast genau einem Jahr veröffentlichte es Merle Krafeld bei VAN, einem Online Magazin für klassische Musik, wo das Label von dem berühmten „Ludwig van“ geliehen ist. In dem Interview ist auch die Frage nach dem Alter der jungen Dirigentin gelöst, das sonst in biografischen Skizzen (noch zeitgemäß?) verschwiegen wird. „Also erstmal: Ich bin 35 Jahre alt. Aber ich finde, Alter spielt bei meinem Beruf nicht wirklich eine Rolle, weil es ja nicht unbedingt korreliert mit der dirigentischen Erfahrung.“

Die hat sie sich nicht erst seit September 2022 als Erste Kapellmeisterin an Berlins Komischer Oper erworben, davor waren es bereits unzählige internationale Auftritte mit aller Art von Orchestern und Musik im Konzert und in der Oper, alles mit einem erstaunlich breiten Repertoire. Und sie bewies ihre Fertigkeit jetzt mit einem mitreißend vitalen Auftritt vor den Elbphilharmonikern. Die ließen sich hörbar gern durch ihr sehr lebhaftes und geschmeidiges, zugleich präzises Dirigieren inspirieren. Es ist für die Musiker wohl nicht die erste Erfahrung mit einer Dirigentin, aber für Lübeck erinnert sich der Rezensent an keine Zusammenarbeit dieser Art.

Das vierte Konzert am 20. Januar 2023 war auch dadurch besonders, dass es ein außergewöhnliches, nahezu weltumspannendes Programm bot. „Ramal“ eröffnete den Abend, eine 2014 entstandene Komposition von Kareem Roustom, 1971 geboren. Der Titel führt, wie das Programmheft erörtert, zur klassischen arabischen Poesie, auch wenn das beim ersten Hören nicht nachvollziehbar ist, auch nicht ohne um die ihr innewohnende Musiklehre und Philosophie zu wissen. Dennoch ist die für unsere Ohren ungewöhnliche metrische Gliederung zu verfolgen. Sie wird bemerkenswert von der Dirigentin mit ihren Gesten geformt und dem Hörer so optisch „erläutert“. Auch sonst war der tiefe Ausdruck der Komposition mit seiner variablen Struktur beim ersten Hören mitzuerleben, zumal ein akzentuiertes Klanggeschehen das Werk rahmte und es durch das Instrumentarium sowie die verständliche Melodik und Harmonik europäischen Ohren sich gut anpasste.

Auch Ernest Blochs (1880 – 1959) „Schelomo“, im Untertitel „Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester“, führt in eine andere Kulturwelt, eine eher bekannte vielleicht, aber für uns dennoch geheimnisvolle. Der Titel trägt den Namen des altisraelischen Königs, den wir gewohnt sind‚ „Salomon“ zu nennen. Die dreiteilige Komposition stammt aus den Jahren 1915 bis 1916 und ist programmatisch geprägt, eben dadurch, den legendären König erlebbar zu machen. Seine Stimme ist dem Cello übertragen, der sich mit seinem Volk auseinandersetzt. Das wird in der differenzierten Partitur in einem besonders farbenreich besetzten Orchester formuliert, das die orientalische Klangwelt behutsam hörbar machte.

Foto: Pablo Ferrández, (c) Igor StudioFoto: Pablo Ferrández, (c) Igor Studio

Den langsam aus der Tiefe aufsteigenden Cellopart hatte Pablo Ferrández übernommen, ein 1991 in Madrid geborener, sehr intensiv gestaltender Cellist. Das zu zeigen, gab ihm die Dirigentin und das sehr aufmerksame Orchester viel Freiheit. Wie schön sein Celloton vor allem in der Tiefe war, führte er dann in seiner Zugabe noch einmal vor, ein sehr verinnerlichter, aber ungemein wohltönender Sarabanden-Satz aus Johann Sebastians dritter Cello-Suite. Ihre Grundtonart C-Dur nutzt dabei die ganze Tonbreite des Instrumentes.

Warum Antonín Dvořáks fünfte Sinfonie in F-Dur, sein op. 76 aus dem Jahr 1879, so wenig ins „normale“ Konzertrepertoire eingebunden ist, ist nach dieser Wiedergabe nicht zu verstehen. Ihr tief romantischer Klang mit großen Aufgaben für die Holzbläser, für die Hörner, auch für die verschiedenen Streicher (Celli im Finalsatz!), die feinsinnige Gestaltung, die allerdings erst, wie hier, mit einer sinnvollen Dynamik und Agogik erweckt wird, die große Wirkung der Form mit mitreißenden Schlüssen in allen Sätzen, die ein wenig erfahrenes Publikum einfach zu Zwischenapplaus verführt, all das begeisterte und weckte zum Schluss ganz großen Beifall.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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