Foto: Solist Felix Klieser und Dirigentin Anna Skryleva, (c) Hildegard Przybyla

Musik- und Kongresshalle Lübeck
Ein ganz besonderes Saisonfinale der Lübecker Philharmoniker

Das war es nun. Neun Konzerte hatten die Lübecker Philharmoniker in der MuK gegeben, alle mit bemerkenswerten inneren Bezügen. Auch dieses, der Abschluss der Saison 24/25, machte keine Ausnahme. Oder war es gar ein Höhepunkt in der Reihe, einer, der dem Zuhörer die Kraft der Musik mit allen Sinnen erfahren ließ?

Den Auftakt machte eine Komposition, ganz frisch komponiert von der Dirigentin des Abends. Das war, erstmals in Lübeck, Anna Skryleva (*1975), eine russischstämmige deutsche Dirigentin, Pianistin und Komponistin, die jetzt nach 6 Jahren als Generalmusikdirektorin das Theater Magdeburg auf eigenen Wunsch verlässt. Nur eine ihrer herausragenden Leistungen sei kurz erwähnt. 2022 hatte sie mit den dortigen Philharmonikern zusammen die wiederentdeckte Oper „Grete Minde“ des im Vernichtungslager Sobibor ermordeten deutsch-jüdischen Komponisten Eugen Engel (1875 - 1943) uraufgeführt. Anna Skrylevas Einsatz für dieses Werk, dessen Libretto auf Fontanes dramatischer gleichnamiger Novelle fußt, wurde 2024 mit dem OPUS-Klassik-Preis für die „Beste Welt-Ersteinspielung des Jahres“ belohnt.

Ihre „Drei Impromptus in C für Orchester“ charakterisieren sie als schöpferische Persönlichkeit, sensibel wie erfindungsreich, die mit ihrer Folge von drei kurzen Stücken durchaus beeindrucken konnte. Das erste trägt den Titel „Scherzando“, entwickelte sich über einem Ostinato, in dem der Hörer glaubt, einen Walzer zu hören. Er gewinnt einen Höhepunkt, der bedächtig zum Anfang zurückkehrt. Seine Arpeggien verraten, dass die Komponistin 2018 vom Klavier ausgegangen ist. Erst fünf Jahre später instrumentierte sie dies wie die folgenden zwei Stücke mit sehr reizvollen Klangeffekten für ein großes Orchester. Das mehrteilige „Meditabondo“, zweites und längstes Stück der insgesamt nur knapp neun Minuten dauernden Folge, beginnt langsam und versonnen. Auch hier sind wieder Ostinato-Bildungen formstabilisierend eingesetzt, bis nach einem wuchtigen Mittelteil der Satz in eher düsteren Farben melancholisch ausklingt. Das Finalstück trägt die drei Begriffe „Mit Schwung – Tanzlustig – Agitato“ im Titel, die diesen schwelgerisch daherkommenden Schluss gut charakterisieren.

Foto: Solist Felix Klieser und Dirigentin Anna Skryleva, (c) Hildegard PrzybylaFoto: Solist Felix Klieser und Dirigentin Anna Skryleva, (c) Hildegard Przybyla

„Stell dir vor, es geht nicht, und einer tut es doch“, könnte als Titel über dem folgenden Abschnitt stehen, auch über dem ganzen Bericht. Es ist aber der Titel eines Buches, Ende August des vorigen Jahres erschienen. Geschrieben hat es als sein zweites Buch Felix Klieser, ein Hornist, dessen erstes Buch verrät, warum dieser Musiker eine Ausnahme ist. Schon 10 Jahre vorher erschien „Fußnoten – ein Hornist ohne Arme erobert die Welt“. Sein Name ist Felix Klieser. Er wurde 1991 in Göttingen geboren, doch ohne Arme und lernte „… mehr zu können, als wir denken“ und „Was passiert, wenn Probleme lösen Freude bereitet“. Bei dem zweiten Programmteil stand er nun im Mittelpunkt, saß auf einem Stuhl, vor sich ein Gestell, das sein Horn bereithielt, dessen Ventile er mit den Zehen seines linken Fußes bediente. Sein rechter Fuß stabilisierte das Gestell und bediente ab und zu einen Mechanismus, den er selbst erfunden hatte. Der sollte das ersetzen, was sonst die linke Hand des Hornisten erledigt, um mit der Faust einen gedämpften Klang herzustellen. Stopfen heißt das im Jargon.

Wer gekommen war, in diesem Konzert zirzensische Akrobatik beim Hornblasen zu erleben, ging enttäuscht nach Hause. Was Felix Klieser bot, war eine über alle Maßen begeisternde Wiedergabe des Musikwerkes mit einer bewundernswerten Atem- und Lippentechnik. Sie erlaubte eine authentische Gestaltung, wunderbar im Klang und äußerst differenziert im Zusammenspiel mit dem Orchester. Er spielte Reinhold Glières (1875 – 1956) „Konzert für Horn und Orchester“, 1951 fertiggestellt und im gleichen Jahr in Petersburg uraufgeführt, ein Werk, um das selbst manch versierter Instrumentalist wegen der technischen Finessen einen Bogen macht. Es ist trotz seines Entstehens in der Mitte des 20. Jahrhunderts stilistisch rückwärtsgewandt, gehört in die Romantik, erfreut aber nicht nur wegen der Besetzung mit einem großen Orchester, das auch alle Blechblasinstrumente beschäftigt, auch wegen seiner überzeugenden Struktur.

Solist Felix Klieser, Dirigentin Anna Skryleva und das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck in der MuK, Foto: (c) Hildegard PrzybylaSolist Felix Klieser, Dirigentin Anna Skryleva und das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck in der MuK, Foto: (c) Hildegard Przybyla

Der erste Satz, ein Allegro, bot ein klangvolles Miteinander der Instrumentalgruppen, bei einem klaren Aufbau und einem eher majestätischen Klanggeschehen. Im zweiten Satz, ein Andante, überwog eine wehmütige Haltung, der das Horn einen hoffnungsvollen, sogar schwelgerischen Ton gab. Im Finalsatz schließlich, nach einem Beginn im Moderato folgte ein Allegro vivace, in dem volksliedartig Spritziges und Tänzerisches im Vordergrund stand. Da war der Solist noch einmal groß gefordert, vor allem bei der Kadenz, die er mit Bravour meisterte.

Der Beifallssturm war stark und lang. Der Solist hatte vorgesorgt und das Orchester gewonnen, ihn bei der Zugabe zu begleiten, für die er den Schlusssatz aus Mozarts KV 417 gewählt hatte, je nach Zählung das zweite oder das erste von dessen vier Hornkonzerten. Auch sie gelten in der Zunft der Hornisten als herausfordernd. Und wieder war zu bewundern, wie bemerkenswert leicht und spielerisch dieses Instrument klingen und gespielt werden kann. Vergessen sei aber nicht das Orchester, dass unter Anna Skrylevas Leitung ein großartiger Partner war.

Felix Klieser signiert CDs und Bücher, Foto: (c) Hildegard PrzybylaFelix Klieser signiert CDs und Bücher, Foto: (c) Hildegard PrzybylaWollten die Musiker nach der Pause mit dem Programmschluss dem Publikum ein Reiseziel für den Sommer empfehlen? „Aus Italien“ gab es zu hören, Richard Strauss‘ „Sinfonische Fantasie für Orchester“. Es trägt die Opus-Zahl 16, ein Hinweis schon, dass es ein frühes Werk ist, eines, das er mit 22 Jahren komponiert hatte. Böse Zeitgenossen damals fanden für diese gefühlsintensive Komposition die Formel „Musikalischer Baedeker Süditaliens“, weil Strauss hier erstmals das ausführte, wofür er in seinen meisterhaften Tondichtungen später gerühmt wurde. Lange schon war das Werk in Lübeck nicht mehr zu hören gewesen. Jetzt erfuhr es in der sorgfältig durch das Orchester interpretierten und von Anna Skryleva mit Ruhe und Übersicht geleiteten Wiedergabe eine klangschöne und dichte Aufführung.

Wer noch kein Ziel für die Sommerferien hatte, wird es nach dem Besuch der Villa d’Este und Tivolis im ersten Satz, dem Durchwandern von Roms antiken Ruinen im zweiten und dem glitzernden Besuch am Strand von Sorrent mit seiner sanft schaukelnden Liebesgondel im dritten sicher bekommen. Wenn alles noch nicht überzeugt, wird es das „Neapolitanische Volksleben“ mit dem grandiosen Ohrwurm „Funiculi – Funicula“ tun, das andere Gondellied, auf das das Lübecker Publikum mit vielen Bravorufen reagierte.


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