Foto: Hildegard Przybyla

Musik- und Kongresshalle Lübeck
8. Sinfoniekonzert der Lübecker Philharmoniker – Eine Folge musikalischer Preziosen

Auch dieses, das achte und vorletzte Konzert der ablaufenden Saison, bot ein Programm der ganz besonderen Art. Wann hört man schon im ersten Teil ein Duo von gewichtigen Klavierkonzerten ein und desselben Komponisten? Und wann kommt das vor, dass im zweiten Teil die Sinfonie eines Klassikers im Programm ist, eines Komponisten, der wohl nur wenigen bekannt war. Er war schlicht vergessen worden. Aber warum?

Der Komponist der Klavierkonzerte, die immer wieder das Interesse eines breiten Publikums erregen, ist natürlich Wolfgang Amadeus Mozart. Aus seinem reichen Kompositionsschatz für dieses Instrument war zum Einstand das bedeutsame c-Moll-Konzert KV 491 gewählt worden. Schon deshalb sticht es hervor, weil unter Mozarts 23 Werken dieser Gattung bekanntlich nur zwei in Moll sind, beide ähnlich innerlich gespannt. Aber besonders der Auftakt des c-Moll-Konzertes fasziniert immer wieder durch sein Gefüge: Nach langesamen Ganztaktschritten den Mollakkord hinauf, verharrt im dritten Takt die Bewegung erst auf einem dissonanten Vorhalt, bevor sie zwei Stufen chromatisch absteigt, um dann eine verminderte Septime hochzuschnellen. Hinreißend ist das wie auch die gesamte orchestrale Exposition. Deren Wucht gegenüber verhält sich das Soloinstrument beim ersten Einsatz scheinbar gleichgültig, als ginge es die Spannung nichts an. Es wird erst später in dessen Sog hineingerissen, in dem große Momente Mozartscher Gestaltung zu erleben sind.

Jan Willem de Vriend und Elisabeth Leonskaja, Foto: Hildegard PrzybylaJan Willem de Vriend und Elisabeth Leonskaja, Foto: Hildegard Przybyla

Überzeugend horchte Elisabeth Leonskaja dem nach, nicht nur im dramatischen ersten Satz, auch in dem lyrischen zweiten und dem ein wenig entspannenden Finale. Sie ist in aller Welt bekannt, nicht nur beim SHMF oder in Lübeck, wo man sie unter anderem beim Meisterkurs in der Musikhochschule erleben konnte oder bei einem Benefizkonzert für LMN (Live Musik Now) in der Stadtbibliothek. Sie gilt als eine der letzten Vertreterinnen der Russischen Schule der Klaviermusik, kam 1978 mit 33 Jahren von Moskau aus nach Wien, wo sie seitdem lebt. Ihr Anschlag auf dem Klavier, das so oft als reines Schlaginstrument missbraucht wird, ist anders, behutsamer, weicher, mehr auf Farbe bedacht. In Akkordbrechungen oder Skalen wird nicht einfach Ton für Ton nebeneinander gestellt, sondern mit feinster Dynamik gestaltet. Auch im Verhältnis zum Orchester ergibt sich ein hörbar austariertes Miteinander, wenn sich wie hier ein Dirigent so aufmerksam zeigt (Eindruck vom Montagskonzert). Als Gast war Jan Willem de Vriend dabei, der Chef des Wiener Kammerorchesters. Er führte die Philharmoniker sicher, im Stimmgewebe durchsichtig und dynamisch differenziert, zumal die Hornisten und Trompeter auf Naturinstrumenten, also ohne Ventile ihre Parts spielten. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Orchester aus den eigenen Reihen solch eine Annäherung an frühere Stilvorstellungen besetzen kann.

Elisabeth Leonskaja und Mihály Berecz, Foto: Hildegard PrzybylaElisabeth Leonskaja und Mihály Berecz, Foto: Hildegard Przybyla

Mozarts sieben Jahre vorher entstandenes Es-Dur-Konzert KV 365 folgte, eines für zwei Klaviere, womit zwei Werke in parallelen Tonarten im Programm vereint waren. Mozart hatte es für sich und seine ältere Schwester Maria Anna, dem Nannerl, für sein Salzburger Publikum komponiert. Im Kopfsatz, einem Allegro, ist die große Orchesterexposition zu bewundern. Der Mittelsatz, ein Andante, ist farbiger, bringt einen ruhigen Dialog der Klaviere, auch eine Oboen-Melodie, erst von Streichern begleitet, später dann im Zusammenklang mit den Solisten. Das Finale, ein Rondo allegro, beendet schließlich das Konzert mit einer äußerst anspruchsvollen Solokadenz beider Solisten und dem positiven Refrain des Satzes. Elisabeth Leonskaja hatte als Partner den gerade erst 28-jährigen Mihály Berecz, in seiner Heimat Budapest und in London ausgebildet und ein Gewinner vieler Wettbewerbe. Auch er ist an historischer Aufführungspraxis interessiert, was die Zusammenarbeit aller in diesem Fall hörbar begünstigte. Beide wirkte es, als hätten sie schon immer miteinander musiziert. Keiner dominierte, weder Leonskaja mit ihrer ausgesprochen feinfühligen Gestaltung, noch Berecz mit hellerer, dennoch sehr sensibler Spielart.

Der lange, begeisterte Beifall brachte als Zugabe zwei der vierhändigen „Ungarischen Tänze“ von Brahms.

Jan Willem de Vriend, Mihály Berecz und Elisabeth Leonskaja, Foto: Hildegard PrzybylaJan Willem de Vriend, Mihály Berecz und Elisabeth Leonskaja, Foto: Hildegard Przybyla

Auch das Werk im zweiten Teil des Abends verdient, in aller Kürze vorgestellt zu werden. Es ist die sechste Sinfonie in d-Moll von Johann Wilhelm Wilms, 1819/20 entstanden. Er machte seinerzeit in Amsterdam Furore, wurde dort hoch geehrt, bis er 1847 verstarb. Geboren allerdings wurde er im rheinländischen Witzleben. 1772 war das, zwei Jahre nach Ludwig van Beethoven, dem jüngsten der Wiener Klassiker. Von ihnen war Wilms vor allem Joseph Haydn Vorbild, zu spüren zum Beispiel in der Instrumentation, die die Holzbläser favorisiert, aber nie im reinen Klang, immer miteinander gemischt. Auch die Art, wie er Motive gestaltet und fortführt, erinnert an Haydn.

Das Publikum dankte dem Dirigenten und dem Orchester auch hier mit langem Beifall für die inspirierte Darbietung der ihm sicher unbekannten Sinfonie.


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