Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Leitung von James Gaffigan und mit Violinist Vadim Gluzman in der Lübecker MuK

Fünftes Abonnementkonzert der Elbphilharmoniker in Lübeck
Ein Orchester im Höhenflug

Einige herausragende Konzerte der Elbphilharmoniker gab es in dieser Saison bereits, doch das am 24. Januar 2025 gehört zu denen, die noch eine Steigerung boten. Zu danken war das in erster Linie dem Gastdirigenten James Gaffigan, geboren 1979 in New York.

Erstmals stand er vor dem Orchester, trotz einer erstaunlich vielseitigen internationalen Karriere, die ihn zu unzähligen großen Orchestern und Opernhäusern führte. Zwei von ihnen leitet er zurzeit, das architektonisch spektakuläre Palau de les Arts Reina Sofía in Valencia und seit 2023 die Komische Oper in Berlin, die - im Umbau betroffen - sicher kein einfaches Arbeiten erlaubt.

Sein Debüt bei den Elbphilharmonikern war eines, das eine selten große Spielfreude beim Orchester hervorrief. Dabei war es sicher für die Musiker kein allein mit Routine zu bewältigender Abend, nur einer mit neuen Akzenten. Was war geschehen? Äußerlich dies: Die vier Stücke, zwei aus dem instrumentalen, zwei aus dem Opernbereich, folgten ungewöhnlich aufeinander: Die Ouvertüren rahmten die Instrumentalwerke. Und sie forderten allein spieltechnisch deshalb heraus, weil der Dirigent offensichtlich kein Freund gewöhnlicher Tempi war. Er wollte überzeugen, wollte mitreißen. Auch das war sicher Absicht, dass es im ersten Teil Werke der vielseitigen russischen Musikkultur waren, die ankommen sollten, wie die, die im zweiten Teil aus der Wiener Klassik stammenden, aus einer quasi anderen Welt. Allen Beiträgen war zudem ein gewisser Ernst gemeinsam, auch das, dass sie eher zu den selten gespielten Werken gehörten, die Neugier förderten, beider: die der Spielenden wie die der Hörenden.

Violinist Vadim GluzmanViolinist Vadim Gluzman

Das Programm begann mit Modest Mussorgskys Introduktion zur „Chowanschtschina“, eines politischen und historischen Verwirrstücks und seine letzte Oper. Sie blieb unvollendet und wurde erst fünf Jahre nach dem Tode des Komponisten von Nikolaij Rimsky-Korsakow, dem Meister des Instrumentierens, vollendet. Die Überschrift des Anfangsstücks, „Morgendämmerung an der Moskwa“, täuscht bloße Stimmungskost vor, ist es aber nicht, auch wenn hohe Streicher und solistische Holzbläser mit zarten, aufsteigenden Melodien beginnen und Ruhe und Frieden zaubern. Dann aber künden Hörner und Pauken Böses an, vorsichtig, doch deutlich hörbar. James Gaffigans Tempo und seine zarte Modulation der Stimmen erhöhten die Spannung. Ein sehr sensibel gestalteter Auftakt war das.

Mit Dmitrij Schostakowitschs zweitem Violinkonzert in cis-Moll wandelt sich die Idylle zu einer intensiv gestalteten Debatte. Der Komponist schien dem Soloinstrument eine Menge von Bedenken, auch Abwehrendes aufgetragen zu haben. Gleich anfangs rumoren die tiefen Streicher mit einer sich wiederholenden Phrase gegen das Soloinstrument, das sich zunächst mit Ruhe dem entgegenzusetzen versucht, auch noch, als andere Temperamente in rhythmisch aufmüpfigen Partien oder im einengenden Ostinato es aus dem Nachdenklichen drängen. Immer wieder sind andere Elemente zu hören, die aufdringliche Kraft bekommen, die selbst die kunstvoll zweistimmige Solokadenz begrenzen. Führend wird dabei das Horn, das im zweiten Satz zusammen mit anderen Holzbläsern den Widerpart formuliert. Als wolle das Soloinstrument sich absetzen, zieht es sich in große Höhen zurück oder in ein eigensinniges Grübeln. Im Finalsatz schließlich, einem Allegro, versucht sich immer wieder Lockeres durchzusetzen, wird aber stets durch Starres ins Gegenteil gekehrt, selbst in der Kadenz, dem persönlichsten Bereich.

Violinist Vadim GluzmanViolinist Vadim Gluzman

Von allen Mitwirkenden fordert dieses letzte Solowerk Schostakowitschs äußerste Aufmerksamkeit und Können, vor allem das aber im letzten Satz in einem Höchstmaß vom Solisten. Mit erstaunlicher Sicherheit bewältigte das Vadim Gluzman, der in der Ukraine geborene, später nach Israel ausgewanderte Geiger. Seine Interpretation überzeugte das Publikum, begeisterte es, nicht zuletzt, weil ihm durch James Gaffigan das Orchester ein absolut sicherer Partner wurde. Er wiederum bedankte sich als Zugabe mit der feinsinnigen „Serenade“ von Walentyn Sylwestrow. Er ist ein Landsmann von ihm, dem wiederum 2022 der Internationale Schostakowitsch-Preis verliehen worden war.

Nach der Pause wurden wieder beide Seiten des Interesses von James Gaffigan deutlich. Zunächst erklang eine der früheren Sinfonien von Joseph Haydn, die Sinfonie 49. Ihre Tonart in f-Moll ist für Sinfonien sehr ungewöhnlich. Man weiß auch, dass ihr Beiname „La Passione“ nicht vom Komponisten selbst stammt. Wie sollte der auch helfen, als biblischer oder als psychischer Verweis? Dennoch ist der düstere, in Momenten auch entgegengesetzte Charakter vor allem im dritten Satz, einem Menuett, und im Presto des finalen vierten Satzes doch ein starkes, auftrumpfendes Trotzdem. Grandios wurde sie interpretiert.

Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Leitung von James GaffiganDas NDR Elbphilharmonie Orchester unter Leitung von James Gaffigan

Ebenso atemlos machte die oft eher grobschlächtig interpretierte „Egmont“-Ouvertüre, Beethovens Beschäftigung mit Goethes Befreiungs-Drama. Ungewöhnliche langanhaltende Akkorde ließen zu Beginn aufhorchen, ein sich entwickelnder Befreiungswille, auch die nur wenig gestreckten Pausen, die das erste Zögern der Unterdrückten verdeutlichen, ihre sich langsam steigernde Gegenwehr oder später dann der Siegesjubel, der zunächst nur ungläubig sich bei den Befreiten durchsetzt. Das ist eine spontane Sicht, die wieder alle begeisterte. Den großen Beifall zu teilen winkte der Dirigent den Musikern nicht nur vom Podest zu, er ging zu ihnen, teilte dort mit ihnen die Anerkennung, wo sie saßen. Sie waren es schließlich, die die Noten in Töne verwandelten, die seine innere Vorstellung umsetzten. Seine Haltung war das Ergebnis einer ehrlichen Gemeinschaftsleistung.

Fotos: Hildegard Przybyla


Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.