Was hätte das werden können! Judith Holofernes’ schnörkellose Texte in einem bewusst nüchternen Ambiente, das klang vielversprechend nach Wechselwirkung zwischen Musik, Gesang und Architektur.
Das dachte wohl die erwartungsfrohe Zuhörerschaft, die sich am Mittwochabend zahlreich in der Gollan-Werft einfand. Wie hätte man auch damit rechnen können, dass bei einer SHMF-Veranstaltung die Handhabung der Technik so kläglich misslingen würde?
Ein „Crossover mit den Färöern“ kündigte Judith Holofernes an, denn „ich möchte euch den Mann ans Herz tackern, mit dem ich acht meiner Songs für das neue Album geschrieben habe“. Teitur Lassen heißt der Musiker, der zwei ruhige Stücke namens „Looking For A Place“ und „I Would Love You All The Same“ vortrug. Ihn und seine Keys verstand man noch, wenn auch die Bässe schon unangenehm auffielen.
Holofernes jedoch brachte eine ganze Band mit, Percussion, Keyboard, Drums, Gitarre und Bass – und das war zu viel für die Techniker. Die Aussteuerung geriet derart miserabel, dass man schon einfache Textzeilen wie „Danke, ich hab schon“ kaum verstehen konnte. Der zweite Titel, „Nichtsnutz“, hätte ebensogut „mit muss“ lauten können, oder vielleicht „Mistfuß“?
Die eingefleischten Fans erkannten die Stücke an den ersten Takten, und sie amüsierten sich auch: Ergaben für sie doch die Anspielungen in den Anmoderationen einen Sinn. Alle anderen mussten froh sein, wenn sie einen Witz ausnahmsweise verstehen konnten. „Das einzige Lied, das unsere Anwesenheit auf einem Klassikfestival irgendwie rechtfertigen kann“, kündigte die Sängerin an und meinte damit „Oder an die Freude“, das zur berühmten Beethoven-Melodie mit den Versen „Freude, schöner Götterfunken // Tochter, mach' dein Physikum! // Wir betreten feuertrunken // Eigenheim, oh Eigentum!“ beginnt.
Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech
Der Götterfunken jedoch konnte nicht zünden; der Freude an Melodie und Text war durch Unverständlichkeit und Dominanz der Bässe die Grundlage entzogen. Ein Klangbrei war das, was im Publikum ankam. Immer mehr Zuhörer/innen wanderten in den Vorraum ab, wo der Sound etwas erträglicher war; immer mehr Menschen flüchteten nach draußen, sei es zum Rauchen, sei es auf Nimmerwiedersehen. Einer der Techniker, auf den Mangel angesprochen, versicherte, er verstehe „jeden Text 1A“ und erstickte damit die Hoffnung auf Abhilfe im Keim. Man kann sich nur wünschen, dass die Band die Ursache für den Publikumsschwund weder in ihrer Darbietung noch in den Texten sucht.
Ein wenig verunsichert wirkten die Sängerin und ihre Mitstreiter schon, etwas steif und abgespult die Moderation, doch wer wollte es einer Künstlerin verdenken, wenn sie von der Resonanz enttäuscht gewesen wäre. Wenigstens die treue Fangemeinde bejubelte beinah frenetisch jeden Song, so als müsste sie die Zurückhaltung der anderen Gäste ausgleichen. Holofernes mischte im Wesentlichen Stücke ihrer beiden Soloalben. „Die Leiden der jungen Lisa“ fehlten im Programm ebensowenig wie „Charlotte Atlas“ – doch was davon bei der Zuhörerschaft ankam: Wer weiß?
Die Fans schafften es, mehrere Zugaben herbeizuklatschen, wobei sich Holofernes die beiden Titellieder ihrer Alben bis zuletzt aufsparte. Nach dem bejubelten „leichten Schwert“ folgte zum Abschluss „Ich bin das Chaos“. Das konnte man an diesem Abend in einem ganz anderen Sinn verstehen, als wenn es nach ihrem Text gegangen wäre.
Kommentare
Bereits anläßlich des SHMF 2016 fand an gleicher Stelle ein Konzert von Sophie Hunger statt. Damals habe ich ähnliche Erfahrungen bezüglich des geschilderten Klangbreis gemacht.
Der Verweis auf die Techniker scheint mir zudem nur bedingt zielführend in diesem Zusammenhang. Diese können auch nur im Rahmen der örtlichen Gegebenheiten agieren. Das Lesen anderer Rückblicke auf „unser Lübeck“ (z.B. John Lee Hooker Jr.) verfestigt diesen Eindruck - zumindest aus meiner Sicht.
Danke für den anschaulichen Artikel!