Krzysztof Urbański 2016, Foto: (c) Olaf Malzahn

NDR Elbphilharmoniker in der MuK
Musik aus Europas Osten

Versucht man, in ihren Gesichtern zu lesen, darf man annehmen, dass die elbphilharmonie-verwöhnten Musiker auch gern in der Musikhalle ihrer hanseatischen Nachbarstadt auftreten.

Der herzliche Applaus des Publikums in Lübeck, der sie jedes Mal beim Auftritt empfängt und sie zu ihren Podiumsplätzen geleitet, wird von den meisten mit einem erfreuten Lächeln quittiert. Und das sei als Zeichen gegenseitiger Sympathie gedeutet. Vielleicht genießen sie es sogar, ein Podium zu be"sitzen", und nicht am Boden eines Trichters agieren zu müssen. Auf jeden Fall, und das sei gleich vorweggenommen, war an diesem Abend (am 24. März und nicht am 24. Februar, wie uns das Programmheft auf der Vorderseite weismachen wollte) Klangkunst der besten Art und mit Einsatz, mit Freude und Elan präsentiert zu erleben.

Musikalisch inspiriert wurde das Orchester durch Krzysztof Urbański, seit 2015 sein Erster Gastdirigent. Inzwischen ist der Dirigent in der Mitte der Dreißiger angekommen, überzeugte wieder durch seine jugendlich frischen, dennoch bestimmten, zugleich elegant und nahezu tänzerisch aussehenden Dirigierbewegungen. Besonders stimmig passten sie zu dem ersten Beitrag, einer reinen Streichermusik, die erst vor 30 Jahren entstanden war. „Orawa“ hatte der Komponist Wojciech Kilar sein zeitgenössisches Werk genannt. Im Programmheft ist eine knappe Erläuterung nachzulesen, deren Überschrift plastisch die Eigenart des Werkes erfasst.

„Hochgebirgs-Pattern“ steht da, und das bezieht sich zum einen auf das Konstruktionsprinzip der Komposition, zum anderen auf die folkloristische Anregung, die eine Tanzmelodie liefert. Mit ihr feiern die Senner und Holzfäller im Orawa-Gebiet, einer Gebirgsregion zwischen Polen und der Slowakei, das Ende des Herbstes. Das musikalische Material dieser Tanzweise liefert das Material, das in der Art der Minimal Music verarbeitet wird. Kurze Strukturen daraus kehren in Pattern wieder, die sich im Verlaufe des Stückes gegeneinander verschieben. Anders akzentuiert, melodisch oder harmonisch umgebildet, werden sie auch in der Instrumentierung oder Lautstärke in raffinierter Art ständig überraschend minimal verändert.

Frank Peter Zimmermann, Foto: (c) Irène ZandelFrank Peter Zimmermann, Foto: (c) Irène Zandel

Sehr reizvoll weiß der Komponist damit umzugehen, der schon durch Filmmusik auf sich aufmerksam machte, – die zu Coppolas „Dracula“ oder Polanskis „Der Pianist“ gehört dazu. Die leicht fassbare, zugleich wohlklingende Musik wurde sehr freundlich aufgenommen. Im Zentrum des Abends sollte Tschaikowskys Violinkonzert stehen. Es mochte einige Besucher enttäuscht haben, stattdessen Sergej Prokofjews Erstes Violinkonzert in D-Dur auf dem Programmzettel zu finden. Doch was Frank Peter Zimmermann mit ihm präsentierte, war mehr als ein vollgültiger Ersatz. Er ist in diesem Jahr der „Artist in Residence“ des Orchesters und hatte bereits im dritten Konzert der Saison sein außerordentliches Können im klassischen Repertoire mit dem Beethoven-Konzert nachgewiesen, soweit das bei dem weltweit geschätzten Solisten nötig ist.

Jetzt konnte er das frühe Werk Prokofjews wieder einmal aufführen. Er bezeichnet es als sein „Debüt-Konzert“, weil die Wiedergabe dieses sehr fordernden Werkes ihm seine Karriere vor 20 Jahren eröffnete. Man spürte eine faszinierende Leichtigkeit, wie er mit dem extrem schwierigen Solopart umging, man spürte die Vertrautheit mit dem Orchester, den die Zusammenarbeit in diesem Jahr gebracht hatte, und man spürte das selbstverständliche Miteinander von Dirigent und Solist, deren Auffassung sich ergänzten.

Prokofjew ist zu seiner Zeit ein erstaunlich virtuoser Pianist gewesen, wie an seinem Zweiten Klavierkonzert zu hören war. Das hatte Urbański hier mit dem Orchester erst vor einem halben Jahr zur Saisoneröffnung vorgestellt. Das Violinkonzert nun hat darüber hinaus ganz besondere, nur der Geige zugehörige klangliche Eigenheiten, die nach einem atmosphärisch dichten Beginn sich in erstaunlich vielen ungewöhnlichen Instrumentenkombinationen finden, im Pizzicato etwa mit Holzbläsern, im Spiel mit der Harfe oder im Duett mit der Tuba. Der dunkle, zurückgenommene Klang der Violine ist Beispiel für das eher stille Grundwesen dieses Konzertes, das nur im Mittelsatz durch sein keckes, groteskes Wesen einen anderen Ton findet. Das Besondere dieser Komposition muss auch den letzten Enttäuschten entschädigt haben, denn der Beifall war groß. Mit einem versonnenen Satz aus einer Solo-Sonate von Bach dankte Zimmermann.

Krzysztof Urbański 2016, Foto: (c) Olaf MalzahnKrzysztof Urbański 2016, Foto: (c) Olaf MalzahnVon ebensolcher Dichte und klanglicher Schönheit war die Wiedergabe von Antonín Dvořáks Siebenter Sinfonie, nach dem D-Dur des Konzertes nun ein d-Moll. Dass sie seltener als andere Werke des tschechischen Großmeisters gespielt wird, sieht man allein daran, dass diesmal (und wegen seines besonders großen Parts) Stephan Cürlis, der Paukist des Orchesters, Noten vor sich hatte, während er bei nahezu allen anderen klassischen Werken darauf verzichten kann. Doch hier ist er vor allem im Finalsatz Rückgrat des Stimmungswandels vom Düsteren in den drei vorderen Sätzen zum Wandel in ein hoffnungsvolles Dur. Immer wieder war zu bewundern, wie Urbański aus dem Orchester subtile agogische und dynamische Abstufungen herauszauberte, wie alle Gruppen höchst aufmerksam und präzise dieser Partitur zum Klingen verhalfen. Heftiger Applaus dankte wieder für ein großes Erlebnis.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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