NDR-Sinfoniekonzert mit Christoph Eschenbach, Foto: (c) Olaf Malzahn

Sinfonisches Finale in der Rotunde mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und dem Philharmonischen Orchester Lübeck

Gleich zwei Orchester versuchten am letzten Wochenende, der schwierigen Akustik in der Rotunde der MuK ein Schnippchen zu schlagen.

Am Sonnabend (8. April 2017) waren es zunächst die Elbphilharmoniker, die mit ihrem Residenzbau auch so ein paar Probleme haben. Die Akustik wurde dort viel gepriesen, die Schwierigkeiten, die sie macht, oft bemängelt. Das „Hamburger Abendblatt“ z. B. suchte jüngst (10. April) nach einem Auftritt der Pianistin Hélène Grimaud darauf eine Antwort: „Warum Huster in halb voller Elbphilharmonie so nerven.“ Doch für die Zuschauer oder Zuhörer gibt es weitere Probleme, über die das Blatt in der letzten Woche im Zwei-Tage-Rhythmus berichtete. Nicht nur, dass „an die geschwungene Architektur ... sich mancher der bisher 250.000 Konzertbesucher der Elbphilharmonie erst noch gewöhnen“ müsse (6. April), Schlimmeres beschreibt die Überschrift: „Viele Stürze – Elbphilharmonie wird nachgerüstet.“ „Neue Geländer und besser sichtbare Stufenkanten sollen für mehr Sicherheit der Konzertbesucher sorgen.“ Zwei Tage später wurde berichtet: „Verein empört: Elbphilharmonie ist nicht barrierefrei.“ Dabei geht es darum, dass „Blinde und Sehbehinderte fordern, bei Nachbesserungen mitsprechen zu können“, denn eine „Begehung offenbarte gravierende Mängel“. Ist das nun die Lösung, was am 12. April zu lesen war: „Stolperfalle Elbphilharmonie: Jetzt wird jede Stufe markiert“?

Christoph Eschenbach, Foto: (c) Olaf MalzahnChristoph Eschenbach, Foto: (c) Olaf Malzahn

Das mag dem geduldig (oder genervt) auf den Abschluss der Renovierungsarbeiten an Lübecks guter Konzertstube Wartenden ein kleiner Trost sein. Letztes Wochenende mussten sich beide, Musiker und Zuhörer, ein letztes Mal mit dem Provisorium zufrieden geben. Es ist eines, das aus der unabänderlichen Situation noch tatkräftig das Beste gemacht hat und dessen optischer Reiz gar nicht mal so wenig ankommt. „Welcher Konzertsaal lässt schon die Abendsonne so leuchtend herein“, staunte ein Besucher. Doch was bald kommt und in der nachösterlichen Woche der Presse im Voraus vorgestellt wird, lässt vor allem für die Akustik hoffen. Anderes wurde kaum beklagt. Neue Stühle, akustisch getestet und freigegeben, sowie „geschuppte Deckenstreifen mit seitlichen Abtreppungen, wellenförmige Holzpaneele und fünf geschwungene Reflektoren über dem Orchesterpodium“ werden „sichtbare Elemente einer ausgefeilten akustisch architektonischen Planung“ sein. Andere Finessen verstecken sich „hinter den Wänden, in Fußbodenaufbauten, bei der Anordnung von Fugen“, heißt es in der Presseeinladung. Man darf gespannt sein!

Elbphilharmoniker

Doch auch das Sonnabend-Konzert der Elbphilharmoniker war noch an alter Stelle ein grandioses Erlebnis. Immerhin waren die NDR-Musiker mit einem Riesenaufgebot von 114 Musikern angereist, um Gustav Mahlers monumentale 6. Sinfonie von nahezu eineinhalb Stunden Dauer zu zelebrieren. Entstanden war sie zwischen 1903 und 1904. Hatte der NDR am Tag vorher in Hamburg noch ein zeitgenössisches Werk vorangestellt, beschränkten sie sich jetzt auf die vier gewaltigen Sätze mit den berühmten drei Hammerschlägen im letzten. Zudem stand Christoph Eschenbach vor ihnen, der in Lübeck selbst Ereignis genug sein muss. Er ist bei den Elbphilharmonikern Ehrendirigent und nicht nur das beschwört Harmonie. Aus vielseitiger Zusammenarbeit kennt man sich. Auch ist Eschenbach erfahren genug, das Orchester sich selbst darstellen zu lassen. Und das tat es mit großen Tuttis, mit klangvollen Streicherpassagen, mit lebendiger Polyphonie oder mit imponierenden solistischen Leistungen, wobei das Horn hervorstach, auch im Duett mit der Ersten Violine.

Christoph Eschenbach, Foto: (c) Olaf MalzahnChristoph Eschenbach, Foto: (c) Olaf Malzahn

Eschenbachs Zeichen beschränkten sich deshalb zumeist auf die Einsätze und eine sehr präzise und sinnvolle Tempoführung. In der Akustik der Rotunde allerdings ergab es oft wegen der starken Besetzung einen übergroßen Druckschwall, der kaum zu vermeiden war. Der expressive Anspruch der Komposition lässt sich eben wenig zurücknehmen, ohne dass die Wirkung geschwächt wird. Das betrifft im ersten Satz schon die stampfenden tiefen Streicher und die Marschmelodik, auch die unruhigen Streicher, die zum Ende wieder die zwischenzeitliche Idylle mit fernen Herdenglocken zerstampfen. Der Marsch bestimmt auch das Geschehen im zweiten Satz, dem Scherzo, während der Klang des dritten Satzes mit seiner verhalteneren Melodik weicher gestimmt ist. Wunderbar hier der Einsatz des Horns im zweiten Abschnitt. Auch die Ländler-Episode wirkt besänftigend, vor allem der ruhige Abschluss des Satzes. Dem folgt dann der gewaltige Finalsatz mit seinen fortreißenden Eruptionen, die als Ausdruck von Mahlers visionären Befürchtungen gedeutet werden.

Viel Applaus gab es für diese überwältigende Wiedergabe.

Lübecker Philharmoniker

Nur wenige Stunden später, am Sonntagmorgen, präsentierten sich dann die Lübecker Philharmoniker, ein zweites Mal dann am Tag drauf, am Montag, worüber hier berichtet wird. Die Lübecker Musiker werden nicht minder die Rückkehr in den Raum erwarten, der als ihre Heimstatt geplant war und zu einem der besten norddeutschen Konzertsäle wurde. Jetzt musste erst noch einmal ein Gastdirigent in der akustisch erschwerten Situation sich beweisen, zugleich sich als geeigneter Bewerber um den in der nächsten Spielzeit vakanten GMD-Posten profilieren. Im ersten Teil mit zwei Jugendwerken von Richard Strauss, der selten aufgeführten Tondichtung „Macbeth“ und dem 1. Hornkonzert, und dann im zweiten mit dem wunderbaren sinfonischen Erstling von Johannes Brahms hatte er keine leichten Aufgaben bekommen, zumindest in der noch schwierigen Klangatmosphäre. Doch der gebürtige Wiener Philipp Pointner packte seine Aufgabe geschickt an. Schon bei der klanglich eher sperrigen Tondichtung bewies er, dass er die Sache im Griff hatte. Der „Macbeth“, die erste Komposition in diesem Genre, ist sicher nicht so einfach zu gestalten wie andere, hatte Strauss sich doch dem Geschehen in Shakespeares Drama wenig plastisch genähert, es eher psychologisch ausgedeutet. Doch Pointner formte lebendige melodische Abläufe, dynamisierte klug und erreichte einen spannungsvollen Ablauf.

Philipp Pointner, Foto: (c) Olaf MalzahnPhilipp Pointner, Foto: (c) Olaf Malzahn

Im Hornkonzert richtete sich naturgemäß die Aufmerksamkeit auf den Solopart. Ihn zu gestalten war eine der bedeutendsten Hornistinnen engagiert, Marie-Luise Neunecker. Ihre Sicherheit, ihre Klangschönheit und vor allem die melodische Gestaltung begeisterten wieder einmal, spielte sie doch nicht zum ersten Male mit diesem Orchester. Die von Strauss mit 18 Jahren geschaffene Komposition ist dem Vater gewidmet, der ein bedeutender Hornist war und dessen Erfahrung in die Partitur einfloss. Die weitgespannten Themen, die lebhafte Rhythmik und auch das weich gesungene Andante im Duett mit der Klarinette begeisterten. Pointner war der Solistin ein sicherer Partner, so dass sie stets im Vordergrund stand, nahm das Orchester vielleicht zu stark zurück.

Für den zweiten Teil mit der ersten Sinfonie von Brahms passte das gewählte Motto für dieses Konzert besonders. „Befreit von Vätern und Titanen“ bezieht sich bei dem großen Romantiker auf den Respekt, den er vor der Größe des beethovenschen Schaffens gehabt hatte und der ihn lange zögern ließ, ein Werk in dieser Gattung vorzulegen. Hier zeigte Pointner, dass er vital führen konnte. Im Andante sostenuto, dem zweiten Satz, setzte er bedachtsam Kontraste, auch im Piano, und gestaltete im guten Sinne romantisch, ohne die Gestaltung dem Gefühl zu opfern. Dem ein wenig zurückhaltend gestalteten dritten Satz folgte dann ein mit Ruhe aufgebautes Finale, das die Wiederkehr des Hauptthemas mit ständiger Steigerung im Auge hatte. Insgesamt bewies sich Pointner als ein Mann, der vieles dirigierend im Griff hatte, der vor allem kein Mann der ständigen Emphase war.

Hoffnung

Die Lübecker dürfen glücklich sein, wenn die bis zu Renovierung schon gute Akustik noch verbessert sein wird. Zu wünschen ist, dass das zu einem ähnlich vergrößerten Interesse an sinfonischer oder kammermusikalischer Musik führen wird, wie es durch den Bau an der Elbe geschehen ist.  


Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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