Vernissage im Turmzimmer des Lübecker Burgtors, Foto: Holger Kistenmacher

Possehl-Preis für Lübecker Kunst 2020 an Sebastian Schröder
Ausstellung "Memento Morbi" im Turmzimmer des Lübecker Burgtors eröffnet

Eigentlich war der Possehl-Preis für Lübecker Kunst ja bereits 2020 vorgesehen und vergeben worden. Dann kam aber Corona und die Ausstellung des Sieger-Künstlers, Sebastian Schröder musste verschoben werden. Also traf sich jetzt alles was Rang und Namen hatte in der Lübecker Kultur- und Kunstszene im kuscheligen Turmzimmer der Familie Lou Arndt und Max Zeidler, die die großzügige Wohnung im Burgtor privat bewohnen, aber Räumlichkeiten immer mal wieder für Kunst-Projekte zur Verfügung stellen.

Und es wurde richtig voll in den Kunsträumlichkeiten. Die Luft wurde weniger, während die Temperatur merklich stieg und einzelne Schweißperlen auf den Gesichtern der Besucher sichtbar wurden. Aber nun zum konkreten Ablauf der Preisverleihung und Vernissage der einzigartigen Schau: Zunächst gab Jan Carstensen auf seiner Smalpipe oder auch Sackpfeife ein kurzes Musikstück zum Besten, was bereits auf die Totentanz-Thematik der Ausstellung verwies. Max Schön überreichte dann die Urkunde (Possehl-Preis Lübecker Kunst 2020) und eine Schokotorte als Überraschung in Form einer Sense an den glücklich strahlenden Künstler Schröder.

Preisträger Sebastian Schröder und Max Schön (Vorstandsvorsitzender Possehl-Stiftung), Foto: Holger KistenmacherPreisträger Sebastian Schröder und Max Schön (Vorstandsvorsitzender Possehl-Stiftung), Foto: Holger Kistenmacher

Nebenbei wurden viele Gäste wie die Kultursenatorin Monika Frank, der Leiter der Lübecker Museen, Dr. Tilmann von Stockhausen und die neue Kunsthallen-Chefin Nura Dorani, wie auch der Stadtpräsident Klaus Puschaddel oder Oliver Zybock vom Overbeck-Kunstverein begrüßt. Gerade der Letztgenannte spielte bei der Auslobung des Possehl-Preises eine wichtige Rolle, wie Max Schön, der Vorsitzende der Possehl-Stiftung noch einmal betonte. Denn Oliver Zybock hatte die Idee, nicht nur alle drei Jahre einen Preis für Internationale Kunst (zuletzt an Doris Salcedo und Matt Mullican) zu vergeben, sondern auch die Lübecker Künstler/innen zu ehren, indem man Geld und Ausstellungsmöglichkeit für ein kreatives und außergewöhnliches Kunstwagnis zur Verfügung stellt.

Diesmal hat es also den Lübecker Künstler Sebastian Schröder getroffen, der als Medien-Künstler und experimenteller Fotograf bekannt ist. Seine Idee klang zunächst ziemlich verrückt: Mit Hilfe von sogenannten Bügelperlen wollte er zwei großformatige Werke schaffen, die sich mit der Tradition des Lübecker Totentanzes auseinander setzen sollten. Herausgekommen sind nun zwei an Kirchenfenster mahnende große Werke, die aus insgesamt 40.000 Plastikperlen auf 544 einzelne Kacheln gebügelt wurden. Durch das Bügeln ergibt sich ein vorsichtiges Zusammenschmelzen der einzelnen Plastikperlen, die dann ein großes Mosaik ergeben. Eine wahre Fleißarbeit, die in fast zwei Jahren Corona-Zeit entstanden ist. Dabei hatte der Künstler tatkräftige Unterstützung von insgesamt 12 Helfer/innen, die die künstlerische Arbeit „Zwischen Folter und Meditation“ als Puzzlearbeit erledigt haben. Tatsächlich ist das zweite Bild mit den tanzenden Gerippen erst vor zwei Tagen fertig geworden, wie der Künstler zu berichten wusste.

Foto: Holger KistenmacherFoto: Holger Kistenmacher

Wie der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, Dr. Johann Hinrich Claussen in seiner Laudatio zur Preisverleihung erwähnte, geht es in den ausgestellten Werken nicht um den Tod, sondern um die Krankheit. Deshalb hat Schröder seine Schau auch „Memento Morbi“ genannt und nicht Memento Mori. Der Hintergrund sei natürlich die moderne Seuche Corona, die uns weltweit betroffen hat. Zu sehen ist das auf dem linken Mosaik, wo ein einsamer Leser allein in einer großen Bibliothek sitzt und liest. Wie wir alle, war er isoliert. Das zweite Mosaik zeigt tanzende Gerippe, aber auch weisse Nerze, die darauf verweisen, dass auch tausende von Nerzen in Dänemark wegen des Virus gekeult wurden.

Aber Sebastian Schröder verarbeitet in seiner Kunst auch seine eigene Erkrankung. Seit er 20 Jahre alt ist, leidet er unter Morbus Bechterew. Erst nach weiteren zehn Jahren stand die Diagnose fest und konnte durch eine sehr aufwendige und kostenintensive Spritzentherapie verbessert werden. Auch diesen Prozess hat Schröder in ein Kunstwerk verwandelt. So ist Installation in einer Fensternische, Foto: Holger KistenmacherInstallation in einer Fensternische, Foto: Holger Kistenmachereine großartige Setzkasten-Installation ausgestellt, in der er über 500 Spritzen zeigt, die er sich selbst geben musste. Dazu sieht man ihn dreimal als gekrümmte nackte Person. Aber auch seine experimentellen Fotoserien in lila Tönen verweisen auf den Tod und die Krankheit, die alle treffen können. Er macht seine Fotos übrigens mit kaputten Kameras, wobei er nie weiss, was dabei wirklich rauskommt. Darüber hinaus sind in den verschiedenen Räumen des Burgtor-Turmes noch viele weitere Werke von ihm zu sehen. Zum Beispiel eine morbide Installation in einer Fenster-Nische aus Pflanzenteilen und Fotos oder eine Dia-Schau an einem Webstuhl.

Wie schon der Laudator Claussen sagte: „Es ist natürlich eine Binsenweisheit, dass man Kunst von Angesicht zu Angesicht betrachten muss, um sie zu begreifen“. Bei der Kunst von Sebastian Schröder muss man manchmal ganz nah rangehen, um die Verschmelzung der Plastikperlen zu erfassen. Dazu hat der/die Kunst-Interessierte noch bis zum 7. Mai 2023 die Gelegenheit. Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag von 15-18 Uhr. Der Künstler bietet jeden Sonntag um 15 Uhr auch persönliche Führungen an, um sein Werk zu erläutern. Alles im Turmzimmer des Burgtores in der Großen Burgstraße 5 in Lübeck.

Fotos: Holger Kistenmacher



Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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