Possehl-Preisträger Matt Mullican in der Petri-Kirche
Die geheimnisvolle Welt der Zeichen und Zahlen

Ein großformatiges Spektakel von insgesamt 211 riesigen Leinwänden, die zu jeweils sechs Meter hohen Bildflächen in mehreren Reihen angeordnet sind, erwartet den Besucher in der gotischen Hallenkirche von St. Petri in der Lübecker Altstadt.

„Church“ hat der amerikanische Konzeptkünstler seine Schau betitelt, die aus dem sogenannten „Berlin Block“ besteht, und deren Monumentalität den Kirchenraum in seiner besonderen Geometrie und Höhe vereinnahmen und betonen. Schwarze Zeichen, Zahlen und teilweise comicartige Bilder in der charakteristischen Frottage-Technik sind das Leitmotiv dieser riesigen sprachlichen und semantischen Reise durch die oft rätselhafte Welt des Matt Mullican. Schrift, Miniatur-Texte, technische Zeichnungen von Maschinen und Fantasie-Landschaften stehen neben häufig wiederkehrenden Kreisen und stilisierten Gesichtern. Manches steht für sich allein, anderes lässt sich nur aus dem Zusammenspiel der Elemente dechiffrieren. Trotzdem bleibt das meiste geheimnisvoll bis mysteriös.

Mitunter fühlt man sich wie in einem antiken Weltbild, was vielleicht an der antiken Frottage-Technik liegt, die man schon im alten China kannte und die von Max Ernst um 1925 wieder in die moderne Kunst eingebracht wurde. Dabei werden Formen und Elemente auf weißem Papier abgerieben. Die schwarz-weiße Oberfläche der Leinwände überlässt dabei aber vielerlei Schichtungen der Thematik der Fantasie des Betrachters.



Die Vielfalt der Motive, vom Teufelchen bis hin zu PopArt-Figuren und Comics, aber auch Abstraktionen, Chiffren und Symbole machen eine konkrete Einordnung schwierig. Immer aber geht es Mullican in seinen Arbeiten um das Verhältnis zwischen Raum, Bild und Erlebnis, was ein zentrales Thema seines Werkes ist. „Woher komme ich?“ Und „Wohin gehe ich“? sind die Fragen, die sich der Künstler in einer Zeit der Vergänglichkeit stellt.

Es bleibt also rätselhaft. Besonders wenn man sich noch seine sogenannte „Höhle“ anschaut, ein kleiner abgeschlossener Raum im Ostchor der Kirche. Dort hat er ein Sammelsurium von Alltagsgegenständen und Fotos aus Klatschmagazinen und Modezeitschriften neben handschriftlichen Rezepten für Reibekuchen und Gemüseaufläufen versammelt, die aus früheren Arbeiten des Künstlers stammen. Und über allem schwebt eine riesige gelbe Fahne mit kreisrundem Symbol.

Die Ausstellung „Church“ ist bei freiem Eintritt noch bis zum 06.11.2022 in der Petri-Kirche zu sehen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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