Rapper Samy Deluxe trifft in der MuK auf das Mikis Takeover Ensemble
Gelungenes Cross-Over-Experiment in der „Lübecker Aula“

Die große Konzertsaal der Lübecker Musik- und Kongresshalle ist prall gefüllt mit Kapuzen-Pullovern, Baseball-Kappen und genretypischen Oversize-Hosen, sie prägen das Bild der Besucher*innen. Ein eher untypisches Publikum für das Kammermusik-Orchester des „Takeover!Ensembles“ von Miki Kekenj, das den Abend klassisch mit einem Satz aus dem „Concerto Grosso“ von Antonio Vivaldi eröffnet - und das Volk jubelt begeistert.

Besonders laut wird es, als der Orchester-Chef den „Coolen“ des Abend ankündigt: Samy Deluxe - seines Zeichens Hochgeschwindigkeits-Rap-Star aus Hamburg. Hochkultur trifft auf eine der prägendsten Figuren des deutschen HipHop. Kann das funktionieren, haben sich sicherlich viele im Vornherein gefragt. Dabei hat der imposante Rapper, mittlerweile 48jährig und mit angegrautem Vollbart, lässiger Hippie-Klamotte und schwarzem Fischerhut, bereits mit seinem vorletzten Album von 2019 „Hochkultur“ angesagt, worauf 2023 auch noch „Hochkultur 2“ folgte. „Mach die Musik mal leise/ Das letzte Sprachrohr, was der Jugend noch bleibt/ Literatur unserer Zeit/ aber das ist wo sich Kultur unterscheidet/ Obwohl wir Millionen erreichen, keine Pulitzerpreise,“ rappt er im Eröffnungsstück „Requiem“ von seinem jüngsten Album.

Mikis Takeover! EnsembleMikis Takeover! Ensemble

Sein Ziel ist relativ klar, er will für HipHop die kulturelle Anerkennung bekommen, die es seiner Meinung nach verdient hat: Reime gehören in die Konzerthäuser! Seit gut dreißig Jahren macht sich der Hamburger Musiker stark für sein Genre. Als Pionier des Conscious Rap in deutscher Sprache, der sich früh gegen den Hass- und Gangster-Rap positioniert hat, behandelt er in seinen Songs den Zustand des Landes und der Welt. Schon 2001 hat er als Mensch mit dunkler Hautfarbe über Ausgegrenztheit gesungen auf seinem Solo-Debüt: „Umgeben von Skinheads, die Türken und Afrikanern das Leben nehmen, während Bullen daneben stehen, um Problemen aus dem Weg zu gehen“, ein Stück, das er auch gegen Ende des Konzerts spielen wird: „Weck mich auf“.

Aber heute Abend sind er und das Kammer-Ensemble von Leiter Miki Kekenj mit einem Bildungsauftrag in die „Lübecker Aula“ gekommen, wie sie den wunderbaren Konzertsaal der MuK nennen, nämlich die Aufmerksamkeit jenseits des klassischen Bass-Drum-Rhythmus auf die Harmonien und Texte zu lenken. Also auf das gesprochene, gerappte, gereimte oder auch gesungene Wort - und auch singen kann Samy Deluxe recht ansehnlich. Dabei wird er unterstützt von seinen beiden wunderbaren Background-Sängerinnen Alexandra Prince und Melissa Audrey und natürlich dem hochklassischen Ensemble an den uralten Instrumenten, wie er stolz verkündet. So sei das Holz des Violoncello, das von Valentin Priebus gespielt wird, aus dem 16. Jahrhundert. Dazu kommen zwei Violinen (Miki Kekenj, Gorgana Petrov), Bratsche (Erin Kerby), Kontrabass (Max Dommers) sowie die Disney-Prinzessin des Ensembles, Marta Dotkus am Cembalo.

Samy DeluxeSamy Deluxe

Zwischen den Stücken erzählen Miki und Samy lustige Geschichten über die Entstehungsgeschichte des Cross-Over-Projektes, wofür sie sich zum Proben in den Bergen getroffen hätten, immer umgeben von den zahlreichen Kindern der Musiker*innen. So sieht es auch Samy Deluxe als seine Aufgabe der musikalischen Früherziehung, als er einem Kind im 3. Stück des Abends erklären musste, was es bedeutet, wenn er über einen „Joint-Stummel im Aschenbecher“ rappt. Oder die beiden erklären dem Publikum die entscheidenden Unterschiede zwischen Klassik und HipHop: Wir Klassiker müssen uns andauernd verbeugen, während sich Samy Deluxe eigentlich nie verbeugt, wie er erklärte.

Dafür machen die klassischen Musiker mehr Pausen, was dann wiederum seinen Rauchkonsum mächtig steigere. Und so ist es dann auch, nachdem sie zusammen, aber auch mit dem Publikum den Song „Haus am Meer“ vorgetragen haben: „Ich will mehr, mehr, mehr. Ich will kein Haus am See, ich will ein Haus am Meer“ singt Samy in Anlehnung an Peter Fox. Aber auch Marta Dotkus am Cembalo beweist ihre große Klasse, als sie zu der Nummer Maskenball ein wunderbares Solo hinlegt, während Samy textet: „Du hast eine Maske auf, doch ich kann dich sehen“. Dann folgte zur allgemeinen Erfrischung mit Joint, Zigarette und Bier eine 20-minütige Pause, die von den Fans wie gesagt vielfältig genutzt wurde.

Miki KekenjMiki Kekenj

Danach geht es wunderbar und manchmal auch heiter weiter. „Stumm“, „Blumen“, „Eines Tages“ und „Ego“ folgen. Dabei sind die Arrangements von Kekenj unaufgeregt, mal als barockes Element auf dem Cembalo angedeutet im Intro oder als großes Solo von Kekenj selbst auf der Violine. Dabei kann das Ensemble schon auf diverse Kooperationen mit anderen Genres und Musiker*innen wie Stefanie Heinzmann, Joy Denalane, Curse oder Bosse zurückblicken. Allerdings fehlt bei der gesamten Geschichte der typische Druck von Beat und Bass, der das geschmeidige Singen von Samy Deluxe normalerweise begleitet. Sein Flow und seine überragende Rap-Geschwindigkeit sind in Deutschland absolut stilprägend. Dazu baut er natürlich auch immer szenetypische Querverweise, aber auch Hinweise bezüglich Literatur und Kunst in seine Songs ein. So "droppt" er im Stück „Poesiealbum“ (2011) reihenweise die Namen von Dichtern und Lyrikern, wie Schiller, Goethe, Brecht und Heine.

Am Ende des großartigen Konzerts kommt noch der besagte Klassiker „Weck mich auf“, zu dem Miki Kekenj seine Violine in eine Trommel verwandelt, um den Beat vorzugeben. Das begeisterte Publikum gibt einen Riesenapplaus, Standing Ovations und fordert natürlich sofort noch eine Zugabe. Zum Finale, wo alles steht und die Hände in die Luft wirft, wird dann noch ein Klassiker aus Dynamite Deluxe-Zeiten aus dem Jahre 1999 zu Gehör gebracht: „Ladies & Gentlemen“ in einer sehr abgefahrenen Swing-Jazz-Version.

Samy Deluxe und Mikis Takeover EnsembleSamy Deluxe und Mikis Takeover Ensemble

Auch wenn während des gesamten Abends der typische elementare Bestandteil des Rap, der treibende Beat und der Bass fehlten, war das Experiment eigentlich sehr konsequent umgesetzt: Druck rausnehmen, dafür den vollen Fokus auf Text, Gesang und Harmonie richten - und das ist ganz wunderbar gelungen, wie auch das zufriedene Publikum begeistert feststellte. Denn wie hatte Samy Deluxe ganz am Anfang angekündigt: „Dies ist keine Promo-Tour, dies ist Hochkultur“.


Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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