Der coolste Türsteher der Gala, Foto: Holger Kistenmacher

61. Nordische Filmtage Lübeck
Die Filmpreis-Gala 2019

Wie immer ist das Gedränge und der Auflauf am roten Teppich im Lübecker Theater groß. Kinogrößen aus Nah und Fern, die lokale Politszene vom Bürgermeister über die Kultursenatorin bis zu den Linken, dazu Kulturmenschen aus der Region und Stadt und sonstige, die sehen und gesehen werden wollen, sind versammelt und prosten mit dem ersten Sekt auf eine schöne Gala an.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, heißt es für mich wie jedes Jahr: Drängeln und sich Durchsetzen gegen die Kamerakollegen am roten Teppich. Schnell ein Getränk und rein geht es in die erste Reihe für die fotografierende Zunft. Der Saal ist rappelvoll, die freundliche Kellnerin nimmt mein Glas zurück, der coole Türsteher mit seinem Extrem-Bart ist auch schon abgelichtet, die Show kann beginnen.

Der Neue: Moderator Philipp Jeß, Foto: Holger KistenmacherDer Neue: Moderator Philipp Jeß, Foto: Holger KistenmacherIm Halbdunkel starten die „Solisten“ als Abend-Band mit kriminellem Sound die Gala. Als Neuling erscheint NDR-Mann Philipp Jeß im Trenchcoat als Agent für seinen Job als Moderator des Abends. Als Nachfolger von Jarid Dibaba, der jahrelang charmant und witzig, sowie dreisprachig (deutsch, englisch, platt) durch das Programm geführt hatte, muss Jeß dessen große Schuhe erst mal ausfüllen.

Sein Einstiegs-Interview mit den Chefs des Festivals Linde Fröhlich und Florian Vollmers beginnt auf Englisch mit der Frage nach Problemen und Klima des Festivals: So musste Linde Fröhlich einen Luftballon aus dem Fulldome-360-Grad-Kino angeln, den ein Kind steigen ließ, und der finnische Regisseur Paul-Anders Simma blieb im ersten Schneesturm des Jahres hängen, konnte also die Filmtage nicht erreichen. Sonst alles im grünen Bereich, wie der viele Sonnenschein der ersten Festivaltage bewies.

Mika Kaurismäki in Lübeck, Foto: Holger KistenmacherMika Kaurismäki in Lübeck, Foto: Holger Kistenmacher

Vom Sonnenschein habe ich dieses Jahr nicht viel mitbekommen, saß ja im Kino, um auch die meisten der Preisträgerfilme zu sehen. Und ich lag mit meiner Vermutung bezüglich des Publikumspreis goldrichtig: „Master Cheng“ vom Finnen Mika Kaurismäki bekam für diesen super Wohlfühlfilm verdient den Preis. Es stimmten alle Zutaten für einen Film: Gute, sympathische Schauspieler, eine coole Landschaft (Nordfinnlands Weiten), schrilles Personal, kultige Klischees zwischen Sauna und Tango und superbes Essen, so lecker und heilend. Kaurismäki betonte im Interview auch besonders, dass er den Film wegen der tollen chinesischen Küche gemacht habe und ein positives Zeichen bezüglich Integration von Menschen in seiner Heimat Finnland setzen wollte.

Aurora-Regisseur Miia Tervo aus Finnland, Foto: Holger KistenmacherAurora-Regisseur Miia Tervo aus Finnland, Foto: Holger Kistenmacher

Überhaupt war Finnland neben dem klassischen Abräumerland Island (letztes Jahr gleich 4 Preise für „Gegen den Strom“) zweiter Sieger beim Einsammeln von Filmpreisen. Auch der Preis für den besten Debütfilm vom Freundeskreis der NFL ging in das Land der 10.000 Seen: „Aurora“ von Miia Tervo überzeugte als freche Komödie aus dem fernen Lappland, wo ein saufendes Partygirl einen alleinerziehenden Vater und Flüchtling aus dem Iran unter die Haube bringen will, damit er im Land bleiben kann. Eine großartige Hauptdarstellerin (Mimosa Willamo) mit drastischen Gemütszuständen und einer unbändigen Feierlaune zwischen Spaß und Absturz verliebt sich schlussendlich romantisch in den Flüchtling. Auch hier gelingt die Integration am Ende.

Preis der Kinderjury für Christian Dyekjaer (Dänemark), Foto: Holger KistenmacherPreis der Kinderjury für Christian Dyekjaer (Dänemark), Foto: Holger Kistenmacher

Auch nach Finnland geht der Kinder- und Jugendfilmpreis: „Stupid young heart“ von Selma Vilhunen ist eine intensive Milieustudie über Teenager-Eltern in einem Brennpunktviertel von Helsinki, wobei auch das Abdriften des 15jährigen Vaters in die rechtsradikale Szene und daraus folgend in den Knast den Film dramatisieren. Für die lustige Kinderjury war aber „Lucia und der Weihnachtsmann“ von Christian Dyekjaer aus Dänemark der Streifen des Festivals, weil damit auch endlich mal ein Mädchen Nachfolgerin vom Weihnachtsmann werden soll.

Baltischer Filmpreis für Sons of Denmark von Ulaa Salim  mit den Diven von Finnland als Laudatorinnen, Foto: Holger KistenmacherBaltischer Filmpreis für Sons of Denmark von Ulaa Salim mit den Diven von Finnland als Laudatorinnen, Foto: Holger Kistenmacher

Auch die Baltischen Filminstitute, die den baltischen Filmpreis vergeben, entschieden sich für einen dänischen Streifen: „Sons of Denmark“ von Uula Salim, ein packendes Stück Politkino über Neonazis und den Kampf dagegen wurde als gegenwärtig besonders wichtig und richtig erachtet. Ein kontroverser Streifen zwischen Nazigewalt und islamistischem Terror, der völlig aus den Fugen gerät – Gegenwartskino, obwohl der Streifen im Jahre 2025 spielt.

Kirchenpreis für 'Echo' von Runar Runarsson (Island), Foto: Holger KistenmacherKirchenpreis für 'Echo' von Runar Runarsson (Island), Foto: Holger Kistenmacher

Dann aber kam Island. Nicht nur der Episodenfilm „Echo“ von Runar Runarsson aus 56 Minidramen rund um Weihnachten und Silvester, der den Preis der evangelischen Kirche bekam, sondern vor allem „Weißer, weißer Tag“ von Hlynur Palmason mit dem isländischen Filmstar Ingvar Sigurdsson in der Hauptrolle bestätigte die Abräumer-Qualitäten der isländischen Filmkultur.

Islands Schauspielstar Ingvar Sigurdsson holt den Hauptpreis für 'Weißer, weißer Tag' ab, Foto: Holger KistenmacherIslands Schauspielstar Ingvar Sigurdsson holt den Hauptpreis für 'Weißer, weißer Tag' ab, Foto: Holger Kistenmacher

Der mit 12.500 Euro dotierte große NDR-Preis des Festivals geht an „Weißer, weißer Tag“, eine düstere Studie über einen Ex-Polizisten, dessen Leben als Witwer völlig aus dem Ruder gerät, als er erkennt, dass seine verstorbene Frau ihn vor dem Tod betrogen hatte. Der verhärtete, aber auch liebevolle Großvater verliert völlig die Fassung und dreht total durch, läuft Amok und will Rache. Ein großartiges Psychogramm, grimmig dargestellt vom wunderbar symphatischen Ingvar Sigurdsson.

Kurzfilmpreis für Ascona von Julius Dommer aus Ratzeburg, Foto: Holger KistenmacherKurzfilmpreis für Ascona von Julius Dommer aus Ratzeburg, Foto: Holger Kistenmacher

Aber auch Schleswig-Holstein darf sich freuen, denn der Kurzfilmpreis ging diesmal nach Ratzeburg. Jung-Regisseur Julius Donner (für Ascona) konnte sein Glück auf der Bühne kaum fassen. Sein 15-Minuten-Streifen über einen Minigolfplatz in Bad Oldesloe scheint völlig aus der Zeit gefallen und überzeugt mit trockenem Humor und Gesellschaftsanalyse.

So sehen Sieger aus, Foto: Holger KistenmacherSo sehen Sieger aus, Foto: Holger Kistenmacher

Dann ging es endlich an den Biowein von Landwege, wie Moderator Jeß schon diverse Male während der Gala versprach und Häppchen wurden vertilgt, als wenn es tagelang nichts zu Essen gegeben hätte. Also nichts Neues bei der Aftershow-Party.

Ein geschaffter Holger Kistenmacher sagt tschüs! - und man sieht sich bei den 62. Filmtagen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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