Der Choreograf und Direktor des Pariser Chaillot Théâtre national de la Danse ist bekannt für seine außergewöhnlichen Kollaborationen mit Menschen außerhalb der Kunstwelt. Zwar hat er auch mit Tanz-Größen wie Meg Stuart oder Christian Rizzo zusammen gearbeitet, bekannt gemacht haben ihn aber Produktionen mit ehemaligen Box-Champions, populären Wrestling-Stars oder Zirkusartisten. Jetzt hat er sich mit zwei Meister*innen der Kletterei und des Hochseils zusammen getan.
Die Schweizer Klettermeisterin Nina Caprez und der Highline-Weltrekordhalter Nathan Paulin, sowie sieben Mitglieder seiner Tanz-Compagnie haben jetzt eine spektakuläre Show mit extrem hoher Fallhöhe auf die große Bühne von Kampnagel gezaubert. Ausgestattet mit einer riesigen weißen Kletterwand und einer gewaltigen Slackline auf Höhe der Scheinwerfer kommt die ansonsten leere Bühne daher. Zunächst wird ein Video auf die weiße Wand projiziert, die gewaltige Bergwelten mit massiven Tälern und Flusstiefen zeigen.
Foto: (c) Pascale Cholette
Dann wird langsam deutlich, dass sich eine winzige Person hoch über der Talsohle vorsichtig auf einem nur 2 cm breiten Band bewegt, während der Wind das Seil in Bewegung setzt. Aus dem Off erzählt der Hochseil-Artist über Konzentration, Selbstvertrauen und Ängste. Während die Slackline unter ihm schwingt, setzt er sehr langsam und stets balancierend einen Fuß vor den anderen. Er läuft barfuss und ist nur durch eine kurze Leine gesichert. „Jede Bewegung deines Körpers überträgt sich auf die Line und dann wieder auf dich. Du bist mit dir selbst konfrontiert. Als ich jung war, hatte ich Höhenangst. Jetzt kann ich in der Luft laufen. Es fühlt sich an wie fliegen“, erklärt er.
Die Highline gebe ihm das Selbstvertrauen, mit der Angst fertig zu werden, besonders wenn man Dinge tut, die niemand zuvor gewagt hat. Zum Beispiel sein Weltrekord, bei dem er 2.240 Meter auf dem schmalen Band vom Festland hinüber zum Mont Saint Michel gelaufen ist im Jahr 2022. Aber auch sein Spaziergang in 70 Meter Höhe vom Eiffelturm zum Dach des Theatre Chaillot war extrem spektakulär.
Dann taucht der Extremsportler plötzlich hoch über den Köpfen der Besucher von Kampnagel kurz unterhalb der Licht-Batterie auf. Zwar nicht ganz so sensationell wie in den Videos aus den Bergen, aber trotzdem reichlich hoch, so dass das Publikum sofort in seinen Bann gezogen wird. Begleitet von melodischer Musik schreitet Nathan Paulin behutsam über das Seil, während er erklärt, dass er manchmal über sich selbst nachdenkt und sich fragt: „Was mache ich hier überhaupt?“
Foto: (c) Pascale Cholette
Dann tauchen plötzlich acht Performer*innen oben auf der Kletterwand auf und hangeln sich die Wand herab. Es beginnt ein poetischer Dialog zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Hochseil-Artisten und den Menschen am Boden und in der Wand. Sie laufen die Wand hoch, springen sich rasant in die Arme und bauen menschliche Pyramiden. Immer wieder fallen einzelne Tänzer*innen voller Vertrauen aus großer Höhe in die Arme der starken Fänger. Geworfene Frauen und ein Tänzer fliegen akrobatisch durch die Luft und landen sicher in den Armen der anderen Tänzer. Drei Personen übereinander balancieren über die Bühne, während alles so leicht und spielerisch aussieht.
Spektakulär und gefährlich sind die Aktionen, die auch schon einmal daneben gehen können, wie die Schweizer Kletter-Künstlerin Nina Caprez erklärt, während man auf der Videowand sieht, wie sie eine Steilwand hoch klettert und plötzlich den Halt verliert. Meterweise stürzt sie in die Tiefe und lässt sich von ihrem Sicherheitsseil auffangen, um sofort wieder aufzusteigen. Sensationell. Dabei bleibt eine der Tänzerinnen am Boden liegen, während aus dem Off die Stimme erklärt, dass ein Kollege beim Absturz schwer verletzt wurde durch das fallende Gewicht, während Caprez unbeschadet blieb.
Dieser Bruch mit der spektakulären akrobatischen Perfektion verleiht dem Stück eine weitere authentische, ehrliche Dimension und berührt. Nichts ist ohne Risiko. Trotz größter Körperbeherrschung schwingen Ängste und Gefahren immer mit im Spiel der Faszination.
Foto: (c) Pascale Cholette
Als sich am Ende selbst der Hochseil-Star aus seinem Sicherheitsseil ausklingt und in die Hände der Tänzer*innen fallen lässt, fällt die Last ab und er wird Teil von ihnen. Die Schwerkraft wurde besiegt, aber hat seine Kinder wieder alle auf den Boden gezwungen. Der Dank waren minutenlange Standing Ovations des begeisterten Publikums.