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"Der längste Tag" von Jonas Selberg Augustsen
Finnische Tristesse vom Feinsten

Stoisch, trist wie ein alter Kaurismäki-Film kommt der aktuelle Episodenfilm vom schwedischen Regisseur Augustsen daher, den er zur Mittsommerzeit in den finnischen Wäldern nördlich des Polarkreises angesiedelt hat. Es wird wenig gelächelt, aber viel lamentiert.

Die Sieg-verwöhnte Schlittenrennfahrerin zu Wasser und zu Lande gewinnt zwar jedes Rennen und sackt die hässlichen Pokale ein, kann sich aber nicht freuen und jubeln. Mit ihrer Freundin sitzt sie nach dem Rennen gefrustet im Auto und denkt über das Ende ihrer Rennfahrerkarriere nach, während heftigste Death-Metal-Musik aus den Lautsprechern dröhnt.

Absurditäten, wie das Loch im Fußboden eines Elektronik-Supermarktes verunsichern den Chef, während er ewig per Durchsage zur Kasse 2 gerufen wird und sich dabei Sorgen um seine Gesundheit macht.

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Gelangweilte Rentner, die ihren Alltag mit Alkohol auf einer Bank am Friedhof rumzukriegen versuchen, während man aus dem Off lustige Stimmen von fröhlichen Menschen hört, treffen auf den gefrusteten Holzfäller, der sich mit Umweltschützern rumärgern muss. Die stiften unter Fanfarenklängen und Ansprachen einen Baum, der traurig allein in einer trostlosen Hochhaussiedlung gepflanzt wird, wo sonst nichts wächst. Kommentar der Rentner: "Es irrt der Mensch, solang er strebt"!

Auch die Millionen teure Elchbrücke über eine Straße mitten im Wald entpuppt sich als sinnlos, weil trotz Kameraüberwachung über ein Jahr, nicht ein einziger Elch die sichere Passage genutzt hat. Mittsommer nördlich des Polarkreis hat noch einige andere frustrierende Ereignisse und Protagonisten zu bieten, wie den Fernfahrer, der an seinem 65. Geburtstag seine letzte Tour fährt, bevor er in Rente gehen muss, oder die indische Touristenfamilie, die durch endlose finnische Wälder fährt, auf der Suche nach der Mittsommersonne und Elchen. Erlösung erhofft sich der Fernfahrer durch die Bibel, als er Johannes den Täufer für sich entdeckt und später eine Selbst-Taufe im See versucht. Und über allem brennt die Sonne ohne Unterlass, und dunkel will es auch nicht werden.

Absurd horrormäßig wird die Situation, wenn die Mutter, die nicht schlafen kann, im Traum plötzlich mit abgehackten Beinen im Bett erwacht - war aber glücklicherweise nur ein Albtraum. Der genervte Supermarkt-Chef versucht sich derweil, bei Meditationsklängen und Atemübungen zu entspannen, was natürlich nicht klappt, weil im Hintergrund ständig nach ihm geklingelt wird.

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So reihen sich eine Absurdität an die andere. Der Frust hört nicht auf. Gute Stimmung will nicht aufkommen. Der Grad zwischen Irritation, Trauer, Wut und Angst ist schmal, während Hoffnung und Freude kaum vorkommen. Notfalls hilft dann immer noch der Alkohol oder die Idee, das Loch in der Kaufhausdecke ganz modern mit einer Rolltreppe zu schließen. So philosophiert sich der Film durch die Untiefen des Lebens, und die mittlerweile besoffenen Waldarbeiter arbeiten sich am Auto der Umweltschützerin ab. Einer versucht sogar, den neuen Baum im Park umzuschubsen, scheitert aber am Alkohol-bedingten Unvermögen, und im zweiten Versuch, weil er die Motorsäge nicht angeschmissen kriegt. Zur Strafe landet er später in Zwangsjacke am Bäumchen.

Auch der Fernfahrer auf den Spuren von Johannes dem Täufer findet keine Erlösung, sondern kollidiert stattdessen im Dauerregen mit einem Elch, nach dem die indischen Touristen immer noch auf der Suche sind, während der Supermarkt-Chef selbst durch das Loch im Boden fällt.

Ein derber Film zwischen Melancholie, Frust, Verzweiflung und lakonischem Horror, der mitunter an Filme des schwedischen Regisseur Andersson erinnert. Aber dann keimt Hoffnung auf, denn plötzlich taucht doch noch ein Elch auf der scheinbar unsinnigen Elch-Brücke auf, während die Sachbearbeiterin dort weinend sitzt. Die Hoffnung stirbt eben doch zuletzt, und ein bisschen Licht am Ende des Tunnels zeigt sich auch hier. Denn nicht jeder Albtraum erweist sich als Wahrheit. Vielleicht sollte man einfach einmal die Vorhänge aufziehen und die Sonne reinlassen, dann finden sich auch unter dem Bett die letzten drei Puzzleteile.

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Ein Film für echte Filmfestfreunde und Finnland-Freaks, die selbst den düstersten Filmen noch Positives abgewinnen können. Schließlich wird dort oben jedes Mittsommerfest mit einem Riesenfeuer und einer lustigen Party bis spät in der Nacht gefeiert.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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