Filmszene aus 'A Song Called Hate', Foto (c) Eggert Jóhannesson

62. Nordische Filmtage Lübeck
Typisch Nordische Filmtage?

Nein - dieses Jahr ist alles anders - Corona sei Dank! Das gesamte Festival findet nur digital statt, und als Freund der Nordischen Filmtage muss man sich erstmal daran gewöhnen, dass man nicht mit Freunden über Filme diskutieren kann, keine Filmschaffenden aus den Teilnehmerländern treffen darf. Es gibt keine Parties, kein Schlangestehen und kein gemeinsames kühles Blondes zu später Stunde mit anderen FilmfreundInnen.

Also ab auf mein rotes Sofa und schon geht der Kampf los mit der Software und dem Einloggen in die neue Streamingplattform Culturebase. Eine Stunde später helfen mir dann zwei Mails vom Filmtage-Support endlich auf die Sprünge. Juhu, ich bin drin! Legen wir also los mit meinem Lieblings-Filmland: Island.

Ich starte mit zwei Dokumentationen. "A Song Called Hate" beschreibt die skandalträchtige Reise der isländischen Electro-Band Hatari zum ESC nach Tel Aviv. Diese junge Band durfte Island 2019 beim Eurovision Song Contest in Israel vertreten. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung sorgten die Jungs um Klemens Nikulasson Hannigan, Matthias Tryggvi Haraldsson und Einar Hafrn Stefansson schon für Aufregung, weil ihr Bühnen-Outfit ziemlich schrill war und auch der Text ihres Liedes äußerst provokant. So präsentierte sich die Band in BDSM-Lederklamotten und sangen davon, dass der Hass siegen könnte. Dabei wollten sie doch nur eine wilde Show machen, um den Kapitalismus zu besiegen. Als Rebellen für das Leben riefen sie zum Beispiel den israelischen Präsidenten zum Wettstreit im traditionellen isländischen Ringkampf auf, anstatt die Palästinenser weiter zu unterdrücken.

Filmszene aus 'A Song Called Hate', Foto: (c) Raafic SaadehFilmszene aus 'A Song Called Hate', Foto: (c) Raafic Saadeh

Schon auf ihrer Promo-Tour nach London und Madrid wurde die Stimmung weiter angeheizt. In Interviews setzten sie sich für die Palästinenser ein und forderten ein Ende der Apartheid in Israel. Die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens nimmt man ihnen langsam aber sicher doch ab. Aber auch vor Ort selbst zeigten sie sich engagiert, besuchten die besetzten Gebiete rund um Hebron, Ramallah und Bethlehem, sprachen mit Einheimischen und palästinensischen Künstlern, Dichtern, Musikern und Designern. Mit dem Sänger Bashar Murad wurde viel darüber diskutiert, wie die Chance genutzt werden könnte, um ihren Auftritt vor Millionen von ESC-Zuschauern zu einer politischen Aussage machen zu können. Gemeinsam mit ihm wurde ein Song in einem Studio in Ost-Jerusalem aufgenommen und ein Video in der Wüste gedreht. Kritiker sahen darin hauptsächlich Eigenwerbung, aber die Band und ihr gesamter isländischer Tross bliebt kritisch und standfest.

Viele Interviews und Kommentare aus aller Welt befassen sich im Film um den noch erst kommenden Skandal-Auftritt, der in Wirklichkeit zwar bekannt provokant und grell ausfiel, aber kein Anlass war, sie vom Wettbewerb auszuschließen. Der eigentliche Skandal kam aus dem sogenannten Greenroom, wo alle Musiker/innen nach ihrem Auftritt warten, bis die Bewertungen aus ganz Europa übertragen werden. Dort zeigten sie kurzfristig palästinensische Fahnen, bevor sie ihnen von Wachleuten wieder abgenommen wurden. Das war eigentlich alles - aber es folgte ein grandioser Shitstorm in allen Medien, aber auch viel Zuspruch. Natürlich waren die Palästinenser begeistert, aber viele Musik-Fans in aller Welt schütteten Kübelweise Hass und Wut über die Band aus. Der Platz zehn im Wettbewerb war dann eher Nebensache.

Regisseurin von 'A Song Called Hate' Anna Hildur, Foto: (c) Tattarattat ehfRegisseurin von 'A Song Called Hate' Anna Hildur, Foto: (c) Tattarattat ehfAm Ende sieht man müde, abgekämpfte Musiker, wütendes oder feierndes Publikum und eine empörte Öffentlichkeit. Eigentlich werden sie von allen gehasst, nur nicht von den Kindern auf Island. Die fanden ihre Klamotten und das Lied super, wie ein paar köstliche Videos dieses sehr aufschlussreichen Dokumentarfilms belegen. Kleine Kids in Leder und Gummi performen wie die Weltmeister!

Auch mein zweiter Film ist eine Dokumentation aus Island und behandelt die Esskultur des Landes seit seiner Besiedelung. Ein köstlicher, wie ekliger Film über Genüsse und aktuelle Trends in der dortigen Küche. Erzählt wird die Geschichte von diversen Produzenten, Köchen und Wissenschaftlern Islands, aber hauptsächlich von der sympathischen 85jährigen Bäuerin mit dem wunderbaren Namen: Elin Methusalemsdottir - was für ein grandioser Name!!!

Es beginnt mit dem berühmten Skyr, eine Art fettarmer Jogurt, der auch bei mir ziemlich weit oben steht bei den Genüssen dieses nordischen Landes. Bei meinen zwei Besuchen bis dato auf Island konnte ich auch diverse andere einheimische Produkte genießen, nicht immer mit Erfolg, aber zumindest speziell im Geschmack. Die Doku zeigt nämlich auch den berühmt-berüchtigten Gammel-Hai, der monatelang fermentiert wird, damit das Leichengift entweicht, der aber trotzdem nur mit Milch zur Entgiftung und mit "Schwarzer Tod", einem hochprozentigen Schnaps zu ertragen ist. Sieht aus wie Käse und der Geschmack ist eigentlich unbeschreiblich (gruselig)!

Aber Island hat natürlich auch wunderbares Fleisch von Schafen, Rindern, Schweinen, Pferden, Rentieren, etc. zu bieten. Auch der selbst gemachte Ziegenkäse ist lecker. Skurill sind dann aber wiederum Spezialitäten wie geräucherter Schafskopf, Trockenfisch oder die putzigen Papageientaucher, die tatsächlich mit Netzen gefangen und gegrillt werden. Die Speisekarten der hippen Restaurants in Reykjavik haben so einiges zu bieten, wo sich bei vielen der Magen umdrehen dürfte. Andererseits muss man bedenken, wo diese Insel liegt und wieviel Hunger seine früheren Bewohner erleiden mussten.

Filmszene aus 'Reiches Land', Foto: (c) Gjóla Films Filmszene aus 'Reiches Land', Foto: (c) Gjóla Films

Salzknappheit und der Mangel an Vitaminen, speziell Vitamin C und D machen erfinderisch. Lebertran war lange Zeit ein absolutes Muss in jeder Küche, speziell im Winter, wenn nie die Sonne scheint und die kargen Gärten kaum noch etwas abwarfen. Heutzutage hat man auf Island viel gelernt. Man nutzt die durch den Vulkanismus entstehende Erdwärme, um riesige Gewächshäuser zu betreiben, in denen fast alles wächst von Tomaten, Paprika, Auberginen bis hinzu Südfrüchten - fast unglaublich. Auch der Anteil an Biomärkten und organischen Lebensmitteln ist stark zu beobachten. Auch wenn die Supermärkte immer noch voller Tiefkühl-Pizzas und Importwaren aus Europa sind, geht der Trend doch eindeutig zu gesunder, traditioneller, einheimischer Kost. Ein aufschlussreicher, leckerer Film mit vielen Informationen und einigen doch recht eigenwilligen Lebensmitteln made in Iceland. Reiches Land - Tradition und Geschichte des Essens von Asdis Thoroddsen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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