Vor wenigen Wochen wäre Günter Grass 90 Jahre alt geworden und aus diesem Anlass lud das Lübecker Grass-Haus neben den alten Mitstreitern aus seinem jährlichen Literaturkreis, also Eva Menasse, Dagmar Leupold, Benjamin Lebert, Fridolin Schley und Tilman Spengler, auch den mit ihm seelenverwandten, international berühmt und berüchtigten Freund Salman Rushdie ein.
Beide hatten sich immer bedingungslos für die Rede- und Meinungsfreiheit des anderen eingesetzt, sei es Grass für "Die satanischen Verse" des einen oder Rushdie zu dem späten Bekenntnis der verschwiegenen Zugehörigkeit zur Waffen-SS des anderen. Als Folge des mittlerweile auf 4 Millionen hochgesetzten Kopfgeldes, mit dem die iranische Mullah-Regierung Salman Rushdie seit 1989 nachstellt, waren für den Besuch in Lübeck generell erhöhte Sicherheitsvorkehrungen zwingend.
Nach kurzer Visite des Grass-Hauses begann der große Literatur-Festakt in der Musik- und Kongresshalle vor gut 600 Zuhörern, darunter nahe Angehörige wie zum Beispiel Helene Grass. Die Teilnehmer des regelmäßigen Autorentreffens lasen zunächst in ehrendem Gedenken aus dem Grass-Roman "Ein weites Feld" und ein aus Sinti und Roma bestehendes Salonorchester spielte mehrfach auf, bis endlich der große Moment kam und Salman Rushdie die Bühne betrat.
Gemeinsam mit der Literaturkritikerin Mara Delius plauschte Rushdie über die ersten Begegnungen mit Grass und über seine anfängliche Skepsis gegenüber dem Roman "Blechtrommel". Erst im Laufe der Zeit fand er Gefallen an den Werken von Grass und schloss nach anfänglicher Schüchternheit bei einer ganzen Flasche Schnaps eine enge Freundschaft mit ihm.
Das jüngste Werk von Salman Rushdie mit dem Titel "Golden House" kam leider nur kurz zur Sprache. Darin schildert er realistisch finster die aktuelle Entwicklung der US-amerikanischen Verhältnisse. Mit geradezu hellseherischen Fähigkeiten schrieb er diesen Roman während der Präsidentschaft von Barack Obama, ohne zu ahnen, dass er mit der Beschreibung seines Protagonisten bereits die Person des anschließend gewählten Präsidenten vorwegnahm. Die Romanfigur trägt den Namen Nero Golden, ist skrupellos ehrgeizig, narzistisch, mediengewandt, benutzt Make-up und färbt sich die Haare grün. Treffend und schillernd beschreibt Salman Rushdie in diesem Buch den bedrohlich aufkommenden Zeitgeist.
Vor dem Lübecker Publikum räumte er abschließend bescheiden ein, dass die Realität erfahrungsgemäß immer noch schlimmer und verrückter gewesen sei als Phantasie und Fiktion es je sein könnten. Das lässt nach der empfehlenswerten Lektüre von "Golden House" nichts Gutes ahnen.