Christoph Eschenbach, Foto: (c) Manu Theobald

NDR-Sinfoniekonzert in der MuK
Große Romantik im dritten Saisonkonzert der Elbphilharmoniker

Das dritte Konzert der Elbphilharmoniker (16. Dezember 2022) war nicht einfach nur der Romantik gewidmet. So einfach macht sich weder das Orchester noch sein sehr sorgsam abwägender Dirigent die Planung. Vielerlei Bezüge gab es zu entdecken und zu hören.

Die Leitung hatte einmal wieder Christoph Eschenbach, der selbst von 1998 bis 2004 das Orchester als Chef geführt hatte. Man kannte sich also gut, auch wenn sich das Ensemble an etlichen Pulten inzwischen personell gewandelt hatte. Aber vor allem einer war geblieben, der bereits seit August 1982 den wichtigsten Platz im Orchester hatte und an diesem Abend - wie einige Male schon - als Solist vor „seinem“ Orchester stand. Es ist Roland Greutter, 1957 in Linz geboren, für den diese Spielzeit zur letzten als Erster Konzertmeister wird. Das fügt sich wunderbar zu dem Schwerpunkt Romantik, zu einer Zeit, für die wehmütiges Erinnern kennzeichnend war.

Und auch die zwei ausgewählten Werke repräsentieren den Geist dieser Zeit in besonderer Art, im ersten Teil das Violinkonzert des in Hamburg geborenen Felix Mendelssohn Bartholdy und nach der Pause die gewichtige Sinfonie Nr. 3 Anton Bruckners, auch Österreicher und ganz in Ansfelden geboren, ganz in der Nähe von Linz. Beide Kompositionen sind zudem Moll-Werke. Das konzertante und frühere, 1845 erstmals aufgeführt, steht in e-Moll, das sinfonische in d-Moll. Von seiner Erstfassung 1877 dauerte es noch 13 Jahre, bis es wie die erste in Wien erklang. Beide bedienen jenes romantische Gefühl, das der Rückschau, der Erinnerung dient. Bei Mendelssohn ist es in nahezu jeder melodischen Wendung zu spüren, das Schwanken zwischen leichter Melancholie und einer mitreißenden Lebensfreude.

Bei Bruckner ist es vor allem die Reminiszenz an den von ihm hochverehrten Richard Wagner. Ihn bat er, ihm sein Werk widmen zu dürfen. Allein schon diese demütige Haltung kennzeichnet ihn, mehr noch, dass er einige Werke seines Widmungsträgers in seiner Sinfonie zitierte. Dass heute nur noch wenig davon zu hören ist, liegt an einem anderen Kennzeichen. Es ist die Empfindung, nie ein Werk in eine absolute Gültigkeit und Vollkommenheit bringen zu können. Das schlug sich in einigen vor allem kürzenden Bearbeitungen nieder, denen ein paar der Zitate zum Opfer fielen. Dass wiederum Eschenbach die letzte Fassung wählte, mag wiederum ihn charakterisieren, der immer das Höchstmaß an Genauigkeit im künstlerischen Ausdruck zu erreichen strebt.

Foto: (c) Roland GreutterFoto: (c) Roland GreutterDoch das ist ebenso bei dem Solisten der Fall, der im gleichen Jahr seine Stelle antrat wie Günter Wand, damals 70 Jahre alt. Er blieb neun Jahre. Sein Einfluss auf das Orchester wird immer noch als besonders hoch bewertet. Greutter, damals blutjunger Geiger im Orchester, schildert in einem sehr lebendigen Interview im Jahre 2013 (nachzulesen bei „Concerti“) seine erste Zusammenarbeit mit Wand. Er hatte die besondere Aufgabe als Konzertmeister so gelöst, dass er die Bogenstriche für seine Instrumentengruppe aus kammermusikalischer Erfahrung heraus setzte. Aber das Orchester, alles „eingefleischte Orchestermusiker“, wurde überzeugt, nachdem Günter Wand sagte: „Spielen Sie das so, spielen Sie diesen Strich. Das hat genau die richtige Energie.“

Die spürt der Besucher immer noch in Greutters Wirken. Er steht vor dem Orchester nicht wie ein außen stehender Solist, sondern wie einer, der mit ihm in einem vehementen Austausch steht. Seiner Spontaneität wird es geschuldet sein, dass ein paar kleine Unstimmigkeiten im Zusammenspiel zu hören waren. Eschenbachs sachlichere Zeichengebung verband sich jedoch mit Greutters mehr romantischer Wiedergabe zu einer imponierenden Gesamtleistung. Für den langen Beifall bedankte er sich seinerseits mit dem (zu) temporeichen Finalsatz aus Eugène Ysaÿes vierter Solosonate, wieder in E-Moll. Es bewies noch einmal, welch außerordentliche Solisten das Orchester in seinen Reihen hat. Ein Blick zudem in das üppige Verzeichnis von Greutters Repertoire macht noch einmal Staunen.

Nach der Pause zeigte sich ein weiteres Detail in der beziehungsreichen Programmgestaltung. Eschenbach, der sich zunächst als Pianist einen Namen gemacht hatte, begann seine Dirigentenkarriere mit eben jener Bruckner-Sinfonie. Von der Wiedergabe wurde man als Zuhörer an diesem Konzertabend zunächst enttäuscht. Die monumentalen sinfonischen Partien, die Bruckner formte, verlangen dem Orchester immer einen sehr großen Atem ab, den der Dirigent beeinflussen muss. Anfangs, vor allem im ersten Satz, stellte sich der Zusammenhalt über die abrupt abgebrochenen Blöcke nicht immer ein.

Eschenbach, der als Künstler bekannt ist, präzis die Wiedergaben zu formen, schien sich hier allzu sehr den Einzelheiten zu widmen und vermochte nicht, den Eindruck von Zerrissenheit zu vermeiden. Das besserte sich erst in den letzten beiden Sätzen, in denen auch das Orchester losgelöst seine großen Fähigkeiten zeigen konnte: die Streicher, besonders die Cellogruppe, ihre auffallende Spielfreude, die Holzbläser ihre wohlklingenden Kantilenen, hier speziell die Klarinetten. Bei den Blechbläsern ragten die für diese Sinfonie bedeutsamen Trompeten heraus wie auch die sensiblen Hörner.

Das Publikum war rundum zufrieden und spendete großen Beifall.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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