Michael Wollny und Joachim Kühn, Foto: (c) Walter Schmitz

Ein Doppelkonzert des NDR reißt die Hörer*innen in der Elbphilharmonie von den Sitzen
Joachim Kühn und Gäste, frei von (fast) allem

Für gewöhnlich lädt der NDR seine Gäste zu (äußerst hörenswerten) Doppelkonzerten ins Rolf-Liebermann-Studio in die Oberstraße ein. Zum 80. Geburtstag von Joachim Kühn musste es aber ein paar Nummern größer sein. Stefan Gerdes und sein Team nutzten am 15. Mai 2024 die Elbphilharmonie, um einem der bedeutendsten deutschen Jazzmusiker von internationalem Rang eine große Bühne zu bereiten.

Nach einer Einführung von Sarah Seidel spielte Kühn im ersten Set zusammen mit Michael Wollny, von nicht wenigen als einer beschrieben, in Kühns Fußstapfen treten zu können. Der 34 Jahre jüngere Ausnahmepianist, dem schon 2010 das „…wohl … beste Jazzalbum der letzten 25 Jahre“ (Stuart Nicholson, Jazzwise UK) attestiert wurde, schrieb 2001 seine Diplomarbeit über „Tonwirbel“ in den Improvisationen von Joachim Kühn, um dann sieben Jahre später, am 10. September 2008, erstmals mit dem Titanen des Jazzpianos zusammen aufzutreten. Letztes Jahr nahmen die zwei Tastenkünstler das hochgelobte Album "Duo" (ACT 9633-2) in der Frankfurter Oper auf, um dieses Jahr anlässlich des 80sten Geburtstages von Kühn wenige Konzerte zu geben.

Der große Saal der Elbphilharmonie, Foto: (c) Walter SchmitzDer große Saal der Elbphilharmonie, Foto: (c) Walter Schmitz

Wollny und Kühn hielten sich kaum an die gepresste Vorlage, das Publikum erlebte einen weit ausgebreiteten Klangteppich, in den die beiden Pianisten ohne Unterlass unterschiedlichste musikalische Fäden einarbeiteten, nur um diese im nächsten Moment wieder aufzureißen, zu spleißen oder durch andere Gewebe zu ersetzen. Zarte Gespinste ebenso wie rumorendes kraftvolles Tosen, Stiftung Warentest hätte die zwei nach oben offenen Steinways nicht härter rannehmen können.

Die Künstler muteten den Hörer*innen einiges zu: Es gab kaum Gelegenheiten, die Ruhe oder Struktur, gar ein Zurücklehnen ermöglichten, kaum Momente, die dem Ohr Halt gaben. „Das Unberechenbare“, eines der Markenzeichen von Wollnys Klavierspiel nahm sich in den Improvisationen der Virtuosen breiten Raum. Kaum war das Publikum (bei einem Motiv) angekommen, ging es auch schon weiter, in einem äußerst lebendigen, dynamischen Parforceritt, immer wieder angereichert mit kleinen Zitaten aus der Musikgeschichte (nicht nur des Jazz). Parforce steht für große Anstrengung, das traf es jedoch nicht alleine, da war eine Gleichzeitigkeit von Leichtigkeit; alles war im Fluss. Und natürlich waren auch sie zu hören, die Tonwirbel, in dem intensiven, vitalen Kühnschen Spiel mit seinen gegenläufigen Figuren, das durch bisweilen zarte, fast zerbrechliche Tastenanschläge nur noch stärker wirkte.

Die beiden Musiker kommunizierten mit Blicken, in erster Linie aber über das einander Zuhören – sie musizierten häufig mit geschlossenen Augen – und freuten sich gegenseitig an neuen Entdeckungen im Spiel des Gegenübers. Nach etwas mehr als einer Stunde hatten alle im großen Saal der Elbphilharmonie die Chance, sich etwas zu erholen, bevor Kühns „New Trio“ mit Chris Jennings am Bass und Eric Schaefer am Schlagzeug die Bühne betrat.

Joachim Kühns 'New Trio' mit Chris Jennings und Eric Schaefer, Foto: (c) Walter SchmitzJoachim Kühns 'New Trio' mit Chris Jennings und Eric Schaefer, Foto: (c) Walter Schmitz

Joachim Kühn hat in seiner jahrzehntelangen musikalischen Tätigkeit immer wieder bewusst mit jüngeren Musikern zusammengearbeitet. Es waren seine nie versiegende Neugier und die Freude daran, Neues zu entdecken, die ihn stets begleiteten. Seit 2015 ist er der Star unter den Stars eines der besten Klaviertrios der Welt. Es war beeindruckend, wie die drei aus einem Guss spielten, befreit von Hierarchien oder starrer Struktur. Ergebnis war ein fast permanentes gegenseitiges Geben und Nehmen, nur unterbrochen von zwei Schlagzeugsoli, die mit Donnerstakkato und präzisester Kreativität (hier fand das Gegensatzpaar zusammen) auf das begeisterte Publikum hereinbrachen. Der mit seinem Bass beinahe verschmolzene Jennings stand für die lyrischen Momente und sorgte (wie jeder gute Bassist) für die unerlässliche Klammer zwischen Kühn und Schaefer.

Zum Schluss kam auch nochmals Michael Wollny auf die Bühne und jammte mit den Dreien zu einer Improvisation auf „The End“ von den Doors (noch länger als das schon sehr lange Original). Und wieder war es zu sehen, das Lachen auf dem Charakterkopf Kühns (Rodin hätte ihn nicht schöner modellieren können), das sich über den gesamten Abend mehrfach gezeigt hatte, verbunden mit einem, so machte es den Anschein, Staunen. Staunen und, so könnte es gewesen sein, Dankbarkeit über das, was die Musiker (gemeinsam mit dem mitgehenden Publikum) an diesem Abend geschaffen hatten. Vielleicht war auch ein innerer Rückblick dabei, bestimmt jedoch die unbändige Lust am Spiel im Hier und Jetzt, das ihn noch zu einer Solo-Zugabe auf die Bühne trieb: Stardust nach Kühnscher Machart mit Kraft, Präzision, Respekt für das Original und vor allem Freiheit, von allem nicht zu wenig, nicht zu viel! Das begeisterte Publikum realisierte, dass es einer Sternstunde beiwohnen durfte und erhob sich von den Sitzen, um Kühn und seine Freunde gebührend zu verabschieden.

Michael Wollny, Joachim Kühn, Chris Jennings und Eric Schaefer, Foto: (c) Walter SchmitzMichael Wollny, Joachim Kühn, Chris Jennings und Eric Schaefer, Foto: (c) Walter Schmitz

Das Konzert wurde vom NDR aufgenommen und wird in zwei Teilen auf NDR Kultur ausgestrahlt:

Joachim Kühn - 80th Birthday

1. Set
Duo
Joachim Kühn, p
Michael Wollny, p
Sendetermin
Dienstag, 02.07.24, 22.33 Uhr

2. Set
Joachim Kühn Trio
Joachim Kühn, p
Chris Jennings, b
Eric Schaefer, dr
Sendetermin
Dienstag, 09.07.24, 22.33 Uhr


Fotos: (c) Walter Schmitz


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