Foto: Mit vielfältigem Gebläse: Sunbörn aus Dänemark, (c) Holger Kistenmacher

Wenn das Travejazz-Festival tanzt
2. Doppelkonzert vom Samstag mit Sunbörn und dem Joo Kraus Quintett

Es sind gefühlte 30 Jahre her, dass ich Joo Kraus und Helmut Hattler, die beide von der Elektro-Rock-Band „Kraan“ stammten, als „Tab Two“ im Werkhof gesehen habe. Schon damals war der hoch-talentierte Trompeter Kraus und sein Bassist Hattler ein Aushängeschild des deutschen experimentellen Jazz, irgendwo angesiedelt zwischen neuen Möglichkeit der Elektronik und Spiellaune. Einerseits spielte Kraus eine Trompeter wie Miles Davies, hatte aber auch schon das Eigen-Sampling für sich entdeckt.

So spielte er gleichzeitig Trompete und ein elektronisches Mini-Schlagzeug, sampelte dabei einzelne Rhythmus- und Sound-Elemente, legte diese übereinander und improvisierte darüber mit seinen sensationellen Trompetentönen, unterstützt vom gradlinigen Bassspiel von Hattler. Dazu sang Kraus erste HipHop-Sachen. Mit dieser Computer-generierten Formation mischten die beiden die Szene auf, sammelten Preise ein und spielten weltweit in Europa, Asien und den USA.

Foto: Das Joo Kraus Quintett, (c) Holger KistenmacherFoto: Das Joo Kraus Quintett, (c) Holger Kistenmacher

Bis heute hat Joo Kraus nichts von seiner Experimentierfreudigkeit eingebüsst, wie man erneut am letzten Samstag beim 10jährigen Jubiläum des Travejazz-Festivals sehen und hören konnte, wo er mit seinem Quintett zu Gast war. Seine derzeitige Band aus Ulf Kleiner - Keyboards, Jo Ambros - Gitarre, Sebastian Schuster - Bass und Martin Grünewald am Schlagzeug überzeugte mit einem spielfreudigen Mix aus Alternativ-Rock a la Nick Cave, psychedelischem Gesang zwischen Folk und Pink Floyd und Soul-Jazz wie die frühen Commodores.

Noch immer bläst Joo Kraus eine exquisite Trompete, hat sich aber gesanglich stark verbessert. Selbst wenn er durch das Trompeten-Mikrophon singt, welches er wiederum elektronisch verzerrt oder mit Echos belegt, ist das Ergebnis immer spannend und neu. Dabei bieten er und seine Band beste Unterhaltung, auch weil Kraus als Unterhalter mit witzigen Zwischentexten für so manchen Lacher gut ist. Aber eigentlich will er mit seiner Band hauptsächlich positive Vibes und gute Tanzbarkeit abliefern. Und das gelang ihnen hauptsächlich mit einigen Nummern seines neuen Albums „No Excuse!“, die er selbst als Disco bezeichnet.

Foto: Elektronisch bearbeiteter Gesang von Kraus, (c) Holger KistenmacherFoto: Elektronisch bearbeiteter Gesang von Kraus, (c) Holger Kistenmacher

Dankbar wurden diese Songs mitgeklatscht, während erste Leute kräftig das Tanzbein schwangen. Selbst für das etwas düstere Titelstück, das sehr an Nick Cave und die Bad Seeds erinnert, empfahl Joo Kraus, vielleicht auf „Ausdrucks-Tanz“ umzuschwenken. Auch wenn diese Nummer etwas schwermütig rüberkommt, gelang das Stimmung-Aufhellen sofort mit der nächsten südamerikanisch beeinflussten Rhythmus-Bombe. Heitere Melodien, die manchmal ins poppige abgleiten, wurden schnell wieder in jazzige Gefilde transportiert und blieben trotzdem bestens tanzbar. Eigentlich wollte das begeisterte Publikum die Band gar nicht von der Bühne lassen, aber mit den nachfolgenden „Sunbörn“ aus Dänemark war ja auch noch eine weitere globale Jazz-Band am Start, die mit ihren gewaltigen Bläser-Sätzen und den afrikanisch inspirierten Rhythmen später keinen mehr still auf seinem Stuhl sitzen ließ.

Foto: Bandgründer Gustav Rasmussen an der Posaune, (c) Holger KistenmacherFoto: Bandgründer Gustav Rasmussen an der Posaune, (c) Holger Kistenmacher

Die sechsköpfige Band aus drei Bläsern (Gustav Rasmussen - Gitarre, Flöte, Posaune, Michael Blicher - Saxophone und Querflöte, Aske Drasbaek - Saxophon, Flöte und Horn), dem Keyboarder Johannes Buhl Andresen, Magnus Jochumsen an den Congas und Casper Mikkelsen am Schlagzeug war merklich viel in Westafrika unterwegs. Dort haben sie sowohl mit einheimischen Musikern kooperiert als auch einzelne Songs im Tourbus oder im Hotelzimmer aufgenommen, wie sie erzählten. Noch bis 2022 hatte sich die Band als globale Weltmusik-Band mit dem Namen „The KutiMangoes“ sowohl in Afrika, wie auch in Europa einen Namen gemacht, die mit diversen Musikpreisen und Auftritten zum Beispiel beim Roskilde-Festival für Furore gesorgt hatte. Aus der Zeit stammte zum Beispiel auch das herrlich beschwingte „Bamako by Bus“, was sofort für vielschichtige Tanzeinlagen sorgte.

Foto: Michael Blicher, (c) Holger KistenmacherFoto: Michael Blicher, (c) Holger KistenmacherAber ab 2022 wollte die Band mit ihrer Namensänderung auch auf ihre skandinavische Herkunft hinweisen, indem sich ihr Sound noch einmal mehr als international und global zwischen Jazz und Rock, aber immer noch mit afrikanischen Einflüssen verstanden wissen wollte. Gute Laune, perfektes Können aller Musiker an ihren stets wechselnden Instrumenten und eine übergreifende Freude am gemeinsamen Musizieren in allen Genres ist genau das, was Sunbörn als ausgesprochene Live-Band mit einer wunderbaren Show auch in Lübeck abliefern wollten. Und das ist dieser sympathischen Band zur allgemeinen Begeisterung hervorragend gelungen. Sie sind und waren der tanzbare Höhepunkt des diesjährigen Festivals, dessen 10jähriges Jubiläum nicht besser zu Ende gehen konnte.

Das treue Publikum freut sich schon auf die nächste Ausgabe, die wiederum im September 2025 über die diversen Bühnen von Lübeck gehen wird.


Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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