Zu Beginn des Doppel-Konzerts am Freitagabend im lauschigen, aber auch stickigen Schuppen 6 an der Untertrave bedankte sich Felix Griese vom Travejazz-Festival bezüglich des 10jährigen Jubiläums bei allen Sponsoren, Förderern und vor allem dem treuen Publikum, das auch dieses Jahr den alten Hafenschuppen bis in die letzte Reihe füllte.
Bei immer noch hochsommerlichen Temperaturen heizte das groovige Matti Klein Soul Trio noch weiter ein. Für den quirligen Pianisten Matti Klein, wie immer mit seinen Erkennungszeichen Hut, Brille und Dauergrinsen im Vollbart-Gesicht, war das Konzert gefühlt wie ein Heimspiel, obwohl er eigentlich aus Berlin stammt. Dafür ist aber der Saxophonist Lars Sander ein waschechter Lübecker, wie der Bandleader in seinen launigen Zwischen-Erklärungen betonte. Außerdem seien er und seine verschiedenen Band-Projekte wie MoBlow schon seit gut 15 Jahren in Lübeck am Start. Erst vor drei Jahren seien sie zuletzt beim Travejazz-Festival zu Gast gewesen, und seinen ersten Auftritt in der Hansestadt hätte er vor gut 15 Jahren im Alten Zolln gehabt. Also sei er immer sehr froh hier im Norden, so nah an der Ostsee zu spielen.
Für den gestrigen Abend versprach er dann auch mindestens 10 fette Grooves und das nicht nur, weil auch die Eltern von Lars Sander vor Ort waren. Außerdem sei immer Zeit für eine All-Time-to-Party-Zeit. Also ging es sofort ab mit luftigen Klavierläufen und dem großartigen Bass-Saxophon-Spiel von Sanders, unter das Drummer Andre Seidel sein präzises Schlagzeugspiel legte. Matti Klein sang teilweise seine Pianoläufe mit oder kämpfte, hüpfte oder kroch förmlich in seine Keyboards. Mit vollem Körpereinsatz lebte er seine funky Solos und haute einen Groove nach dem anderen raus.
Weil sie gerade aus Südafrika zurück seien, wo sie 5 Konzerte in Kapstadt, Johannesburg und Durban gespielt hätten, forderte er das Publikum auf, sich wie das dortige zu verhalten. Da sei es üblich, dass die begeisterten Leute bei besonders gelungenen Passagen aufspringen, jubeln und sich wieder schnell setzen, weil die Musiker aus Deutschland kommen. Das müsste man doch auch in Lübeck hin bekommen. Also spielten sie die neue Nummer „Capetown After Dark“, welches mit einem komplexen wie komplizierten 13/8-Takt gespielt wird. Das Publikum jubelte, hielt sich aber auf den Sitzen fest. Egal, alle hatten Spass, groovten ordentlich mit, auch wenn die Luft so langsam zum Schneiden war.
Matti Klein plauderte sich durch das Konzert und erzählte Geschichten aus Berlin, wo er besonders die spezielle Multi-Kulti-Stimmung in KreuzKöln, dem Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Neuköln liebe, weil dort so viel möglich ist im lässigen Zusammenleben von unterschiedlichsten Kulturen und Religionen, ohne sich die Köpfe durch Rassismus und Dummheit einzuschlagen. Das wünschte er sich auch für den Abend in Lübeck. Wie recht er doch hat!
Dann aber erstmal raus an die frische Luft, ein kühles Blondes genossen und die Dampfhalle Schuppen 6 kräftig durchgelüftet, damit der Gaststar des Abends, die junge aber hoch talentierte Bassspielerin Kinga Glyk begrüßt werden darf. Deren sensationeller Aufstieg zu eine der gefragtesten Musikerin am Bass begann 2017 mit einem selbst produzierten Video, wo sie im Schneidersitz sitzend eine wunderbare Version von „Tears in Heaven“ von Eric Clapton spielte. Ab da ging die Karriere der jungen und absolut sexy aussehenden Bass-Spielerin aus Polen durch die Decke. Wobei sie aber niemals nur als hübsches Beiwerk in allen möglichen Band-Formationen betrachtet wurde, sondern aufgrund ihres exzellenten Bass-Spiels für große und kleine Festivals weltweit gebucht wurde. Und genau diese Qualität bewies sie und ihre gut eingespielte Band auch in Lübeck.
Mit frischem Fusion-Sound, der an Yellowjackets oder Weather Report erinnert, legte das Quintett furios los. Dabei agierte die junge und sympathische Polin mit ihrer frischen Art und geballter Power, die den Jazz in eine neue Umlaufbahn katapultiert hat. Unterstützung bekam sie dabei von zwei Keyboardern, die sich herrlich ergänzten oder wunderbar aufeinander reagierten und antworteten (Pawel Tomaszewski und Michal Jacubszak). Der Drummer Nicolas Vicarro spielte ähnlich virtuos und konnte sich durch sämtliche Heavyfunk-Pattern dynamisch durchtrommeln. Aber besonders ihr Saxophonspieler Lucas Saint lieferte sich mit Kinga Glyk wahre musikalische Duelle. Besonders wenn er sein Aerophon bediente, ein digitales Blasinstrument, welches mit traditionellen Saxophon-Fingersätzen ausgerüstet ist, aber den Sound von Saxophon, Klarinette, Flöte, Geige oder Synthesizer hervorbringt. Er konnte sogar dabei singen und montierte Gesang und Gebläse in einen wunderbaren Gesamt-Zusammenhang. Heraus kam eine dynamische Mischung aus Jazz, Rock und Funk, die richtig abgeht.
Aber die wunderbare Band kann auch ganz anders. Als sich Kinka Glyk zunächst überschwänglich für den wunderbaren Abend und das besondere Glück, hier spielen zu dürfen und mit dem Publikum diesen speziellen Moment genießen zu können, bedankte, berichtete sie vom Ukrainekrieg, der in ihrem Nachbarland seit über zwei Jahren tobt. Genau über diese Situation hat sie ein besonders Stück arrangiert: „Dear Ukraine“. Eine sehr luftige, lyrische Nummer, die zunächst sehr leise und dezent daherkommt. Ihr Bass-Spiel war sehr zurückgenommen, während das Saxophon von Lucas Saint förmlich jammerte und klagte. Ein wunderschöner Moment, in dem das Publikum gänzlich ergriffen war von der nachdenklich stimmenden Musik. Völlig anders, als nur Momente zuvor, als alle kräftig mitsingend in eine rotzige Nummer mit Jazz-Gesang miteinstimmten. So endete ein erster grandioser Doppel-Abend mit wunderbaren Bands, wenn nur die Luft im Schuppen 6 etwas frischer gewesen wäre.
Mal schauen, was sich heute Abend beim Joe Kraus Quintett und Sunbörn aus Schweden tut.
Fotos: (c) Holger Kistenmacher