Installationsansicht Petri-Kirche: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-Gesellschaft

Maria Toumazou mit „Half Frame“ in der Overbeck-Gesellschaft und St. Petri zu Lübeck
Noch weniger wäre schon fast nichts

Beim Gang in die Petri-Kirche begrüßte mich mein Nachbar und dortiger Küster mit den Worten: „Na, Kunst gucken? Viel Spass beim Suchen!“. Und tatsächlich schien der riesige und wunderbare Kirchenraum mit seinen weißen Wänden und hohen Fenstern seltsam leer. Nur zwei etwas eigentümliche Skulpturen waren zu entdecken.

Zum einen handelt es sich um eine tentakelhafte Glockenkrone aus einer Kirche in Nikosia, Zypern, der Heimat der jungen Künstlerin Maria Toumazou. Zum anderen um eine Art Leichentrage, ein aus einfachsten Materialien gebautes Gestell, dessen verbindende Teile alte blaue Bücher sind, deren Buchtitel bis auf jeweils 2 Nullen weggekratzt sind. Das war’s! Laut dem ausliegenden, kleinen Begleittext eignet sich die Konzeptkünstlerin bereits existierende Objekte an und interpretiert diese als ihre Skulpturen neu. Der Kirchenglockenkranz hat dabei fast eine organische Anmutung. Wie die Künstlerin selbst meint, will sie die verborgenen Geschichten in den gefundenen Objekten untersuchen, um durch ihre Wiederverwendung deren erzählerisches Potenzial zu vermitteln. Aha!?

Installationsansicht Petri-Kirche: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-GesellschaftInstallationsansicht Petri-Kirche: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-Gesellschaft

Das ist also die erste institutionelle Einzelschau der zypriotischen Konzeptkünstlerin Maria Toumazou in Deutschland und gleichzeitig die erste von ihr konzipierte und kuratierte Schau der neuen Direktorin der Overbeck-Gesellschaft, Paula Kommoss. Was gab es nicht alles für großartige Ausstellungen des mittlerweile etwas dubiosen Vorgängers, Oliver Zybok, der leider wegen angeblicher finanzieller Verfehlungen in die Schlagzeilen geriet. Seine letzte Schau brachte im Juli 2023 den Porträt-Fotografen Greg Gorman und seinen Freund, den Künstler Gary Johns nach Lübeck, um die Fotos von afrikanischen Skulpturen und deren künstlerische Verfremdung zu präsentieren, ganz wunderbar. Oder der Possehl-Preisträger Matt Mullican mit seinen überbordenden Zeichen und Strukturen. Unvergessen auch die fantastischen Tonskulpturen von Sebastian Stöhrer und die Lübecker Gesamt-Kunst-Schau des Jonathan Meese, der mit seiner Müllkunst gesamt Lübeck in den Kunst-Disput zog.

Installationsansicht Overbeck-Gesellschaft: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-GesellschaftInstallationsansicht Overbeck-Gesellschaft: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-Gesellschaft

Aber die jetzige Schau hinterlässt bei mir nur Ratlosigkeit. Auch die schönen Räume der Overbeck-Gesellschaft selbst sind scheinbar leer. Dann entdeckt man einen einfachen Raum im Raum mit einem weißen Vorhang, eine sogenannte Camera Obscura oder Lochbildkamera, die ziemlich unscharf das umgedrehte Bild der goldenen Daphne aus dem Garten zeigen will, aber nur mit viel Phantasie zu erkennen ist. Die zypriotische Künstlerin verwebt mit diesem Werk diskret Orte und Zeiten: Die Lochbildkamera, die sie hier mit einfachsten Mitteln konstruiert hat, macht die Flüchtigkeit des Moments sichtbar, behauptet sie. Denn kein statisches Bild, sondern ein Phänomen zeichnet sich ab - das Licht selbst erzeugt den Eindruck eines Bildes, doch es ist in ständigem Wandel. Dazu gibt es dann noch zwei weitere fotografische Arbeiten, die das Dach des Pavillons zeigen.

Das umgedrehte Bild der goldenen Daphne aus dem Garten, Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-GesellschaftDas umgedrehte Bild der goldenen Daphne aus dem Garten, Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-Gesellschaft

Insgesamt heißt es im Pressetext, dass Toumazou Techniken der fotografischen Bilderzeugung nutzt, um bereits bestehende Werke neu zu interpretieren und weiterzuentwickeln. Der Titel der Ausstellung „Half Frame“ bezieht sich auf das Modell der Halbformatkamera, die in den 60er-Jahren populär wurde und die Fotografie revolutionierte. Durch die Halbierung der Bildgröße auf einem Standart-35-mm-Film verdoppelte sich die Anzahl der Belichtungen bei gleichen Kosten, ein enormer Vorteil. Das soll wohl auch in der artspezifischen Installation in der Overbeck-Gesellschaft präsentiert werden als neue Form früherer fotografischer Bildproduktion.

Installationsansicht Overbeck-Gesellschaft: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-GesellschaftInstallationsansicht Overbeck-Gesellschaft: Maria Toumazou 'Half Frame', Foto: Eric Bell, (c) Maria Toumazou und Overbeck-Gesellschaft

Nun ja... Ich bin ja eigentlich sehr offen für moderne Gegenwartskunst und von einer Teilnehmerin der Biennale in Venedig verspricht man sich ja so einiges. Auch von der neuen Direktorin Paula Kommoss erwartet man ja ebenfalls Inspiration und neue Kunst, wenn auch nicht so euphorisch wie die Berichterstatterin von der Monopol, die diesen Antrittsauftritt für stark hält und mutmaßt, dass Lübeck zukünftig zu einem Hotspot internationaler zeitgenössischer Kunst werden dürfte. Was ich persönlich natürlich sehr begrüßen würde, allerdings mit der aktuellen Ausstellung vor allem ratlos zurück bleibe.

Maria Toumazou: Half Frame bis zum 27.04. in der Overbeck-Gesellschaft und bis zum 21.3.2025 in der St.-Petri-Kirche zu Lübeck.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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