Der spektakuläre Tanzabend auf der großen Bühne K6 beginnt sehr behutsam. 11 Tänzer*innen sitzen im Kreis mit den nackten Rücken zum Publikum und umgeben von silbrig glänzenden Objekten wie Hühner, Stiere, Besen und Büsche, Symbole eines afrikanischen Dorflebens. Bekleidet in weißen, langen Röcken voller stacheliger Wäscheklammern werden erstmal die starren Ballettschuhe geschnürt.
Sehr langsam bewegt sich die Gruppe am Boden über die Bühne. Vereinzelt werden die Arme klassisch ausbreitend in die Höhe gehoben oder einzelne Objekte klirrend gezeigt. Die südafrikanische Choreografin und Aktivistin Mamela Nyamza hat das ehemals autobiografische Solo aus dem Jahr 2007 nun zu einem erfolgreichen Stück für das Ensemble ausgearbeitet. Und ihr Anspruch ist hoch: Einerseits geht es um schwarze Selbstermächtigung im modernen Gegenwarts-Tanz, andererseits um die Dekonstruktion und Entzauberung der klassischen westlichen Tanzgeschichte. Gleichzeitig reflektiert sich aber auch ihre persönliche Rolle als klassisch ausgebildete schwarze Ballett-Tänzerin, lesbische Mutter und Künstlerin.
Mamela Nyamza: Hatched Ensemble, Foto: (c) Mark Wessels
Vom Band kommt in Dauerschleife Camille Saint-Säens Cellomusik zum berühmten Ballett-Solo „Der sterbende Schwan“, während die Tänzer*innen erste trippelnde Schritte auf der Spitze versuchen. Hart wird die Schuhspitze auf dem Tanzboden aufgeschlagen. Frauen, Männer, queere, schwarze Menschen mit nackten, dunklen Oberkörpern, den Rücken zum Publikum trippeln in weißen Tüllröcken über die Bühne, noch ganz unentschieden zwischen westlicher Tanztradition und südafrikanischen Bewegungsstilen.
Mamela Nyamzas eigene Erfahrung, dass der klassische Tanz auf weiße Körper ausgerichtet sei und das Ballett unschwer schwarze Tänzer*innen akzeptiert, dürfte Ursache für ihre eigene Tanzsprache entsprechen, indem sie genau das Gegenteil präsentiert. Ein Tanz, der explizit schwarze Menschen zeigt, egal ob Mann oder Frau oder Queer im Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung, hin zu Freiheit und Selbstermächtigung.
Mamela Nyamza: Hatched Ensemble, Foto: (c) Mark Wessels
Insofern bietet „Hatched Ensemble“ eine lyrische und poetische, aber auch aufrüttelnde und sehenswerte Performance, die den Tänzerinnen die Möglichkeit bietet, sowohl ihre Wurzeln, ihre Persönlichkeit als auch ihre Fähigkeiten im zeitgenössischen Tanz zu zeigen. Die gezeigten Sprünge sind nicht wie im Ballett nach oben gerichtet. Sie fliegen nicht wie leichte Federn, sondern fallen schwer auf die harten flachen Ballettschuhe. Unermüdlich versuchen sie eine lange Leine, die quer über die Bühne gespannt ist, zu erreichen, erfolglos. Ihr Tanz ist erdverbunden, hat Bodenhaftung. Die Knie sind gebeugt, die Oberkörper nach vorne geneigt. Das Staccato ihrer Spitzenschuhe ist heftig und energisch, allesamt rohe, aufbäumende und selbstbewußte Bewegungen.
Mamela Nyamza: Hatched Ensemble, Foto: Holger Kistenmacher
Gemeinsam wird die Leine ergriffen, um sich aus den weißen Röcken zu schälen und sich schamanenhaft in rote Tücher zu hüllen. So gehen sie bedrohlich nahe an die ersten Besucherreihen heran und offenbaren ihre grell geschminkten Clowns-Gesichter mit rot-glitzernden Augenliedern und weiß geschminkten Lippen - grotesk. Ein verschämter Blick des Ensembles ins Publikum spricht Bände über die Konfliktsituation der Choreografin und ihrer Tänzer*innen. Die roten Kostüme, die die Tänzer*innen zuvor mühevoll an die Wäscheleine geklammert haben, sind Symbol dafür, wie schwierig ein Tanz auf Spitzenschuhen zu südafrikanischen Rhythmen fällt. Die Musik wird mittlerweile von der Opernsängerinnen Litho Nqai live gesungen, während der Multi-Instrumentalist Given „Azah“ Mphago kräftige afrikanische Trommelschläge und Pfiffe dazu gesellt.
Mamela Nyamza: Hatched Ensemble, Foto: Holger Kistenmacher
Schlussendlich werden dann auch noch die lästigen Ballett-Schuhe an die Wäscheleine geklammert, und nur noch rote Regenmäntel über die nackte Haut getragen. Barfuss nehmen jetzt alle im Ensemble den afrikanischen Groove auf und stampfen und tanzen über die Bühne. Die afrikanischen Elemente werden immer stärker, während sich die melodiöse Stimme der Sängerin vereint mit der Livemusik. Der Alltag im afrikanischen Dorf mit Hirsestampfen, Boden wischen, ausfegen, Wäsche aufhängen und alles beim gemeinsamen Singen löst sich im Tanz auf, wird zur getanzten „oral history“. Das enthusiastische Ensemble scheint ihre Bestimmung und Befreiung gefunden zu haben und wird unter dem donnernden Applaus und Jubelschreien aus dem begeisterten Publikum gefeiert. Der Schwan ist tot und abgehängt, es lebe die afrikanische Befreiung auch im Tanz.Mamela Nyamza: Hatched Ensemble, Foto: Holger Kistenmacher