Jelena Kuljić von Kuu!, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Der Sonntag
JazzBaltica – letzte Klänge

Sonntag auf JazzBaltica, da war früher schon immer ein bisschen Wehmut dabei. Aber bevor es so weit war, gings erst noch einmal aufs Ganze.

13.00 Uhr auf der großen Bühne, eine laut Pressetext neue Supergroup: Rymden wird, ob sie will oder nicht, immer mit E.S.T. verglichen werden und ich war sehr gespannt, wie Bugge Wesseltoft das schwere Erbe Esbjörn Svenssons, der Lichtgestalt des europäischen Jazz antreten würde. Das Ergebnis war vielfältig. Wir hörten eine Weiterführung der musikalischen Botschaft des vielfach preisgekrönten Originals ebenso wie eigene Akzente, die sich bisweilen zu viel in elektronisches Tüddelüt verloren. Am eindrucksvollsten agierte die Truppe, wenn die drei in hoher Schlagzahl, dynamisch und nur mit leichter elektronischer Verfremdung eine große atmosphärische Dichte aufbauten, die es einem schwer machte, auf den Sitzen zu bleiben.

Rymden, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannRymden, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Nach den Wohlfühltönern (und das ist nicht negativ gemeint) Mare Nostrum III und Kuu!: Auch das gibt es auf Jazz Baltica, Punkrock mit improvisierten Elementen. Das ist laut, fetzt und ist schwer mit der beruhigenden Wärme der Vorgänger zusammen zu bringen. Da haben die JazzBaltica-Macher immer wieder eine kleine Übung für die BesucherInnen: Konzerte, die auf jazzigen Antipoden entstanden zu sein scheinen, werden in einem Paket zusammen gepackt. Ich behaupte mal ganz frech und frei, dass die BesucherInnen von Mare Nostrum sich mehr über die Kombination mit dem Arne Brandqvist Trio gefreut hätten.

Draußen Vincent Niessens Quintessence. Die junge Truppe des diesjährigen IBSH-Preisträgers treibt in großer Vielfalt zwischen melodiös und freieren Ausflügen, sehr selten noch etwas rauh, manchmal nicht ganz im Timing und ruckelig; aber wenn das bei jungen Musikern nicht wäre, würde es auch nicht stimmen. Denn das große Ganze ist schon jetzt sehr vielversprechend: Gute Ideen, ansprechende, abwechslungsreiche Arrangements, gekonnte kreative Ausführung und „Gegen den Strich Gebürstetes“. Von der (fast) vollkommenen Beherrschung der Instrumente muss ich gar nicht schreiben.

Arne Jansen, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannArne Jansen, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Nach etwas Warten und Unmut im Publikum der vorletzte Gig des nördlichsten Jazzfestivals Deutschlands. Arne Jansen erschien mit seinem Trio und spielte drei rockig angehauchte Stücke, bevor das vielköpfige senegalesische Orchestra Baobab die Bühne betrat. Die Stühle waren ausgeräumt und die Party konnte beginnen. Das war nun alles andere als intellektuell verbrämter Jazz, eher afrikanische Rhythmen und Gesang mit improvisierten Einlagen. Und wer danach noch nicht genug hatte, feierte mit den Party Animals um Chef Landgren bis in den frühen Morgen.
 
Wenn ich ein Resümee ziehen darf, behaupte ich, dass die (nicht mehr ganz) neue Location dem Jazz gut tut, da viele BesucherInnen dazukommen, die (vielleicht) bisher mit diesem Genre nicht so viel am Hut hatten. Darüber hinaus bedeutet der Standort neue Käuferschichten und sichert dem Festival den wirtschaftlichen Erfolg. Und gleichzeitig ist es für Jazzfreund*innen, die nur wegen des Jazz kommen, nicht so leicht, aus dem erfüllenden Musikgenuss herauszutreten und sofort dem schnöden Alltag, angefüllt mit Schlagermix oder Billigtrance, genannt Beachclubmukke, gegenüber zu stehen. Da wünschen sich manche die Blase Salzau oder zumindest Niendorf zurück.

Orchestra Baobab, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannOrchestra Baobab, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Klasse waren wieder die vielen kostenfreien Angebote mit häufig sehr hoher Qualität. Nicht so klasse, dass es am späten Abend trotz Konzerten in der Main Stage nur noch einen offenen Getränkestand gab. Musikalisch gab es mit Einschränkungen dieses Mal nicht das herausragende oder innovative Konzert, das ich frühere Male erleben durfte, aber Schönes noch einmal genießen zu dürfen, hat ja auch etwas. Stefan Gerdes hätten wohl die US-AmerikanerInnen gefehlt. Anderen bisweilen die frische Luft im stickigen Saal.

Egal, work in progress, vielleicht ist es einfach auch das Jazzige der Veranstalter, dass nicht alles perfekt ist und immer mal wieder improvisiert werden muss. Das Publikum, das in Scharen erschien und für einen neuen Besucherrekord sorgte, nahm es ja auch gelassen. Prima auch: Das ZDF zeichnete sämtliche Konzerte der großen Bühne auf. Die Konzertmitschnitte wurden für ZDFkultur produziert und stehen künftig außerdem auf dem YouTube-Channel von JazzBaltica zur Verfügung. Und last but not least schien sogar endlich mal wieder fast durchgängig die Sonne!

Also jetzt schon Vorfreude auf Jazz Baltica 2020: 18. – 21. Juni 2020!


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