Musik- und Kongresshalle Lübeck
Achim Reichel auf Abschiedstour

Der mittlerweile 80jährige Altmeister der deutschen Rockmusik hat es immer noch drauf, wie man bei seinem Konzert in der Lübecker MuK bestaunen konnte.

Wer allerdings auf die alten Klassiker aus seliger Rattles-Zeit gehofft hatte wurde enttäuscht. In dem gut 2-stündigem Auftritt waren eher launige Country-Folk-Nummern zu hören, sowie einige Balladen und Blues. Dabei hatte er gerade mit seiner frühen Combo, den Rattles, mit denen er in den 60er Jahren die damals noch recht unbekannten Rolling Stones und Beatles auf Tour begleitete, mit Hits wie „The Witch“ große Erfolge, auch im Hamburger Starclub gefeiert. Zuletzt war der Altmeister mit seinem Mit-Sing-Schunkel-Lied „Aloha Heja He“ sogar in China 2021 als Nummer eins gefeiert worden.

Aber zurück zum Lübeck-Konzert: Die sieben-köpfige Band rund um Reichel begann den Abend mit „Fliegende Pferde“, „Wahre Liebe“ und dem Klassiker „Der Spieler“. Dabei wurde gleich klar, dass die neuen Arrangements sehr Bläser-lastig werden würden, denn mit Andreas Böttcher - Saxophon, Steve Wiseman - Trompete und Uwe Granitza - Posaune waren drei spiellaunige Herren in der Band. Dazu kamen Nils Tuxen an der Slide Gitarre, Yogi Jockusch an den Drums und Achim Rafuin am Bass. Ein spielfreudiger Haufen älterer Herren, die besonders bei den Shanty-Songs prima den Sound-Teppich für die noch immer sehr kräftige, typisch Hamburger Schnauze von Achim Reichel bereiteten.



Und der Grandfather of Shanty-Rock ist immer noch fit wie ein Turnschuh, auch wenn er im Interview bekannt gab, dass dies die absolut letzte Tour von ihm sein wird. „Jeden Abend eine andere Stadt, wo man mitunter gar nicht mehr weiss, wo man ist, schlaucht schon gewaltig.“ Aber der Mann kann auch Politisches, wie er erzählt, dass die folgende Nummer auf Ansage von Helmut Kohl, der im Fernsehen keine Propaganda für Greenpeace oder die Grünen sehen wollte, aus dem Programm genommen wurde. Mit „Exxon Valdez“ erzählt er die dramatische Geschichte vom 200.000.000 Liter fassenden Öltanker, der damals die größte Umweltkatastrophe vor der Küste von Alaska verursachte.

Sein zweites musikalisches Steckenpferd, die Vertonung von deutschen Dichtern, kam auch nicht zu kurz. So kam aus dem Galgenlieder-Zyklus von Christian Morgenstern „Sophie mein Henkersmädel“ als langsam schleppender Blues zur Aufführung. Später folgten von Detlev von Liliencron die Ballade um den Untergang von Rungholt „Trutz Blanke Hans“ und „John Maynard“ von Theodor Fontane. Aber natürlich wollten die Leute auch die bekannten Shantys wie „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, ursprünglich von Hans Albers gesungen, hören. Reichel wippt dabei leichtfüssig in seinen Schuhen und erklärt dann „ganz überraschend, die altersgerechte Pause von ca. 15 Minuten“.



Danach gab es mehr lyrisches wie „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius und „Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Und dann kam endlich die Neuinterpretation vom Hilde Knef-Song „Schön war es doch“, der auch als Titel für die Abschiedstour ausgewählt wurde, zu Gehör. Und natürlich durften am Ende auch die Top-Hits „Steaks, Bier und Zigaretten“, „Kuddel Daddel Du“ und „Aloha Heja He“ nicht fehlen, die tatkräftig vom Publikum mit geschmettert und abgefeiert wurden. Man wollte die Band nicht von der Bühne lassen. Also noch eine Zugabe mit drei Songs, wie „Kreuzworträtsel“. Das war’s dann aber schlussendlich.

Viele Leute waren froh, Achim Reichel noch einmal nach über 60 Jahren wilder Karriere zwischen Rock, Blues, Shanty und Volkslied live gesehen zu haben.

Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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