Preisträgerin Doris Salcedo, Foto: David Heald

Erster Possehl-Preis für Internationale Kunst geht an Doris Salcedo
Fragile Kunst gegen das Vergessen

Die international renommierte Künstlerin Doris Salcedo (*1958) beschäftigt sich in Objekten, Skulpturen und großen ortsspezifischen Installationen mit den Auswirkungen von Gewalt und Ausgrenzung in ihrer Heimat Kolumbien und anderen Regionen der Welt.

Salcedo findet, so die international besetzte Jury, „für politische Herrschaftssysteme, Rassismus und systematische Ungleichbehandlungen poetische Bilder“, und ihr Werk sei „von höchster Relevanz für unsere Gegenwart.“ Sieben Künstlerinnen und fünf Künstler aus neun Nationen waren im Vorfeld von einem ebenfalls international besetzten Vorschlagsgremium nominiert worden. Die erste Einzelausstellung Salcedos in Deutschland wird vom 7. September bis 10. November 2019 in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck zu sehen sein. Die Preisübergabe findet mit der Eröffnung am 7. September statt, der Preis ist mit 25.000,- Euro dotiert.

Fragile Kunst gegen das Vergessen

Wo andere sich abwenden, beginnt Salcedos Arbeit: Mit großer Sensibilität thematisiert sie in ihren Skulpturen und Installationen die tragischen Folgen von Gewalt als Konsequenz politischer und ökonomischer Herrschaftsansprüche und führt dabei den Betrachter auf die emotionale Ebene der Opfer und ihrer Angehörigen.

Der seit fünf Jahrzehnten währende, bürgerkriegsähnliche Konflikt in ihrer Heimat Kolumbien ist Ausgangspunkt zahlreicher Projekte Salcedos, so verfremdet sie in „La Casa Viuda“ (1992-1995) Vertrautes aus dem häuslichen Alltag (wie Möbel oder Kleidungstücke) und schafft der Trauer um geliebte Menschen sowie um den Verlust der Heimat einen Raum.

Auf der 8. Biennale in Istanbul (2003) stapelt sie, in einem einst von Angehörigen der griechischen und jüdischen Minderheit bewohnten Stadtviertel, 1.500 gebrauchte Stühle in einem engen Spalt zwischen zwei Häusern. Den Umgang Europas mit MigrantInnen nimmt sie 2007 in „Shibboleth“ (Tate Modern, London) in den Blick und hinterfragt mit einem langen und tiefen Riss im Betonboden der Turbinenhalle die Abschottungs- und Ausgrenzungsmechanismen der sogenannten „ersten Welt“.

Doris Salcedo: Plegaria Muda, Foto: Museum Calouste GulbenkianDoris Salcedo: Plegaria Muda, Foto: Museum Calouste GulbenkianWerke wie „A Flor de Piel“ (2011-2012), ein großes Tuch aus konservierten und filigran miteinander vernähten Rosenblättern, und „Plegaria Muda“ (2008-2010), übereinander gestapelte Holztische, aus denen feine Grashalme wachsen, rufen Stärke, Schönheit und Fragilität des Lebens in den Sinn und erinnern zugleich an die traurigen Schicksale einzelner Menschen.

Salcedo arbeitet nicht nur in künstlerischer Hinsicht äußerst umfassend und präzise, sondern auch im Hinblick auf die praktische Umsetzung ihrer Projekte, so bindet sie z. B. Opfer von Gewalt in die Erstellung ihrer Werke ein und verleiht ihnen dadurch eine Stimme. Die Künstlerin lebt in Bogotá, wo sie derzeit ein „Anti-Monument“ aus einem Teil der rund 7.000 von den FARC-Rebellen abgegebenen Waffen erschafft. Eingeschmolzen und bearbeitet sollen diese als Bodenplatten für ein neues Museum im Zentrum der Stadt dienen, als Ort der Reflexion der langen Jahre gewalttätiger Konflikte in Kolumbien.

Informationen zum Possehl-Preis für Internationale Kunst

Mit dem Possehl-Preis für Internationale Kunst zeichnet die Lübecker Possehl-Stiftung lebende Künstlerinnen und Künstler mit nationalem und internationalem Renommee für ihr Lebenswerk oder eine herausragende Arbeit beziehungsweise Werkgruppe aus. Ab 2019 wird dieser alle drei Jahre vergeben. Für die Würdigung stehen eine außerordentliche künstlerische Auseinandersetzung und eine mindestens über ein Jahrzehnt hinaus andauernde kontinuierliche Leistung im Vordergrund, die eine besondere Anerkennung verdienen.

Der Preis wird innerhalb der Sparten Skulptur, Installation, Neue Medien und Performance sowie Formen des künstlerischen Aktionismus im Nominierungsverfahren vergeben. Intermediale Bezüge vielfältiger künstlerischer Ausdrucksformen im Gesamtwerk werden verstärkt bei einer Preisvergabe berücksichtigt. Die Auszeichnung umfasst ein Preisgeld von 25.000,- Euro sowie die Ausrichtung einer Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen, Lübeck.

Mitglieder der Jury

Prof. Dr. Stephan Berg Intendant, Kunstmuseum Bonn; Jurymitglied mit Stimmrecht • Hannah Firth Direktorin, Chapter, Cardiff; Jurymitglied mit Stimmrecht • Dr. Anette Hüsch Direktorin, Kunsthalle Kiel; Jurymitglied mit Stimmrecht • Dr. Oliver Zybok Direktor, Overbeck-Gesellschaft; Jurymitglied mit Stimmrecht • Max Schön Vorsitzender, Possehl-Stiftung; Jurymitglied ohne Stimmrecht • Prof. Dr. Hans Wißkirchen Direktor, Kulturstiftung der Hansestadt Lübeck; Jurymitglied ohne Stimmrecht

Vorschlagsgremium für den Possehl-Preis für Internationale Kunst

Achim Borchardt-Hume Direktor für Ausstellungen und Programm, Tate Modern, London • Adam Budak Chefkurator für Gegenwartskunst, Nationalgalerie Prag • Fanni Fetzer Direktorin, Kunstmuseum Luzern • Karola Kraus Generaldirektorin, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien • Roland Nachtigäller Direktor, Marta, Herford • Dr. Renate Wiehager, Leiterin Daimler Art Collection, Haus Huth, Berlin

Weitere Informationen unter: www.possehl-stiftung.de

Janine Gerber ist die erste Preisträgerin des Possehl-Kunstpreises für Lübecker Künstler: Gewinner der Possehl-Kunstpreise ausgewählt


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