Modenschau im Behnhausgarten, Foto: Thomas Schmitt-Schech

19. Lübecker Museumsnacht
Flirrende Nacht

Als Thomas und ich einen Blick ins Programm der 19. Lübecker Museumsnacht werfen, wird uns schnell klar: Dies ist nur etwas für Gnadenlose. Denn nur wer eiskalt in der Lage ist, verlockend klingende Veranstaltungen von der reichhaltigen Liste zu streichen, hat eine Chance, munter durch die Nacht zu kommen.

Das Angebot aber ist derart attraktiv, dass man nur schweren Herzens etwas weglassen mag. Es ist wie ein überbordendes Buffet voller kultureller Leckereien und bunter Überraschungshäppchen. Wir sehen uns bestürzt an: Sollen wir würfeln?

Schon bevor Kultursenatorin Katrin Weiher die Museumsnacht am 31. August um 18 Uhr vor dem Buddenbrookhaus offiziell eröffnet, findet am Nachmittag ein Kinderprogramm statt mit Vernissage, dem Angebot, Windräder zu basteln und einer virtuosen Breakdance-Vorführung. Bis hierhin fiel uns die Wahl nicht schwer, denn das Nachmittagsprogramm ist konkurrenzlos. Doch kaum hat die Uhr sechs geschlagen, wird es ernst!

Wir entscheiden uns, einer gespielten historischen Entladeszene an der „Lisa von Lübeck“, dem Nachbau eines Hanseschiffes, beizuwohnen. Schon von weitem zieht die stolze Kraweel unsere Blicke auf sich. Das Großsegel schmückt sich mit dem Wappen der Hansestadt, der Rumpf ist gewienert und leuchtet selbstbewusst in der Spätsommersonne.

Hansevolk vor der Lisa von Lübeck, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechHansevolk vor der Lisa von Lübeck, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Alle Schreckhaften mögen sich die Ohren zuhalten, werden wir gewarnt, denn zur Begrüßung schießt man Salut. Danach geht es launig weiter. Ein prachtvoll gewandeter Kaufmann berichtet von der Fahrt des Schiffes. „Einer ging über Bord, das passiert leider. Doch Hauptsache, die Waren sind unversehrt.“ Inmitten einer Gruppe historisch gekleideter Arbeiter, Marktfrauen und Schaulustiger erläutert er, was da zu Ballen gebunden an Land geschleppt wird: Marderfelle, Teppiche, bestes Tuch aus Brügge, Rohwolle und ein Altarbild aus Reval.

Entladeszene mit dem Hansevolk, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechEntladeszene mit dem Hansevolk, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Die Arbeiter schnaufen, ihr Schweiß fließt. „Ich bezahle euch gut, also murrt nicht!“, weist der Kaufmann sie zurecht. Und erläutert: In Lübeck waren die Scheuerleute so mächtig, dass sie die Anschaffung von Kränen – wie beispielsweise in Lüneburg – verhindert haben. Doch mächtig ist in dieser nachgespielten Szene vor allem der Kaufmann. Eine Frau, die behauptet, der Stockfisch aus Bergen stinke, lässt er in Ketten legen und abführen. Es ist ein aufwändig ausgestattetes Stück, das wir bestaunen dürfen. Wir würden im Anschluss gern noch auf dem „Open Ship“ bleiben oder über den Mittelaltermarkt des Hansemuseums schlendern, doch das sind zwei der Punkte, die wir aus Zeitgründen streichen müssen.

Wir haben uns für einen Zeitsprung um hundert Jahre nach vorn entschieden. Also radeln wir flugs zur Villa Brahms und werden im großbürgerlichen Ambiente ausgesprochen nett empfangen. Man war sich wohl nicht sicher, wie viele Interessierte den Weg auf den Jerusalemsberg finden würden, und freut sich über jeden Besucher. Doch in ansehnlicher Gesellschaft folgen wir Mozart nach Mannheim.

Das TheaterFigurenMuseum zu Gast im Brahms-Institut, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechDas TheaterFigurenMuseum zu Gast im Brahms-Institut, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Das Brahms-Institut hat sich den Komponisten und einige Zeitgenossen als Marionetten vom derzeit heimatlosen Theaterfigurenmuseum ins Haus geholt und präsentiert „Theaterfigurenmusik“. Das Format erweist sich als eine so unterhaltsame wie informative Mischung. Dr. Antonia Napp erläutert das Tableau mit seinen Feinheiten wie besonders beweglichen Gliedern und blätterbaren Noten, das der bekannte Marionettenkünstler Xaver Schichtl für das Singspiel „Mozart in Mannheim“ schuf. Drei Klarinettistinnen der Musikhochschule spielen eine Arie aus Mozarts Oper „Clemenza di Tito“ – sehr passend, denn in Mannheim hat sich der Komponist in die Klarinette verliebt, die den „Ton des empfindsamen Herzens“ treffe.

Napp führt uns auch ins Papiertheater ein, das Kindern des wohlhabenden Bürgertums als Beschäftigung diente und häufig mit der Aufführung von Hausmusik verbunden war. Die kleine Bühne entstand mittels Bastelbögen, dazu lieferten die Hersteller Texthefte. Märchen, aber auch die Nibelungensage oder Carl Maria von Webers Freischütz wurden aufgeführt. Wir bekommen daraus noch die Cavatine „Wie nahte mir der Schlummer“ live geboten. Danach könnten wir uns einer Führung durchs Haus anschließen – doch das lässt die Zeit nicht zu.

Modenschau im Behnhausgarten, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechModenschau im Behnhausgarten, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Auf unserem Weg durch die Stadt begegnen uns nun schon auffällig geschminkte Museumsnachtbummlerinnen: Frauen mit Schnurrbart und herben Gesichtszügen – gewissermaßen ein Gruß aus der Musterbahn. Denn dort stellt das Museum für Natur und Umwelt seine Räumlichkeiten u.a. für allerlei Aktionen zum Thema sexuelle Vielfalt bereit, so auch für Transgender-Makeup.

Thomas und ich jedoch lassen uns im Garten des Behn-/Drägerhauses nieder. Die Modenschau „Vom Badekleid bis zum Burkini“ unterhält uns gut. Hinterher aber fragen wir uns: Was war noch gleich der Bezug zum Museum? Gibt es dort eine Sonderausstellung zum Seebad? Wir finden nichts Derartiges – viel Zeit zum Suchen bleibt uns allerdings auch nicht. Die benachbarten Museen Willy-Brandt- und Günter-Grass-Haus müssen wir nach dem Blick auf die Uhr ganz von der heutigen Liste streichen, ebenso später die geplanten Abstecher ins Kinderliteraturhaus und St.-Annen-Museum und einen Besuch von Galerien und Künstlerateliers. Ein wenig Frust legt sich über unsere Stimmung.

Katharinenkirche, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechKatharinenkirche, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Der jedoch ist vergessen, als wir in der Katharinenkirche noch einen Teil der Führung „Von Außenseitern und Sonderlingen“ miterleben. Cornelia Nicolai erklärt so interessant wie eindrucksvoll, wen die Wandbilder und Skulpturen darstellen. Wir erfahren, dass die Heilige Katharina – Namensgeberin der Kirche – keine historische Persönlichkeit war. Stattdessen hat man die altgriechische Gelehrte Hypatia zum Vorbild genommen, eine Mathematikerin, Philosophin und Astronomin, die von christlichen Eiferern umgebracht wurde, weil sie sich nicht zu ihrer Religion bekennen wollte. In der Legende der Katharina wurde daraus ausgerechnet eine überzeugte Christin, die 50 Philosophen bekehrte und deshalb ihr Leben lassen musste – und fortan als christliche Märtyrerin verehrt wurde!

Das rege, bunte, flirrende Treiben auf den Altstadtstraßen lässt bei uns spontan das Bedürfnis nach Musik, Plausch und Kaltgetränk aufkommen, das wir am Dom zu stillen gedenken. Tatsächlich gibt es dort (bezahlbares) Bier. (Einen Wein in der Museumsnacht sollte sich nur leisten, wer vorher die Ersparnis an Eintrittsgeldern schöngerechnet hat.)

The Metafiction Cabaret im Domhof, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechThe Metafiction Cabaret im Domhof, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Auf dem Domhof gibt es High-Life in Tüten, kreuzfidel und queer. Die Punk-Band „The Metafiction Cabaret“ mit dem gebürtigen Lübecker Marc C. Behrens als schrillem Sänger läuft zu Höchstform auf und ist laut genug, um auch im Museum für Natur und Umwelt deutlich gehört zu werden. Dort sehen wir uns noch rechtzeitig vor Mitternacht die umwerfende Ausstellung „Verrückte Schmetterlinge“ mit Fotos von Ingo Arndt an. Ich lerne Glasflügelfalter kennen und lerne, dass Zitronenfalter überwintern können.
Wieso ist alles so schnell vorbei?

Blick über die Trave auf die Kunsttankstelle Defacto Art, Foto: (c) Thomas Schmitt-SchechBlick über die Trave auf die Kunsttankstelle Defacto Art, Foto: (c) Thomas Schmitt-Schech

Als wir leicht melancholisch über die Obertrave zurück radelnd, dieser ereignisreichen Nacht nachspüren, deren Eindrücke uns staunend und taumelnd zurücklassen, hören wir fröhlichen Singsang. Da, ein Blick über das Wasser zeigt uns die Quelle: Bei Defacto Art in der Wallstraße sitzen sie gemütlich im Garten und singen. Sollen wir noch hinüber radeln? Nein, wir sind platt. Bevor wir anfangen, Frust zu schieben, summen wir lieber ein Liedchen mit und freuen uns, wie viel Wundervolles man in Lübeck auf die Beine stellt.

Karla Letterman
Karla Letterman
Karla Letterman ist Krimiautorin aus dem Harz mit Leidenschaft für Norddeutschland, Nebel und Schattenboxen. Lebt seit 2017 in Lübeck. Höchst interessiert an Filmen, Literatur und Sprechkunst. Thomas Schmitt-Schech ist nicht nur Fotograf mit unbezwingbarem Hang zu Nachtaufnahmen, sondern auch nebenberuflich als Tai-Chi- und Qigong-Lehrer unterwegs. Karlas liebster Lichtfänger und Schattenboxer. www.karla-letterman.de / www.lichtblick-fotokompass.de

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