Zum Einstieg in das Internationale Musikfest Hamburg gab es im Großen Saal der berühmten Elphiharmonie Ende April ein umjubeltes Filmkonzert der Symphoniker Hamburgs mit einem Meisterwerk der Filmgeschichte. Mit „ Der große Diktator“ hatte Charlie Chaplin 1940 nicht nur eine legendäre Satire über Adolf Hitler und den Nationalsozialismus geschaffen, sondern auch seinen ersten Tonfilm erstellt. Gleichzeitig war der Film auch ein allgemeines Manifest gegen Krieg und Totalitarismus. Dementsprechend passte dieses klassische Meisterwerk auch hervorragend in die Eröffnungswoche des Internationalen Musikfests Hamburg, das unter dem Motto „Krieg und Frieden“ steht.
Das besondere an diesem denkwürdigen Abend war, dass nicht nur der grandiose Film im Original gezeigt wurde, sondern mit Live-Soundtrack, gespielt von den Symphonikern Hamburg unter der Leitung von Dirigent Timothy Brock, dem sogenannten „Stummfilm-Musik-Guru“, in einer restaurierten Original-Version von Charlie Chaplin und Meredith Willson präsentiert wurde. Zur Entstehung der Musik, bei der Chaplin zunächst sogar mit Hanns Eisler zusammenarbeiten wollte, sagte Chaplin: „Wie herrlich ironisch wäre es, wenn ausgerechnet der deutsche Komponist die Musik für „The Great Dictator“ beisteuern würde, dessen Hauptfigur für Eislers Verbannung aus seiner Heimat verantwortlich war“. Chaplin und Eisler waren dann aber doch nicht auf einer Wellenlänge. Chaplin hatte alle Musik bereits im Kopf und tat sich dann mit dem 38-jährigen amerikanischen Komponisten Meredith Willson zusammen, der über die Zusammenarbeit sagte: „Wir haben den Film zusammen in 70 Sequenzen unterteilt und haben über Wochen für jede Sequenz die passende Musik geschrieben“. Chaplin sei bei diesem Prozess weit mehr als nur gelegentlicher Ideengeber gewesen,“er hat etwas vorgesummt, das ich dann nachgespielt habe“.
Neben der eigenen Musik wussten Willson und Chaplin auch zwei fremde Werke auf legendäre Weise einzusetzen: Die Szene, in der Chaplin als Friseur einen Kunden zu den Rhythmen von Johannes Brahms Ungarische Tänze Nr. 5 rasiert, ging ebenso in die Filmgeschichte ein wie der Tanz des Diktators Henkel mit der aufgeblasenen Weltkugel zu Klängen von Wagners Lohengrin-Vorspiel.
Die musikalische Umsetzung durch das mehr als 70-köpfige Orchester war punktgenau und voller Virtuosität. Timothy Brock, der sich als Dirigent auf Werke des frühen 20. Jahrhunderts spezialisiert hatte, begann 1998 eine dauerhafte Beziehung zur Familie des berühmten Komikers und Filmemachers Charlie Chaplin. Er half den Erben bei der Erhaltung der Partituren und gilt seitdem als die führende Autorität in Bezug auf Chaplin als Komponist. Entsprechend souverän ging er in seinem Dirigat in der Elbphilharmonie zur Sache.
Chaplin selbst war wie bei fast allen seinen früheren Filmen auch für Drehbuch, Regie und Produktion gleichermaßen verantwortlich. Daneben spielte er natürlich auch die beiden Hauptrollen: die des Tyrannen Anton Hynkel und die des jüdischen Friseurs, der im Getto von Hynkels Sturmtruppen terrorisiert wird. Wegen der großen Ähnlichkeit der beiden kommt es gegen Ende des Films zur Verwechslung und zu jener berühmt gewordenen Rede, in der der „falsche“ Diktator die große Bühne nutzt und in einen flammenden Appell zu Menschlichkeit und Weltfrieden aufruft. In dieser Szene brandete Szenenapplaus durch die wunderbare Konzerthalle auf. Dabei war es für Chaplin selbst eine Sensation, denn der Große Diktator war ja schließlich sein erster Tonfilm, der schon vor den Dreharbeiten von deutschen und britischen Diplomaten in den Vereinigten Staaten, in denen er als geborener Brite seit 1913 ständig lebte, kritisiert wurde und ihn in die erste Reihe der Prominenten gebracht hatte, die von dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ verfolgt wurden. Doch all dies ließ Chaplin nicht davon abbringen mit dem großartigen Film, ein humoristisches wie auch eindeutig politisches Statement für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit zu schaffen.