Thomas Hengelbrock, Foto (c) Olaf Malzahn

SHMF 2016
Ein leidenschaftlicher Haydn und ein brillanter Bartók zur Festival-Eröffnung

Es ist wieder so weit. Das sommerliche Musik Festival in Schleswig-Holstein hat seinen Event-Betrieb aufgenommen. Selbst zum Voreröffnungskonzert am 2. Juli 2016 war schon Gelegenheit, an beiden Eingängen Sekt zu schlürfen, an dem zur Trave hin sogar auf Kunstrasen.

Die Wichtigkeit des am folgenden Abend kommenden Haupteröffnungsereignisses war zudem an den Stolperschwellen über den Kabeln aus den Übertragungswagen des NDR zu erkennen, an zwei einsamen floralen Dekorationen, die sich bereits im Bühnenhintergrund versteckten, und natürlich an den Kameras links und rechts der Empore. Denn selbst am Vortag wurde bereits fleißig geschwenkt und gedreht, um für den nächsten Tag fit zu sein, dann nämlich, wenn die Honoratioren auftreten. Ausgestrahlt werden soll das in alle Welt, das Sommerereignis, das nun in dem Konzertsaalersatz der Rotunde beginnt. Wie immer soll in diesem 30. Jahr die Grundidee, die Musik zu den Menschen zu bringen, einen Flächenbrand zünden, vom Süddänischen bis ins Niedersächsische und ebenfalls in Hamburg, das musikalisch längst zu Schleswig-Holstein gehört.

Am Vorabend zur eigentlichen Eröffnung war dennoch die Musik der Mittelpunkt und ein ausgesprochener Genuss. Joseph Haydn, dem designierten Retrospektive-Komponisten, galt der ganze erste Teil des Auftaktkonzertes, das traditionell das Orchester des NDRs gibt. Es ist das, das sich jetzt Elbphilharmonie Orchester nennt, selbst an der Trave trotz Rotunde phantastisch klingt, lebendig und inspiriert, beides vor allem, wenn sein Chef Thomas Hengelbrock es leitet.

Und auch die Interpretation der „Oxford“-Sinfonie berauschte. Ihr edler Klageton in der langsamen Einleitung, der straffe, suchende erste Gedanke, das stark gegensätzliche tändelnde zweite Thema, alles riss mit, riss hinein in einen Strudel positiver Neugier. Im zweiten Satz wurde die besinnliche Atmosphäre des Adagios durch sehr straffe Moll-Einschübe unterbrochen, und auch der dritte, der durch plötzliches Verharren und Marianne Crebassa, Foto (c) Olaf MalzahnMarianne Crebassa, Foto (c) Olaf MalzahnGegenimpulse geprägt ist, gibt sich keineswegs harmlos. Hengelbrock setzte zudem ventillose Trompeten und Hörner ein, die besonders in diesem Satz den Klang strafften, ihn rauer machten. Das kunstvoll wirbelnde, energische Finale schließlich war in seiner Dichte von suggestiver Macht.

In dem zweiten Haydn-Beitrag bestach vor allem die junge Solistin Marianne Crebassa mit einer wunderbar glänzenden Sopranstimme, die noch in der Tiefe kräftig und dunkel klang. Für die damals hochberühmte italienische Sopranistin Brigida Banti hatte Haydn diese eigenständige, glutvolle, zugleich tragisch zerrissene Scena »Berenice, che fai« zu einem Text des barocken Libretto-Papstes Metastasio komponiert. Haydn berücksichtigte, wie zu der Zeit üblich, den Stimmcharakter der Diva. Das Programmheft informiert, dass diese „offenbar kein glockenhell-silbriges, sondern gedeckteres Sopran-Timbre“ besaß, beides vereint nun bei Marianne Crebassa. Das gab ihrer Interpretation, geschmeidig eng durch das Orchester begleitet, eine große, leidenschaftliche Ausdruckskraft, die den Hörer bannte.

Der Konzertbeginn ließ an Johannes Brahms‘ Verdikt denken, eine Haydn-Sinfonie, wie zu seiner Zeit üblich, als Einspielstück zu missbrauchen. Es gehöre als Höhepunkt sinfonischer Aussage an den Schluss eines Konzertes. Dafür hatte Hengelbrock diesmal Béla Bartóks Konzert für Orchester gewählt, eines der ganz großen Kompositionen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Haydn ähnlich hat es einen elegischen Grundton, der den Beginn des ersten Satzes bestimmt, sich dann besonders im dritten Satz verdichtet. Wie bei dem Klassiker ist die meisterhafte Gestaltung Charakteristikum der Partitur, die einzelnen Instrumenten und Instrumentengruppen immer wieder überraschende, konzertierende Aufgaben gibt. Auch hier schaffte es Hengelbrock, vor allem im vierten Satz mit dem Lehár-Zitat, nicht vordergründig oder grell musizieren zu lassen, sondern stets dicht, aus dem Melodischen heraus zu gestalten.

Ein musikalisch glanzvoller Auftakt zum Festival!


Fotos: (c) Olaf Malzahn

 

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.