Omar Sosa in Lübeck, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Leinen los nach Lateinamerika
Das Classical Beat Festival 2022 schlägt hohe Wellen

Das sechste Classical Beat Festival präsentiert zwischen dem 21. und 30. Juli 2022 Crossover der Extraklasse mit internationalen (und nationalen) Künstlerinnen und Künstlern von Weltrang. Unter dem Motto „Leinen los nach Lateinamerika“ wird die Vielfalt der lateinamerikanischen Musik in Kombination (nicht nur) mit europäischer Klassik in Verbindung gebracht.

Den Start macht ein ganz Großer: Gustavo Santaolalla wird das diesjährige Festival am 21.07.22 ab 20:00 Uhr in der MuK eröffnen. Mit seinem vielseitigen Programm "Desandando El Camino" wird der charismatische Argentinier zusammen mit dem Classical Beat Orchester unter der Leitung von Pierre Bertrand das Publikum immer wieder von den Stühlen holen.
"Desandando El Camino": Den Weg zurückverfolgen. Der 70-jährige Santaolalla hat einiges an Wegstrecke hinter sich. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten, einer, der ganz im Sinne von Classical Beat musikalische Genres verbindet: Folk, Klassik, Jazz, Rock, Pop, ihm ist nichts fremd. Mit seiner früheren Band Bajofondo war er einer der Pioniere des elektrifizierten Tangos, der die argentinische Nationalmusik in die Clubs und Bars brachte und damit ins 21. Jahrhundert katapultierte. Er gilt als Pionier im Verschmelzen von Rock und lateinamerikanischem Folk.

Dazu benutzt er traditionelle Instrumente wie die „Charango“ oder die „Ronroco“, ohne dabei einem gängigen Klischee Südamerikas zu entsprechen. Als Komponist schuf der seit Ende der 1970er Jahre in den USA lebende Musiker unzählige großartige Soundtracks zu Filmen, Serien und Videogames wie "The Last of Us", als Produzent arbeitete er mit Künstlern wie Juanes, Cafe Tacvba und der mexikanischen Band Molotov, schrieb aber auch Lieder für Mercedes Sosa. All das spiegelt sich in seinen aktuellen Konzerten mit seiner neuen, sechsköpfigen Band SantaBanda und hier in Lübeck mit dem Classical Beat Orchester unter der Leitung von Pierre Bertrand. Auch wenn Santaolalla vielleicht dem Namen nach noch nicht so vielen hier in Lübeck und Umgebung bekannt ist, seine Musik haben bestimmt schon viele vernommen, so erhielt er unter vielem anderen zwei Oscars für die Filmmusiken zu "Brokeback Mountain" und "Babel" sowie 18 Latin Grammies.

Zweifellos ist er einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Musiker der Gegenwart, ein "progressiver Traditionalist, der Einflüsse aus aller Welt in die Musik seiner Heimat integriert", so die JazzTimes. Und einer, der die Bühne trotz seiner 70 Jahre rocken kann, so dass alle Besucher:innen ein Highlight für Ohren und Augen erwarten wird!

Hans-Wilhelm Hagen, Pierre Bertrand, Omar Sosa und Friedemann Bauknecht, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannHans-Wilhelm Hagen, Pierre Bertrand, Omar Sosa und Friedemann Bauknecht, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Das Festival gibt immer wieder Raum für Neues. Hans-Wilhelm Hagen, der Mann und Macher von Classical Beat verweist auf das Bild des Brückenschlags von Travemünde nach Südamerika und zurück, so wie es vor Jahrzehnten Seeleute auf der Passat gemacht haben. Und das ist das Spannende dieses immer noch jungen Projekts: Da kommen Menschen zusammen, die bisher noch nicht zusammen musiziert haben. Musikerinnen und Musiker, die gemeinsam neue Pfade betreten. Ein quasi Katalysator dafür ist der französische Saxophonist, Flötist, Pädagoge, Komponist, Dirigent, Arrangeur und Autor von Filmmusik: Pierre Betrand. Er gründete 1998 die preisgekrönte Paris Jazz Big Band, leitet seit 2006 das Nice Jazz Orchestra und wird häufig als Gastdirigent zu anderen Jazzorchestern ins Ausland eingeladen. So auch zu den jungen professionellen Musikerinnen und Musikern, die im Rahmen von Classical Beat miteinander und mit anderen musikalischen Größen konzertieren.

Pierre Bertrand und Omar Sosa, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannPierre Bertrand und Omar Sosa, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Ich fragte Pierre Bertrand während der Vorstellung des Programms, was ihm Musik bedeuten würde:

PB: „Musik ist für mich tatsächlich mein ganzes Leben. Schon seitdem ich sehr jung war, hatte ich die Liebe zur Musik und nur die Musik bewegt mich bis zum heutigen Tage und führt dazu, dass ich auch heute Musik mache. Es ist nicht nur Spaß, das geht sehr tief und ich mag sämtliche Formen und Ausdrucksweisen von Musik. Ich schreibe gerne Musik ebenso wie ich gerne improvisiere. Im Moment des Improvisierens empfinde ich eine besondere Freude.

NFB: „Wie ist es für Sie, mit so vielen jungen Musikerinnen und Musikern zu arbeiten?“

PB: „Es ist eine großartige Möglichkeit für die jungen professionellen Musikerinnen und Musiker ebenso wie für mich. Für Musiker in Europa ist es gar nicht so leicht, seine näheren Nachbarn, da meine ich Belgien, Niederlande, Dänemark, Schweden, kennenzulernen, da es, obwohl Europa nicht so groß ist, nicht so viel Austausch gibt. Es gibt überall großartige Musikerinnen und Musiker, aber wir kennen uns nicht. Für die jungen Leute ist es für ihre Karriere sehr wichtig, denn vielleicht werden sie in 10, 20 Jahren mit diesen Menschen spielen, die sie über dieses Projekt getroffen haben. Dazu kommt der zweite Punkt, dass wir Kenntnisse austauschen und unsere Kunst. Der Ursprung des englischen und französischen Wortes für Kunst, „Art“ liegt in der Begrifflichkeit „wie man seine Hand benutzt“. So können wir weitergeben, wie man spielt, ebenso wie die Inhalte, die wir spielen. Für mich ist das auch ein Austausch von Wissen zwischen den Generationen. Auch die Coaches sind von unterschiedlichen Regionen Europas und sehr gut ausgebildet. Und vielleicht erhält zukünftig ein junger Musiker ein Angebot von einem Orchester aus einer ganz anderen Region? Wir müssen den Austausch ausweiten, in Europa und auch auf Kanada und Südamerika!“

Omar Sosa, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannOmar Sosa, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Mittwoch, den 27.07.22 spielen mit Omar Sosa und Joo Kraus auch zwei zusammen, die man nicht sofort gemeinsam auf der Bühne verorten würde: Omar Sosa, der großartige afro-cubanische Jazz-Pianist mit Wohnsitz in Spanien und den USA wird nach seinem Auftritt auf Jazz Baltica ein zweites Mal hier im Norden zu Gast sein, dieses Mal im Rahmen von Classical Beat.

Ich fragte Omar Sosa vor zwei Monaten zu den spirituellen Aspekten, die in seiner Musik eine große Rolle spielen:

OS: „Weißt Du, wir haben einen Auftrag: Wir sollen die Botschaft unserer Seele und unserer Vorfahren, die im Licht steht, überliefern. Jedes Mal, wenn wir uns vor ein Instrument begeben, ist dies eine Zeremonie. Wir channeln das Licht und die Botschaft kommt zu uns. Sonst müssen wir nichts tun, wir müssen nur ehrlich sein und rein genug im Inneren, um die Botschaft übersetzen zu können in Musik oder entsprechend Noten. Das ist es, was ich mein ganzes Leben mache und machen werde. Ich will nichts beweisen. Ich will nur offen genug sein, wenn die Botschaft kommt, dann will ich sie in der besten Form übertragen, das werden die Hörerinnen und Hörer in diesem Moment spüren, weil er voller Energie ist. Was mir wichtig ist, ist die Freiheit in der Musik und die Freiheit in mir, das führt dazu, dass ich mich nicht einmal erinnere an das, was ich gespielt habe; wenn ich es erinnere, ist etwas falsch. Ich möchte nicht das spielen, was ich im Kopf habe, sondern, das, was in meiner Seele existiert, das was meine Seele mir sagt, nicht mehr als das.

Omar Sosa, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannOmar Sosa, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Das sollen nur ein paar genauere Ausschnitte, Schnipsel sein: Viel weiteres südamerikanisches Feuer erwartet die Besucherinnen und Besucher: Gregor Huebner, einmal mit El Violin Latino am Sonntag, den 24. Juli, 19:00 Uhr im Ballsaal des Atlantic Grand Hotel Travemünde, wo die meisten Konzerte stattfinden werden. Das zweite Mal den folgenden Montag mit dem Sirius Quartett im Haffkruger Haffhus: Klassik intensivst in die Moderne geschifft. Parallel zu beiden Terminen Open Air die Brazilian Beatz Band, ein Lübecker Band-Projekt. Der Rhythmus wird in die Beine gehen, ebenso wie bei „Brahms in Brazil“ (Freitag, 29.07.22, 20:30, Ballsaal des Atlantic Grand Hotel Travemünde) und dem Festival Finale (gleicher Ort, gleiche Zeit, ein Tag später). Und dann noch das Preisträgerkonzert „PEACE“ des Classical Beat Orchesters eine Woche zuvor (Samstag, 23. Juli, 20:30, Ballsaal des Atlantic Grand Hotel Travemünde), am selben Ort den Dienstag darauf um 20:30: „Von Lübeck nach Havanna“: (nochmals) Gregor Huebner, diesmal mit dem frischgebackenen Preisträger Ilja Ruf, dem Classical Beat Orchester unter Vater Bernd Ruf. Letztere begleiten am Donnerstag (28.07.22, 20:30, Ballsaal des Atlantic Grand Hotel Travemünde) Jaques & Paula Morelenbaum mit Ralf Schmid und Joo Kraus. Zu denen könnte ich jetzt nochmals 4 Seiten schreiben.

Alles zusammen ein Festival mit großer Vielfalt, das sich keine Auszeit gönnt: Ein Konzert spannender als das andere. Falls Sie noch keinen Urlaub haben, nehmen Sie ihn sich und machen eine Reise nach Südamerika, Sie brauchen ja nur bis Travemünde zu fahren.

www.classicalbeat.de/programm2022


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