Foto: Holger Kistenmacher

Das Hamburger Harbour Front Literaturfestival zu Gast in der Elbphilharmonie
Gute Texte - schöne Töne

Daniel Specks dritter Roman „Jaffa Road“ wurde im Rahmen der Harbour Front Sounds vom Trio Orientacion um die deutsche Weltmusik-Legende Roman Bunka (Embryo/ Dissidenten) an der Oud musikalisch unterstützt. Eingeleitet in den sehr unterhaltsamen, wie informativen Abend im Kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie wurde der Leseabend mit Musik von der bekannten Aspekte-Moderatorin Katty Salié.

„Jaffa Road“ ist der bereits dritte Roman von Daniel Speck. Eine packende und politisch brisante Familien-Saga, die vor dem Hintergrund des Nahostkonfliktes spielt. In ihrer Einführung berichtet Katty Salié davon, dass das gesamte Buch nach frischen Orangen duftet und alle zehn Seiten über orientalische Rezepte und Essen geschrieben wird, dass einem das Wasser im Munde läuft. Dabei ist der Roman eine Liebesgeschichte, ein Krimi, eine Familienchronik und Weltgeschichtsstunde zugleich. Aber nie langweilig, sondern spannend erzählt voller Details und einem umfangreichen Personal.

Es beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem Auswandererschiff im Mittelmeer. An Bord befindet sich Moritz, jetzt unter falschem Namen als Maurice Sarfati, mit seiner jüdischen Frau Yasmina und ihrer Tochter Joelle, die Zuflucht in Palästina, das bald Israel heißen sollte, sucht. Während die Familie Sarfati in der Jaffa Road am Hafen von Haifa ein neues Leben beginnt, verliert die arabische Familie Bishara im Hundert Kilometer entfernten Jaffa ihr Zuhause. Die Familien kennen sich nicht, aber sind auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden. In ihren Geschichten spiegelt sich die bewegende Geschichte ihrer Nationen, die dasselbe Land ihre Heimat nennen.

Daniel Speck, Foto: Holger KistenmacherDaniel Speck, Foto: Holger Kistenmacher

Erst viele Jahrzehnte später, als Moritz/Maurice auf mysteriöse Weise in Palermo stirbt, kommen die Geheimnisse seiner bewegten Lebensreise ans Licht. Tatsächlich hatte er nicht nur ein Leben, sondern drei: Mit drei Frauen und drei Familien, die einander nie begegnet sind. Um sein Erbe anzutreten, treffen sich in seinem Haus am Meer drei fremde Verwandte: Seine israelische Tochter Joelle, sein palästinensischer Sohn Elias und seine deutsche Enkelin Nina. Um das Rätsel seines gewaltsamen Todes zu lösen, setzen sie die Bruchstücke von Maurice Lebensgeschichte zusammen, indem sie die Geschichten ihrer Mütter erzählen - den drei Frauen, die Moritz geliebt hat.

Daniel Speck ist ein begnadeter Erzähler, aber auch Vorleser, wie er in der Elphi bewies. Er ist ein großer Reisender, der jahrelang den nahen Osten bereist hat, um seine umfangreichen Recherchen zu betreiben, wie er im Gespräch mit Salié betonte. Sein Leben spielt sich zwischen den zwei Extremen ab: Der Lust zu reisen und dem Bedürfnis an ein und demselben Ort zu bleiben.

Dabei wird sein Schlafzimmer von all diesen Personen bewohnt, die in seinem Roman agieren. „Sie sprechen mit mir, und ich schreibe das dann auf. Und am nächsten Morgen wundere ich mich, was dort geschrieben steht“, erzählt er dem staunendem Publikum. „Beim Schreiben mache ich Urlaub von mir selbst, indem ich mich in die Gedanken meiner Protagonisten versetze und deren Leben erzähle“, berichtet er weiter. „Mal habe ich den Blickwinkel einer Frau, dann die eines Kindes“.

Trio Orientacion, Foto: Holger KistenmacherTrio Orientacion, Foto: Holger Kistenmacher

Neben diesen Einblicken in sein Schriftsteller-Leben wird der Abend aber durch die musikalischen Einwürfe des Trios Orientacion besonders, denn die drei Musiker, die sich in München trafen, begeistern durch den besonderen Mix ihrer Kompositionen. Neben dem Oud-Spieler Bunka sind es ein Tango-Gitarrist aus Buenos Aires und ein klassisch ausgebildeter Geiger aus Damaskus. Ihre Musik verkörpert die Vielfältigkeit des Orients, mal schwelgt die Geige im Klezmer, dann dominiert die arabische Oud, während der Gitarrist dynamische Tango-Klänge beisteuert. So untermalen sie den Duft nach frisch gepressten Orangen oder das starke Aroma von frisch gebrühtem Kaffee mit Kardamom und Zimt, das aus den gelesenen Zeilen des Buches förmlich spricht.

Genauso wie Daniel Speck den Spannungsbogen seines Romans durch die eindringlichen Dialoge seiner Protagonisten, wie auch den detailreichen Ideen und Geschichten seines Buches hält, bliebt auch der Leseabend mit Musik bis zum Ende aufschlussreich und unterhaltsam. So berichtet er auch noch von der irren Geschichte der Lufthansa-Stewardess, die bei den Olympischen Spielen in München 1972 im Vergnügungscenter Cocktails mischte für Sportler und Journalisten, während quasi nebenan palästinensische Terroristen jüdische Sportler als Geiseln genommen hatten. Er sei eher zufällig bei seinen Recherchen auf diese Details gestoßen.

Trotz alledem, wenn Daniel Speck eines fantastisch kann, dann ist es Historisches wie auch Persönliches als bewegende Geschichte erzählen. Dabei hat er ein feines Gespür für Szenen, Bilder und Dialoge. Er wechselt immer wieder die Perspektive und beschreibt auf berührende Weise, aber auch mit Humor wie aus Nachbarn Feinde werden - aber auch, wie aus Menschlichkeit Hoffnung wächst. Denn es gibt nie nur die eine Wahrheit, was sich auch „aus der Wunde der Abwesenheit des Liebsten spiegelt. Der Schmerz, der in allen drei Familien vorhanden ist, kann vielleicht besiegt werden, durch die neue Verbundenheit der drei Nachgeborenen“.

Daniel Speck: Jaffa Road, Fischer-Verlag, März 2021, Amazon.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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