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Pina Bausch und Meryl Tankard
Kontakthof - Echoes of 78 auf Kampnagel: Ein wunderbarer Tanzabend, der die Seele berührt

Vor mittlerweile 47 Jahren wurde das damals avantgardistische Tanzstück „Kontakthof“ der legendären Tanz-Choreografin Pina Bausch von ihrem Wuppertaler Tanztheater im dortigen Opernhaus uraufgeführt. In ihrer ikonischen Tanzsprache aus exakten Schrittfolgen, gegenseitigen Berührungen und provokanten Gesten zeigte das Stück, wie in den frühen 50er Jahren nach dem Krieg die Kontaktaufnahme zwischen Frauen und Männern lief.

Unterlegt mit schnulzigen Schlagern, die aus heutiger Sicht sowohl verstaubt, wie auch etwas obszön wirken, begegnen sich die Geschlechter in einem Ballsaal. Es wird sich kennengelernt, ins rechte Licht gesetzt, geflirtet, gebaggert und begrapscht, was das Zeug hält. Die Bühne, die vom ehemaligen Partner von Pina Bausch, Rolf Borzig 1978 in Anlehnung an die Lichtburg, ein ehemaliges Kino gestaltet war, in dem Bausch und ihre Wuppertaler Kompanie probte, erlebt ihre Auferstehung in der großen Halle K6 auf Kampnagel.

Foto: (c) Ursula KaufmannFoto: (c) Ursula Kaufmann

Die australische Tänzerin, Choreografin und Filmemacherin Meryl Tankard hat jetzt das Stück nach 47 Jahren neu bearbeitet und mit insgesamt 9 der ursprünglich 20 Tänzer und Tänzerinnen aus der Vergessenheit geholt. Herausgekommen ist dabei aber ein gänzlich eigenständiges Werk, das auf die ursprüngliche Fassung aufbaut, aber diese nicht kopiert. Denn wie die mittlerweile über 70 Jahre alte Choreografin Tankard im Interview erzählte, wäre eine werkgetreue Wiederaufführung allein wegen des Alters der übrig gebliebenen Ensemble-Mitglieder gar nicht möglich gewesen. Alle überlebenden und teilnehmenden Tänzer*innen sind heute zwischen 70 und 80 Jahre alt. Trotzdem wirken ihre Auftritte und die Präsenz auf der Bühne äußerst elegant und frisch, auch wenn die frühere Dynamik und Energie heute etwas fehlen mag. Das wird aber mit wunderbarem Humor köstlich überspielt. Mit einem Augenzwinkern oder Lächeln im Gesicht wird selbst die schwierige Passage, wo alle die Hüften wie beim Samba kreisen lassen, gemeistert. Oder bei der anderen Szene, wo eine junge Frau im Körper einer älteren Dame von einem etwas hüftsteifen Kollegen gejagt wird.

Foto: (c) Uwe StratmannFoto: (c) Uwe Stratmann

Das Ganze ist möglich geworden, weil Meryl Tankard die schummrig schwarz-weißen Filmaufnahmen von Rolf Borzig aus dem Jahre 1978 zur Verfügung standen. Diese wurden digitalisiert und von der Choreografin, die mittlerweile in Australien auch als Filmemacherin bekannt ist, aufwendig editiert und auf einer Gaze vor der Bühne projiziert. Sie wirken wie riesige Hologramme der damals blutjungen Tänzer*innen, hinter denen die heutigen älteren Tänzer*innen exakt die ausgewählten Auszüge des Stückes tanzen. Sofort fallen aber dabei die Lücken auf, denn diverse der damals Beteiligten fehlen. Sie hinterlassen schmerzliche Lücken, weil sie verstorben sind. Nur 9 der ursprünglich 20 Ensemble-Mitglieder der Ur-Fassung stehen noch auf der Bühne. Im Paartanz fehlt das Gegenüber, der eine spricht mit dem leeren Stuhl, die andere setzt sich auf keinen Schoß.

Zu sehen ist das Stück Kontakthof wie in einer Zeitkapsel, die zeigt, dass zwar vieles sich aus dem Original in die Körper der nun älteren Ensemble-Mitglieder förmlich eingebrannt hat, auch wenn die charismatische Tänzerin Jo Ann Endicot, die so heiter hüpfen und so untröstlich schluchzen konnte, schmerzlich fehlt. Aber auch die Zeit ist buchstäblich über das Stück gegangen und vieles hat sich heute verändert. In heutigen „Me-Too-Zeiten“ wirken die Grapschereien der Herren schon fast wie sexuelle Grenzüberschreitungen. Vor allem die Szene am Ende des Stückes, wo eine Horde Männer eine einzelne Tänzerin betatscht, kneift und unsittlich berühren, wäre heutzutage absolut unmöglich.

Foto: (c) Ursula KaufmannFoto: (c) Ursula Kaufmann

Aber vieles wird mit herrlichem Humor überspielt. Die Tänzer*innen wirken erfrischend energetisch und elegant, als wenn sie die Überarbeitung in den Jungbrunnen geworfen hätte. Besonders berührend kommt da am Ende der ersten Hälfte die sehr persönliche Begegnung zwischen Publikum und Ensemble daher. Am Bühnenrand sitzen die Tänzer*innen und nennen ihre Namen, das Alter und erklären wo sie herkommen und was für Wünsche sie noch haben. Die eine wäre gerne reich geworden, der andere küsst jeden Morgen seinen Ehemann, während ein Dritter jeden Tag meditiert.

Insgesamt wird der Abend sowohl von den Mitwirkenden wie auch vom Publikum abgefeiert. Schon zwischendurch gibt es immer wieder Szenen-Applaus, was eigentlich beim Tanz eher unüblich ist. Zu Beginn des zweiten Teils des Stückes fragt eine Hauptdarstellerin, ob denn wirklich alle auch noch den zweiten Teil überhaupt sehen wollen. Tosender Protest und Jubel stimmt sie aber sofort um. Mit Blick auf die alten Bilder, die jetzt per Film auf die hintere Wand projiziert werden, sagt sie: „Wie jung und hübsch sie doch damals war“. Aber heute mit 75 Jahren wirkt sie immer noch ausgesprochen fit und grazil.

Foto: (c) Uwe StratmannFoto: (c) Uwe Stratmann

So geht ein grandioses Tanzstück, das sowieso schon Geschichte geschrieben hat, in eine neue Runde. Ein gerührtes und förmlich beseeltes Publikum quittiert diese wunderbare Aufführung mit Standing Ovations und tosendem Applaus, der nicht enden will. Ein ganz großartiger Tanzabend und ein künstlerisches Vergnügen auf oberstem Niveau.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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