Liu Ruowang: Erbsünde

Die Nordart 2016
Kunst im XXL-Format

Das kleine Städtchen Büdelsdorf nahe Rendsburg im Norden Schleswig-Holsteins lockt mit einer Ausstellung im Großformat: Die historischen Hallen der ehemaligen Eisengießerei Carlshütte und die Wagenremise umfassen über 22.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Der Skulpturenpark ist 80.000 Quadratmeter groß. Eintausend Exponate von 250 Künstlern aus fünfzig Nationen zeigen internationale Kunst: Installationen, Fotografien und Videos, Malereien und Skulpturen.

"Die NordArt ist lebendig. Die NordArt hat sich der Aufgabe verschrieben, das gegenseitige Verstehen durch die Sprache der Kunst zu fördern. Sie versteht sich als Refugium und Inspirationsquelle für Künstler aus aller Welt – das gilt für international Renommierte ebenso wie für Newcomer", so Chefkurator Wolfgang Gramm.

Nach China, Russland, dem Baltikum und der Mongolei steht Israel als Länder-Schwerpunkt im Fokus der aktuellen Ausstellung. Mit neuen Arbeiten sind Liu Yonggang aus China (NordArt-Preisträger 2015) und die russische Künstlergruppe AES+F/Titana Arzamasova, Lev Evzovich, Evgeny Svyatsky und Vladimir Fridkes (NordArt-Preisträger 2014) vertreten, ebenso die Publikumspreisträger 2015 Jang Yongsun (Südkorea), Lv Shun (China) und Ochirbold Ayurzana (Mongolei). Diesjähriger Schwerpunkt-Künstler ist der Chinese Liu Ruowang.

Liu Yonggang: Stehende Zeichen - Umarmung der LiebeLiu Yonggang: Stehende Zeichen - Umarmung der LiebeIm Skulpturenpark begrüßen den Besucher drei Werke im XXL-Format: Stehende Zeichen - Umarmung der Liebe des chinesischen Künstlers Liu Yonggang. In den Farben Schwarz-Rot-Gold transportiert der Künstler kalligraphische Zeichen in die Dreidimensionalität der Skulptur. "Auf diese Weise wird die Kraft der geschriebenen Sprache oder vielmehr die Kraft ihres Bildes gesteigert", erklärt Yonggang. Mit 6,50 Meter Höhe überragt Erster Reiter der russischen Künstlergruppe AES+F alle anderen Plastiken. Die Skulptur ist ein Sinnbild für die "Jungfrau auf dem Ungeheuer" aus der Apokalypse des Johannes. Allerdings reitet hier die Jungfrau auf einem urzeitlichen Dinosaurier, dem Tyrannosaurus Rex. Die monumentale 36-teilige Affengruppe Erbsünde von Liu Ruowang überwältigt den Betrachter. Dicht an dicht stehen die 3,60 Meter hohen Menschenaffen, die Gesichter erwartungsvoll gen Himmel gerichtet. Worauf warten sie?

Beim Rundgang durch die Parkanlage mit den knorrigen Bäumen, dem Teich und der Obstbaumwiese trifft der Besucher - neben internationalen Bildhauern - auf vertraute Namen: Jo Kley aus Kiel ist mit neuen Arbeiten aus Carrara-Marmor vertreten, der Lübecker Winni Schaak zeigt ein monumentales, fünfteiliges Ensemble aus Corten-Stahl. Ebenfalls aus Corten-Stahl ist Alf Beckers Going to the beach, eine riesige Skulptur aus einem Rad und einem übergestülpten, U-förmigen Rechteck, welche im Moment der Bewegung erstarrt sind.

Liu Ruowang: Wölfe kommenLiu Ruowang: Wölfe kommenIn Halle 1 der Carlshütte dominiert ein weiteres gigantisches Skulpturen-Ensemble des Chinesen Liu Ruowang Wölfe kommen. Ein Rudel von 110 Wölfen umzingelt zähnefletschend einen behelmten Krieger mit Schnürstiefeln, der sich mit erhobenen Schwert gegen die Übermacht zu wehren versucht. Die NordArt ist für den chinesischen Schwerpunkt-Künstler die erste Station einer dreijährigen Ausstellungs-Tour durch Europa und Amerika unter dem Titel The Overseas Exhibition Tour of Liu Ruowang’s Works of Art.

Unter dem Motto Circle of Life präsentiert der israelische Pavillon 28 zeitgenössische Künstler, welche sich mit globalen, sozialen und kulturellen Themen ihrer Heimat auseinandersetzen: Schiffsmodelle aus verrostetem Stahlschnitt von Nir Adoni sollen an den Exodus der Juden von Europa nach Israel erinnern, Avital Cnaanis Installationen aus zerfasertem Resopal und Polyurethan an zerstörte Landschaften und Vegetationen. Rakefet Viner Omers düstere Malereien setzen sich mit der weiblichen Identität, dem Schmerz, der Wut und Ohnmacht auseinander. "In der Vielfalt, Kreativität und Dynamik der Kunst spiegelt sich auch die Vielfalt des Landes wider. Die Heterogenität unserer Bevölkerung zeichnet uns aus, und viele verschiedene kulturelle Einflüsse formieren sich zu einem einzigartigen israelischen Mix", so der Botschafter des Staates Israel in Berlin, S.E. Yakov Hadas-Handelsman. Der Israelische Pavillon steht unter dem gemeinsamen Patronat des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten und der Botschaft des Staates Israel in Berlin.

Israelische Künstler, Botschafter Yakov Hadas-Handelsman, Ehepaar Ahlmann, Foto: Christel BuschIsraelische Künstler, Botschafter Yakov Hadas-Handelsman, Ehepaar Ahlmann, Foto: Christel BuschDer Schwerpunkt der riesigen Ausstellungshalle 3 liegt auf der Malerei, der Fotografie und kleineren, teilweise futuristischen Skulpturen. Siebzehn mongolische Künstler, Maler, Bildhauer und Fotografen stellen unter dem Titel Tradition und Moderne ihre Arbeiten vor. Fernöstliche Kulturtraditionen verbinden sich hier mit westlicher Moderne zu einem neuen, ganz eigenen Stil. Daneben geben chinesische und koreanische Künstler, Kunstschaffende aus Russland, dem Baltikum, Skandinavien, Nord- und Südamerika sowie Europa faszinierende Einblicke in die zeitgenössische Kunst ihrer Heimatländer. Auffallend ist die künstlerische Vielfalt im Bereich Malerei, sowohl thematisch als auch stilistisch: Von gegenständlich, abstrakt, surreal mit teilweise apokalyptischen Visionen, experimentell bis zu fotorealistisch und hyperrealistisch sind alle Positionen vertreten. Sehenswert die farbintensiven, fotorealistischen Landschaften von Elina Försti aus Finnland, surreal anmutende Bilder von Lydia Balke, Deutschland, Martina D'Anastasio, Italien, und Yader Iván Perez Gasca, Kolumbien, sowie Abstraktionen von Song Young-Hoo und Jung Kwanyoung, beide Südkorea und Robert Patrick, USA.

Nicht weniger interessant sind die Fotoarbeiten. Hier reicht das Spektrum von Landschafts- und Dokumentarfotografie, inszenierter Portraitfotografie und Storytelling bis zu computergenerierter Fotokunst. Thomas Friedrich Schäfers Fotoserie Erfahrungsräume entlarvt die vermeintliche Familienidylle hinter einer gutbürgerlichen Fassade. Die im Studio inszenierten Aufnahmen sind perfekt durchdachte Szenarien, atmosphärisch düster und geheimnisvoll, aber auch voll versteckter Symbolik.

Predrag Lojanica (Serbien) - PorträtsPredrag Lojanica (Serbien) - PorträtsDie Wagenremise wird mit kleineren Formaten von europäischen Künstlern bespielt. Auch hier ein Mix aus Skulpturen und Malereien. Neben der Holzplastik von Davide Balossi, Italien und der kinetischen Holzfigur der Finnen Pekka & Telja Isorättyä beeindrucken die im Stil des Fotorealismus gemalten Ölgemälde von Anton Franz Höger aus Deutschland sowie die achtteilige Portraitserie von Predrag Lojanica aus Serbien. Sie zeigt Menschen, mit denen der Künstler in einem serbisch-orthodoxen Kloster in der Nähe von Belgrad gelebt hat. Fotografie oder Malerei?

Diese Frage stellt sich unwillkürlich bei Óscar Villalóns hyperrealistischen Ölgemälde Werkstoffe von 2015.

Dank der Kulturinitiative der ACO Gruppe Ahlmann und der Städte Büdelsdorf und Rendsburg, Fördergelder der Landesregierung Schleswig-Holstein und der Kooperationspartner befreundeter Länder sowie zahlreicher Sponsoren konnte sich die NordArt in den vergangenen achtzehn Jahren zu einem "Hotspot internationaler Kunst" etablieren.

Ein Ausflug zur NordArt in Büdelsdorf ist sehr zu empfehlen. Der Besucher sollte allerdings Zeit mitbringen und bequeme Schuhe anziehen. Entspannung findet er auf einer Bank unter den Bäumen, am Teich und im Ausstellungscafé "Alte Meierei".

Die Nord Art/Kunstwerk Carlshütte, Vorwerksallee, 24782 Büdelsdorf ist bis zum 6. Oktober 2016 zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 11 bis 19 Uhr.

www.nordart.de


Fotos: Christel Busch


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