Gewohnt souverän führte die Moderatorin Loretta Stern durch die feierliche Eröffnung der Filmtage, obwohl ihr am Morgen nach den Nachrichten über die katastrophale Wiederwahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA überhaupt nicht der Sinn stand, wie sie betonte. Und da war die Nachricht vom Aus der Ampelregierung in Berlin noch nicht einmal bekannt. Also gab sie zum Trost für alle die Parole aus: Gerade jetzt eine Kino-Kur durch den Besuch der Filmtage für die nächsten Tage, um nicht in Depressionen zu verfallen.
Dann begrüßte sie mit Susanne Kasimir (Geschäftsführerin) und Thomas Hailer (Künstlerischer Leiter der NFL) die anwesende Prominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft Lübecks, die wieder zahlreich im vollen Saal des Filmpalasts versammelt war. Unter anderem waren Bürgermeister Lindenau, Kultursenatorin Frank, aber auch die alte Garde wie Björn Engholm oder Thomas Gaulin vor Ort. Danach wurde die Zukunft des Nordischen Films, die durch junge Filmschaffende aus den Ländern Lettland, Litauen, Estland, Grönland, Schleswig-Holstein und den Faröer-Inseln im Rahmen des Projekts „Future North“ präsentiert wurden, gefeiert.
Dann wurde als Gast und Förderer aus Kiel, der Staatssekretär Guido Wendt nach vorne gebeten, um mit ihm gemeinsam die Gewinnerinnen des 2. Lübecker Drehbuch-Stipendiums bekannt zu geben. Verbunden mit dem Preis ist eine Zahlung von 35.000 Euro, sowie eine einmonatige Residenz in Lübeck, um die jeweiligen Projekte voran zu bringen. Mit Hilfe der Possehl-Stiftung wurden diese Stipendien nun zum 2. Mal vergeben. Für ihr Spielfilm-Projekt „Back to Scharbeutz“ wurde die berühmte Autorin Angelina Maccarone von Barbara Häbe (Arte-Spielfilm), die mit Annika Penske und Anna Hoffmann (Berlin-Forum) in der Vergabe-Jury saß, ausgezeichnet. Das zweite Stipendium für eine Autorin mit Lübeck-Bezug und mit einer offenen visuellen Erzählung wurde an Anne Döring vergeben, die ein Projekt plant mit dem Titel: „Drei Farben Zeit“.
Dann wurde es richtig feierlich, denn es ging an die Vergabe des undotierten Ehrenpreis der Filmtage. Es wurde die berühmte finnische Schauspielerin Kati Outinen ausgezeichnet, die hauptsächlich durch ihre diversen Hauptrollen in den Filmen ihres Landmannes Aki Kaurismäki bekannt wurde, von denen jetzt auch bei den Filmtagen im Rahmen einer Hommage 5 Meisterwerke gezeigt werden. Die Laudatio hielt Jaana Puskala von der Finnischen Film Foundation, die in ihrer Aufzählung der unzähligen Projekte und Preise für ihre berühmte Landsmännin nicht mit Lob sparte. Outinen ist durch ihre ruhige, aber äußerste Präsenz in ihren Filmen bekannt. Unabhängig von Sprache schafft es Outinen immer wieder durch ihre präzise Schauspielkunst, die Würde auf Seiten auch von ganz einfachen Menschen darzustellen. „Charakteristisch für alle ihre Darstellungen ist Kati Outinens universelle Menschlichkeit und ihre Verständlichkeit, egal wo sie gesehen werden“.
Danach wurde als Eröffnungsfilm der lettische Animationsfilm „Flow“ vom jungen Regisseur Gints Zilbalodis gezeigt, der durch wunderbare Bildsprache und das gänzliche Fehlen von Dialogen besticht. Das nur 30-seitige Drehbuch des Autors und Produzenten Matiss Kaza überzeugte durch seine Fantasie und Offenheit der Interpretation durch die Betrachter*innen. Es geht um eine kleine Katze, die gemeinsam mit vier tierischen Freunden aufgrund einer nicht näher benannten Naturkatastrophe gemeinsam auf einem alten Segelboot landen. Alles Land scheint überflutet und unbewohnbar. So schippert die ungewöhnliche Tierschar aus Katze, tollpatschigem Hund, selbstverliebten Katta-Lemur, schnarchendem Wasserschwein und stolzem, langbeinigen Sekretär-Vogel durch wilde, bunte, aber überflutete Natur und menschenleere Städte, die historisch erscheinen. Sie müssen sich als Team zusammen raufen, gegenseitig helfen und retten, wenn sie wieder bewohnbares Land erreichen wollen.
Der wunderschöne Trickfilm mit seinen vielseitigen Hauptdarstellern und einer überbordend bunten und wilden Umgebung lässt viel Platz für die eigene Interpretation und Imagination. Nicht umsonst feierte der Film seine Weltpremiere in Cannes und hat schon weltweit Preise eingesammelt. Er ist ausserdem als Lettischer Beitrag für den Oskar als bester ausländischer Film nominiert, wie auch für den besten Animationsfilm beim Europäischen Filmpreis. Endlich mal ein Eröffnungsfilm, mit dem eigentlich alle Besucher trotz der trostlosen politischen Weltlage zufrieden waren. Eskapismus mit Tiefgang pur. Bravo!
Fotos: (c) Holger Kistenmacher