Das Schönste für die Lübecker Stadtgesellschaft und seine cineastischen Gäste konnte der Künstlerische Leiter der 65. NFL, Thomas Hailer ganz am Ende verkünden: Die beliebte Erkennungsmelodie, der Filmtage-Tango wird in der Zeit des Festivals vom 1.- 5. November 2023 in einer Neubearbeitung von Professor Danksagmüller von der Musikhochschule Lübeck viermal am Tag vom Glockenspiel des Heiligen-Geist-Hospital zu hören sein.
Ansonsten war die Programm-Pressekonferenz in den historischen Hallen der Lübecker Kaufmannschaft voll gepackt mit Informationen und Video-Clips der geplanten Filme der 65. Ausgabe der Nordischen Filmtage Lübeck. Nachdem der Bürgermeister Jan Lindenau und Kultursenatorin Monika Frank ihre Grußworte gesprochen hatten und dabei besonders die Bedeutung des Festivals für Lübeck, das Alleinstellungsmerkmal der NFL in Europa und die diversen Neuerungen nach dem Ende von Corona gelobt hatten, wie der Aufbau eines eigenen Filmstudios in Lübeck, sowie die Vergabe von zwei Drehbuch-Stipendien, ging es ans Eingemachte.
Natürlich bedankte sich die Geschäftsführerin Susanne Kasimir ausgiebig bei sämtlichen Unterstützern, Geldgebern, Stiftungen, etc, die diese Filmtage erst möglich machen. Dann begann der künstlerische Leiter der Filmtage, Thomas Hailer das diesjährige Programm vorzustellen. Wieder werden über 183 Filme aus allen Sektionen in insgesamt 250 öffentlichen Vorführungen zu sehen sein. Davon sollen 98 deutschlandweit als Stream gezeigt werden.
Eröffnet wird das Festival mit der spassigen Hippie-Komödie „Together 99“ von Lukas Moodysson, dessen dänisch-schwedische Produktion das Wiedersehen der Mitglieder einer alten Kommune aus den 1970er Jahren nach 24 Jahren zeigt. Während der Eröffnung wird gleichzeitig der großartige schwedische Regisseur und Drehbuchautor Roy Andersson mit dem Ehrenpreis der Filmtage ausgezeichnet. Ihm zu Ehren plant man gleichzeitig eine Hommage, die vier seiner erfolgreichen Spielfilme umfasst, wie auch ein Programm mit zwei seiner selten gezeigten Kurzfilme und sieben seiner legendären Werbeclips sowie zwei Dokumentationen über seine ungewöhnliche Filmarbeit.
Die diesjährige Retrospektive erzählt unter der Überschrift „Schon immer jung“ in 17 Filmen von Jugendkulturen im nordischen und baltischen Kino von den 20ern bis zur Jahrtausendwende. Die jungen Wilden des skandinavischen Kinos waren schon sehr früh rebellisch und revolutionierten den nordischen Film, befand Thomas Hailer mit einem besonderen Dank an den Kurator Jörg Schöning und die Filmarchive des Nordens, die dafür sorgen, dass so manche Perle des Filmschaffens zumindest auf Festivals nicht völlig in Vergessenheit gerät. Zu sehen ist zum Beispiel der erste Film von Liv Ullmann als Sünderin oder Lettlands Antwort auf Easy Rider: Motorcycle Summer.
Voller Begeisterung präsentierte Hailer dann aber auch den besonderen Dokumentarfilm des Festivals, einen unglaublichen Naturfilm aus Norwegen von Magreth Olin: Songs of Earth, der unter anderem auch von Wim Wenders koproduziert wurde. Ebenfalls mit einem kurzen Clip wurde der wunderbare Film „Kino Laika“ aus Finnland gezeigt, in dem der Schriftsteller Mika Lätti und der berühmte Regisseur Aki Kaurismäki mitten im finnischen Niemandsland in einer alten Eisengießerei ein Kino gründen.
Dann wurden natürlich einige der insgesamt 14 Filme aus dem Spielfilm-Wettbewerb vorgestellt. So kommt zum Beispiel „The quiet Migration“ von Malene Choi aus Dänemark als Weltpremiere nach Lübeck. Der Debüt-Film erzählt die Geschichte von Carl, dem Adoptivsohn mit südkoreanischen Wurzeln, der den elterlichen Hof übernehmen soll, der aber nicht mehr weiß, was dänische Realität und was Fake ist. Weitere Debüt-Filme sind „Practice“ von Laurent Perol, ein Roadmovie über eine Trompeterin, die nicht fliegen will und dementsprechend nur 5 Tage Zeit hat, um von den Lofoten zur Osloer Oper zu trampen, wo sie ein Vorspielen hat. Eben so wichtig ist Hailer der isländische Streifen „Solitude“ von Ninna Palmadottir, der die Geschichte vom alten Gunnar erzählt, der seinen Bauernhof verlassen muss, um in der Stadt ein zurückgezogenes, trauriges Leben zu führen. Doch der Nachbarjunge Ari bringt ihn zurück ins Leben.
Per Video war die Leiterin der Sektion Serien, Wendy Mitchell zugeschaltet, die vor allem die äußerst kostenaufwendige Produktion „Estonia“ über das reale Fährschiff-Unglück in der Ostsee von 1994 als spannende Serie zum Thema hat. Auch „Balls“, eine isländische Serie über den alternden Skarpi, der eine junge Frauen-Handball-Mannschaft coachen soll, aber selbst noch in seiner eigenen machomäßigen glorreichen Zeit der 90er hängen geblieben ist, scheint sehenswert zu sein.
Ich könnte jetzt noch stundenlang über weitere lange und kurze Filme aus den anderen Sektionen plaudern, wie zum Beispiel den rotzfrechen und völlig unkorrekten Experimental-Kinderfilm „Listen up“ aus Norwegen oder die 23 Kurzfilme in 5 Programmen, die Kurator Sebastian Apel für den Bereich Nordic Shorts zusammengestellt hat, wie den über Putin bei seiner jährlichen Ansprache vor jungen Soldaten, und natürlich auch das Filmforum Schleswig-Holstein, für das Lili Hartwig wieder zuständig ist. Aber ich kürze jetzt mal ab, denn das gesamte Programm ist mittlerweile im Netz einsehbar und jeder Filmfreund und jede Filmfreundin sollte in Ruhe alles durchsehen, um das eigene Programm der diesjährigen Filmtage zusammen zu stellen.
Der Vorverkauf für die Tickets beginnt am Samstag, den 28. Oktober um 15 Uhr im CineStar Filmpalast und online über die Festivalseite www.nordische-filmtage.de.
Wir sehen uns im Kino.
Fotos: (c) Holger Kistenmacher