Foto: Olaf Malzahn

Sonderausstellung im Europäischen Hansemuseum
Konsens – ein europäisches Kernproblem

Konsens lautet der Name einer Ausstellung des Europäischen Hansemuseums, die in Anwesenheit des Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther am Europatag eröffnet wurde und noch bis Sonntag, den 7. Juli 2018 zu sehen ist.

In der schwierigen Gegenwart der europäischen Gemeinschaft, in der nationale Interessen und Egoismen eine mitunter Besorgnis erregende Rolle spielen, ist Konsens für die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft von außerordentlicher Bedeutung, so die Intention und Auffassung des Gestalters der Ausstellung: Historiker Tillmann Bendikowski.

Für das Hansemuseum ist diese Situation Anlass, zurückzublicken und die Frage zu stellen, was die Europäer des Mittelalters, in diesem Falle die Hanse bzw. die Hansestädte, unter Konsens verstanden und vor allem, wie sie Übereinkünfte erzielten (Übereinkunft heißt nicht Einstimmigkeit).

Natürlich ist die Europäische Gemeinschaft nicht mit der Hanse vergleichbar, und die Hanse ist kein Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft. Aber der jahrhundertelange Bestand der Städtehanse lässt den Schluss zu, dass diese Zeit Konfliktbewältigungsmechanismen erprobte und erfolgreich einsetzte. Konsens bzw. die Erzielung einer möglichst hohen Übereinkunft, waren also auch schon in diesem mittelalterlichen lockeren Bund eine immer wieder angestrebte Zielsetzung.

Interaktive Fragewand, Foto: Olaf MalzahnInteraktive Fragewand, Foto: Olaf Malzahn

Zur Veranschaulichung schlägt die Ausstellung einen großen historischen Bogen von 1518 bis in die Gegenwart der europäischen Gemeinschaft, in diesem Falle bis Dezember 2017. Als Quelle dient ein Hanserezess, eine Beschlussurkunde, die nach Abschluss des Lübecker Hansetages von 1518 ausgestellt und an alle Delegationen in Form einer handschriftlichen Kopie weitergegeben wurde. Die Originalurkunde, die im Lübecker Archiv nicht mehr vorhanden ist, stellt die Stadt Hildesheim zur Verfügung.

Gleich im Eingangsbereich der Ausstellung, in einer gesicherten und klimatisierten Vitrine, kann dieses kostbare Original angeschaut werden. Daneben liegt eine Übertragung des Textes, sodass der Besucher nachlesen kann, was damals verhandelt wurde. Vor allem aber kann er Schlussfolgerungen ziehen, wie komplex damals die Konsensfindung zwischen den in Lübeck versammelten 20 Städte-Abordnungen offensichtlich abgelaufen war; denn den Historikern fiel auf, dass die Kopien der einzelnen Hanserezesse Unterschiede im Inhalt aufwiesen, die nicht nur auf Schreibfehler, sondern auch auf Ergänzungen und Weglassungen zurückzuführen waren. Der Text spiegelt allerdings den Meinungsfindungsprozess nicht im Einzelnen wider.

Blick in die Ausstellung, Foto: Olaf MalzahnBlick in die Ausstellung, Foto: Olaf Malzahn

Die Delegationen der Hansetage traten zusammen, redeten und verhandelten miteinander, stritten, manchmal auch über viele Jahre und suchten nach einvernehmlichen Lösungen. Man lud sich in die Hörkammer ein, wenn es denn gar nicht voranging und versuchte, unter vier Augen – ohne die Abordnung − eine Lösung zu finden.

Konsens war das Ziel, aber nicht um jeden Preis. Zum Beispiel stritt der Hansetag von 1518 über die Errichtung eines Leuchtturms in der Bucht von Riga, damit die Schiffe das Kap Kolka am Eingang der Bucht sicherer umfahren konnten. Der zuständige kurländische Bischof von Riga (ein Lübecker) war einverstanden; dennoch lehnte der Hansetag ab, weil er fürchtete, der Bischof würde die Gelegenheit nutzen, um dort eine Zollstelle zu errichten. Riga solle die Stelle mit Baken sichern. Dabei blieb es für viele Jahrhunderte. Wenn (Hanse-)Städte sich nicht einigten, wurden andere Städte als Streitschlichter eingesetzt, so z. B. in einem langjährigen Streit zwischen den Städten Minden und Bremen über Schifffahrtsrechte auf der Weser.

Blick in die Ausstellung, Foto: Olaf MalzahnBlick in die Ausstellung, Foto: Olaf Malzahn

Die Ausstellung setzt fast alle modernen Medien ein (Plakatwände, Monitore, Filme, Themenmappen, Fragewände), um „Konsens“ in das Spannungsfeld geschichtlicher Prozesse hineinzustellen. Die Frage lautet dabei: Ist Konsens Teil der Lösung oder Teil des Problems? Der Blick auf das 16. Jahrhundert zeigt, dass Konsens zwar angestrebt wurde, dass man aber gelernt hatte, auch ohne Konsens miteinander zu leben.

Dass Konsens nicht Einstimmigkeit heißt oder heißen muss, darin hat sich auch in der europäischen Gegenwart nichts geändert. In blauen und roten Mappen, in entsprechend gekennzeichneten Monitoren und Katalogen werden die historische Position (rot) und die gegenwärtige Position (blau) schon äußerlich sichtbar gegenübergestellt.

Blick in die Ausstellung, Foto: Olaf MalzahnBlick in die Ausstellung, Foto: Olaf Malzahn

Mehrere Fragewände regen vertiefend zu themenbezogenen Fragen an, z. B. wie oft die Hansetage einberufen wurden, wie verbindlich die Teilnahme war; ferner wie lange ein Hansetag dauerte, wer die Kosten trug und wer eigentlich dabei sein durfte. Auf die EU bezogen: Welche Gremien tagen wie oft, wie lange und in welchem Turnus, welche Gremien haben den entscheidenden Einfluss und sprechen das letzte Wort?

Das bis heute gültige Fazit lautet: Freiheit ist die Voraussetzung für eine unabhängige Meinungsfindung und Auseinandersetzung; sie bedeutet aber zugleich, dass ohne Konsens keine Demokratie und erst recht keine tragfähige Umsetzung von Beschlüssen erfolgen kann. Aber dafür muss eben Konsens herrschen, mindestens aber die Bereitschaft, miteinander zu reden – dem Grundsatz folgend: Nil de nobis sine nobis (nichts über uns ohne uns) oder: Eine Entscheidung, die einen selbst betrifft, bedarf der eigenen Mitwirkung.

Hände mit den Haltungen der Verschränkung bzw. Verbindung und der Abwehr als charakteristische themenbezogene Gesten, Foto: Olaf MalzahnHände mit den Haltungen der Verschränkung bzw. Verbindung und der Abwehr als charakteristische themenbezogene Gesten, Foto: Olaf Malzahn

Für die Ausstellung wurde ein umfangreiches Begleitprogramm entwickelt. Für Kinder werden Planspiele angeboten, um Konfliktlösungsstrategien zu erproben. Ein umfangreicher Katalog stellt die Hintergründe der Ausstellung dar und liefert zum Thema Hanse und EU mit ihren Gremien umfängliches zusätzliches Material. Die Ausstellung läuft noch diese Woche bis zum Sonntag, 08. Juli im Hansemuseum.

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