Dirigent Gergely Madaras und das NDR Elbphilharmonie Orchester

Musik- und Kongresshalle Lübeck
Unbekanntes begeisterte beim zweiten NDR-Konzert

Das zweite Saisonkonzert des NDR in Lübecks MuK stach in vielerlei Hinsicht aus bekannter Konzertroutine heraus. Zum einen waren zwei Werke angekündigt, die wohl kaum einer der Besucher wirklich kannte, da beide in Programmen kaum einmal verzeichnet sind. Der Grund ist einfach: Es sind Kompositionen, die ein großes Maß an instrumentalem Können fordern, nicht nur vom Solisten, auch vom Orchester, das zudem ungewöhnlich üppig besetzt sein muss.

Das Klavierkonzert zu Beginn, Sergej Prokofjews (1891-1953) Nr. 2 in g-Moll, stach besonders hervor. Wer sich bisher vom Stilistischen des in der heutigen Ukraine geborenen Pianisten und Komponisten ein Bild durch sein musikalisches Märchen „Peter und der Wolf“ machte, allenfalls noch die häufig interpretierte „Symphonie classique“ oder eines seiner Bühnenwerke kannte, muss von der dichten Kompositionsweise Prokofjews und den technischen Anforderungen in diesem Werk überrascht sein. Es ist ein Werk eines bei seiner Uraufführung gerade einmal 22-Jährigen und Schüler von Nikolai Rimski-Korsakow und Anatoli Ljadow, von zwei der einflussreichen Größen der russischen Musikgeschichte. Was er sich damals zumutete, als er selbst den Solopart interpretierte, erklärt heute beim Hören noch den Umweg, den viele Pianisten um dieses Werk machen. Es wird als eines der schwersten im Repertoire bezeichnet, vor allem in den Kadenzen der Ecksätze.

Pianist Alexander GadjievPianist Alexander Gadjiev

Dabei beginnt der erste Satz im Piano zunächst noch sehr klangvoll und durchsichtig. Klarinetten zusammen mit den gezupften Streichern tragen ein Thema vor, das das Klavier in ruhigen Kaskaden beantwortet, ein Aufbau, der an eine Passacaglia erinnert. Der Dialog steigert sich, indem vor allem die anderen Holzbläser das Soloinstrument immer stärker anregen, bis nach einer Art Marschepisode das Piano allein eine lange, kadenzartige Periode darbietet. Hier hat der Pianist staunenswerte Technik zu präsentieren, wenn etwa das wuchtige, breite Thema von der linken Hand gestaltet und es in rauschenden Wellen von der rechten umspielt wird. Nach einer großen, immer wieder aufbrandenden Steigerung führt der Solist zu dem Satzbeginn zurück.

Der zweite Satz wirkt wie ein hurtiges, äußerst lebendiges, aber nur kurzes Scherzo. Während der erste von einem Moll-Charakter geprägt war, herrscht hier das Dur. Wie ein Sturm fegt das Piano in irrwitzig schnellen, teils unisonen Tonfolgen mit beiden Händen über die Tasten und scheint das Orchester vor sich herzutreiben. Im Folgesatz, der als Intermezzo bezeichnet ist und in einem moderaten, aber wuchtigen Tempo daherkommt, erlebt der Hörer ein behäbig und breit voranschreitendes Klanggebilde, akzentuiert durch die Pauke, das in Momenten an das große Tor von Kiew in Modest Mussorgskijs „Bilder einer Ausstellung“ erinnert, auch an andere Passagen darin, bevor der abwechslungsreiche Final-Satz, quasi attaca einsetzend, das rasante Hörerlebnis mit einer Kette von Variationen über ein gesangliches Thema übersprudelnd beendete.

Dirigent Gergely Madaras und das NDR Elbphilharmonie OrchesterDirigent Gergely Madaras und das NDR Elbphilharmonie Orchester

Der italienisch-slowenische Pianist Alexander Gadjiev, 31 Jahre alt, hatte das Publikum mit seiner sicheren, so selbstverständlich wie kontrolliert wirkenden Technik und sensiblen Interpretationskunst überzeugt, so dass der begeisterte Applaus ungewöhnliche drei Zugaben brachte, drei weitere Beispiele von Prokofjews kompositorischer Vielseitigkeit.

Im zweiten Teil musste sich der ungarische Dirigent Gergely Madaras, auch er mit 41 Jahren ein ausgesprochen überzeugender Dirigent, die Aufmerksamkeit mit dem Elbphilharmonie-Orchester teilen, das mit fast 100 Musikern angereist war. Madaras interpretierte mit ihnen einen merkwürdig selten gespielten Vertreter seiner Heimat, auch für das Orchester ein Novum. Es war Ernst von Dohnányis zwischen 1900 und 1901 entstandene erste Sinfonie in d-Moll, auch das ein erstaunliches Jugendwerk. Der Komponist trägt einen gerade im Norden bekannten Namen, denn er war Großvater des ehemaligen NDR-Dirigenten Christoph von Dohnányi, der seine ersten Erfahrungen mit dem Orchester der Hansestadt Lübeck (die heutigen Lübecker Philharmoniker) sammelte. 1957 begann er, gerade 27 Jahre alt, als der derzeitig jüngste GMD und blieb bis 1963.

Pianist Alexander Gadjiev und das NDR Elbphilharmonie OrchesterPianist Alexander Gadjiev und das NDR Elbphilharmonie Orchester

Die Sinfonie des Großvaters ist sehr ungewöhnlich. Sie hat fünf Sätze. Die Folge beginnt mit einem besonnenen Allegro so wie sie auch endet: Immer wieder bauen sich Steigerungen auf, geben den Musikern im Solo oder in Gruppen eigenwillig zusammengestellte Aufgaben. Horn und Trompete sind es im ersten, zu Beginn des zweiten, sehr besinnlichen, aber zugleich sehr langen Satzes ist es der Gesang eines Englischhorns, der in der Mitte sich wuchtig erweitert, aber schnell wieder in seiner Dynamik zurückgenommen wird und leise ausklingt. Ein Scherzo folgt, viele Steigerungsansätze geben ihm einen lebendigen Ausdruck. Eine Soloviola gibt dem zweiten langsamen Satz mit seiner charaktervoll ausgewählt kleineren Besetzung eine Art Ruhe vor dem Finalsatz mit seinen anfangs düsteren Aufschwüngen, einer als Variation ausgeführten Steigerung, die in einer Fuge zu Ende geführt wird.

Madaras überzeugte mit seinem Dirigat, weil er die dichte Kompositionsarbeit hörbar machen konnte. Er ließ den Solisten Zeit zum Atmen und steigerte die Klangwellen sehr bedeutsam. Wie das Klavierkonzert erhielt auch die Sinfonie deshalb zum Schluss lang andauernden Beifall, obwohl ihre Strukturen zu verfolgen noch einmal große Aufmerksamkeit forderte.

Fotos: Hildegard Przybyla

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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