Dirigent Takahiro Nagasaki, Foto: (c) Isabel Machado Rios

2. Konzert der Lübecker Philharmoniker
Vom Zirkuszelt ins Weltall

Warum sollte man nicht einmal in die ehrwürdige Reihe der Sinfoniekonzerte ein Programm einfügen, das einen ungewohnten Zuschnitt hat? Mit Filmmusik hatten es jetzt die Lübecker Philharmoniker versucht und einen großen Erfolg gehabt. Sie ist „eigentlich“ in vielen Momenten oder Szenen dem ähnlich, was Orchester- oder Bühnenmusik anstreben. Alle wollen für Handlungen sensibilisieren oder sie dramatisieren. Ähnlich sind sie sich und doch wieder ganz anders.

Sehr unterschiedlich war es auch gleich zu Beginn der Kinogeschichte, als die Sparte Filmmusik Ende des 20. Jahrhunderts geboren wurde. Da wurde zur Untermalung entweder ein schon bekanntes Werk gewählt oder es wurde etwas improvisiert, quasi Neues geschaffen. Dieses Prinzip lag auch der Programmfolge in dem zweiten Saisonkonzert der Lübecker Philharmoniker zugrunde (26. und 27. Oktober 2025), das im ersten Teil vier Werke bot, die zunächst für einen anderen Rahmen vorgesehen waren.

Richard Wagners rapider „Walkürenritt“ bildete den Auftakt. 1851 soll er entstanden sein. Die aufstrebenden Glissandi und das markante Bläserthema mit dem lebhaften, sehr drängenden Hörnerruf sind sein unverwechselbares Kennzeichen. Wagner hatte es wenig später als Orchestervorspiel im dritten Akt seiner „Walküre“ eingesetzt, doch schon zu seinen Lebzeiten soll es als Zirkusmusik verwandt worden sein. Vielen bekannt ist es nicht nur aus Francis Coppolas Vietnam-Film „Apocalypse Now“ (1979), wo es zur dramatischen Untermalung der erschütternden Kampfhubschrauber-Szene und gleichzeitig zur psychologischen Kriegsführung genutzt wurde. „Vorbild“ könnten ihm Hitlers Wochenschauberichte gewesen sein, die gern genutzt wurden, die Kriegspropaganda zu unterstützen. 1941 untermalten sie zum Beispiel die „Unternehmen Merkur“ genannten Luftangriffe auf Kreta. Erinnert sei daran, dass bereits 1915 der Ku-Klux-Klan das marschartige Thema für seinen Rassenwahn einsetzte.

Das Konzert leitete der Erste Kapellmeister Takahiro Nagasaki. Er hatte sich offenbar intensiv auf das Thema vorbereitet, so dass er den ersten Teil frei dirigieren konnte. Auch inhaltlich unterstützte sein temperamentvoller Ansporn die Aussage der verschieden genutzten Musiken. Vieles wird trotz der engagierten Interpretation durch ihn und durch das blendend mitgehende Orchester dennoch im Hintergrund geblieben sein. Nicht jeder wird im Voraus die einführenden Artikel im Programmheft gelesen oder sich anderseits informiert haben, so dass allein die Musik wirken konnte. Vielleicht hätten ein paar Standbilder der einen oder dem anderen geholfen, sich an den Film zu erinnern.

Aus der „Gayaneh Suite“, einer Zusammenstellung von einzelnen Stücken der abendfüllenden Ballettmusik von Aram Chatschaturjan (1902-1978), wird wohl jeder schon einmal den „Säbeltanz“ gehört haben. Nicht nur bei Comics wird er gern verwandt, Streit und Verfolgung zu malen. Der politische Anspruch des Gesamtwerkes konnte dadurch kaum zum Tragen kommen, auch der einzelner Tänze nicht, die in anderen Filme genutzt wurden. Dass Takahiro Nagasaki das Publikum mit seiner impulsiven und tänzerischen Interpretation durch Tempo und flächige Lautstärke dennoch mitreißen konnte, bestätigte der Applaus nach jedem Satz.

Von seinem Landsmann Töru Takemitsu (1930-1996) hatte Takahiro drei sehr charaktervolle Partituren ausgewählt. Nicht nur dadurch stachen sie hervor, dass sie allein für die Streicher des Orchesters bestimmt waren, sondern auch dadurch, dass schon die Titel hier genügten, inhaltliche Bezüge zu den Filmen herzustellen. Der erste Teil (1959) mit Jazz-Bezügen dokumentierte ein Boxtraining, der zweite (1989) erinnerte sehr sensibel an die Atom-Katastrophe in Hiroshima und der dritte (1966), darin ein Violoncello-Solo, spiegelt den Verlust der eigenen Identität nach einem Unfall.

Der Walzer, das zweite Stück aus Dmitri Schostakowitschs (1906-1975) „Suite für Varieté-Orchester“, fälschlich oft „Jazz-Suite“ genannt, beschloss den ersten Teil. Der Komponist ist dem Publikum durch seine sinfonischen Werke gut bekannt, dass auch eine ganze Reihe von Filmmusiken sein Werkregister füllen, dürfte weniger bekannt sein. Dieser Walzer Nr. 2 wird oft in Konzerten aufgeführt, weil sein leicht melancholisches Flair ihn zu einem idealen Zugabenstück macht.

Im zweiten Teil ging es nur um die, die direkt für Filme komponierten. Hier waren die Bezüge durchschaubarer, wie etwa in dem „James Bond Medley“, zu dem John Barry (1933-2011) und Paul (*1941) und Linda (1941-1998) McCartney beitrugen. So manches klang heraus wie der Auftakt für alle Filme, die akustische Glorifizierung von James Bond, den Superkommissaren, bis hin zu Bekanntem wie „All time high“ aus „Octopussy“.

Es folgten drei Stücke mit Solisten. Zunächst hatte das Orchester für Henry Mancinis (1924-1994) „Moon River“ aus „Breakfast at Tiffany’s“ den japanischen Saxophonisten Hiroaki Taewook Ahn engagiert und dann für Joe Hisaishis (*1950) „One summer’s day“ aus dem japanischen Zeichentrickfilm „Chihiros Reise ins Zauberland“ den Pianisten Stefan Veskovic, Dozent an der Musikhochschule. Das Hauptthema in Steven Spielbergs Holocaust-Drama „Schindlers Liste“, komponiert von John Williams (*1950), übernahm der immer wieder beeindruckende Carlos Johnson, der Konzertmeister des Orchesters.

Ganz grandios erklang dann zum finalen, sich in mehrfachen Wellen aufbäumenden fff-Ende noch einmal John Williams, jetzt mit der „Star Wars Suite“, für deren Schluss Takahiro Nagasaki seinen Dirigierstab angemessen durch ein Lichtschwert ersetzte. Die Zugabe hatte er schon vorweggenommen, eine eigene Bearbeitung, die er für das Soloklavier angefertigt hatte. Er wollte damit als Japaner ein „Gutes Gefühl“ schenken, als Dank dafür, dass ihm das in Lübeck mit Musik aus seiner Heimat ermöglicht wurde.


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