Isata Kanneh-Mason, Foto: (c) John Garve

SHMF 2021
Zwei Klavierkonzerte in a-Moll und „Über Schubert“ ein Podcast

Getrennt an zwei Abenden erklangen die Klavierkonzerte in a-Moll von Clara und Robert Schumann.

Lübeck: Preisträgerkonzert zum Leonard Bernstein Award (20. August 2021) präsentiert Clara Schumann

Das Preisträgerkonzert, traditionell in Lübecks MuK, wird wegen des berühmten Namenspatrons immer zum besonderen Höhepunkt, vereinigt allerlei Prominenz. Ministerpräsidenten sprechen, zurzeit Daniel Günter. Ein paar Statements zu ihren Fragen erlaubt die Moderierende, diesmal Jessica Schlage. Oliver Stolz, Präsident des Spenderverbands, und Christian Kuhnt, Intendant des SHMF, durften sie abgeben. Stolz (pardon, noch einmal, aber anders gemeint) waren sie alle auf das, was geleistet wurde. Relativ kurz lief das ab, zumal zwischendrin noch ein Vertreter der Bernstein-Familie begrüßt wurde. Auch das hat Tradition.

In diesem Jahr nominierte die Jury Isata Kanneh-Mason, eine 1996 geborene britische Pianistin aus sehr musikalischer Familie. Sechs jüngere Geschwister hat sie, alle spielen sie ein Instrument. Darunter ist ihr Bruder, der Cellist Sheku Kanneh-Mason. Mit Internetproduktionen hielten sie sich in der Krisenzeit erfolgreich in Form. Bekannt wurde Isata zudem im Oktober 2020, als Opus Klassik sie zur besten Nachwuchskünstlerin kürte.

Isata Kanneh-Mason, Foto: (c) John GarveIsata Kanneh-Mason, Foto: (c) John Garve

Ihr liegt das Werk von Robert Schumanns späterer Ehefrau Clara Wieck besonders am Herzen. So wählte sie für den Abend deren einziges Konzert in a-Moll, op. 7, dem sie sich mit Leidenschaft widmete. Bei jedem Hören überrascht die erstaunliche Komposition einer nicht einmal 16-Jährigen von neuem. Dennoch wird sie sehr selten gespielt. Aber das Eintreten von Isata Kanneh-Mason zusammen mit dem Festival Orchester könnte das ändern. Sie bewiesen jedenfalls, was für eine Kraft in diesem Werk steckt, was für eine Faszination von ihm ausgeht.

Christoph Eschenbach hatte es vorbereitet, dirigierte auch. Nach einer Orchestereinleitung im Allegro maestoso und von recht romantischem Gestus setzte das Klavier mit rauschenden Oktavgängen ein. Welch ein technischer Anspruch war das, den die Komponistin in so jungen Jahren erfüllte, als sie das Werk unter Felix Mendelssohn-Bartholdy uraufführte. Welch technischen und musikalischen Anspruch fordert das Werk auch heute noch ab. Beides erfüllte die Preisträgerin, scheinbar spielerisch und doch mit Klangschönheit. Immerhin wird der Part als schwerer eingestuft als der von Robert Schumanns Konzert.

Brillant wie das Klavier muss auch das Orchester sich einsetzen. Zum Schluss des ersten Satzes wird das Cello herausgestellt, das dann im zweiten Satz einziger Partner des Klaviers wird. Raffiniert ist zum Schluss noch der Hauch von dunklen Paukenwirbeln hinzugefügt, womit die delikat klingende Romanze als ein kammermusikalischer Abschnitt ausklingt, bevor der letzte Satz mit allem Schwung hervorbricht. Diesen virtuos sehr anspruchsvollen Satz hatte Clara schon zwei Jahre vorher komponiert und sich dann von Robert Schumann bei der Orchestrierung helfen lassen, aber nur hier.

Isata Kanneh-Mason, Foto: (c) John GarveIsata Kanneh-Mason, Foto: (c) John GarveWie vielseitig die Geförderte ist, bewies ihre virtuose Zugabe, ein Gershwin-Stück, bevor dann im zweiten Teil Johannes Brahms e-Moll Sinfonie erklang, seine vierte. Die Programmgestaltung macht dem Kenner Freude, der weiß, welche tiefe Freundschaft Clara mit Brahms verband. Freude machte auch die Gestaltung der Sinfonie durch das junge Festivalorchester, von der großartigen Akustik der MuK unterstützt. Sie erlaubt alle Differenzierungen in Dynamik und in den Klangfarben, die angeblich die spröde Instrumentierung von Brahms haben soll. Der weite lyrische Beginn, die feinsinnig herausstellbaren Themen im ersten Satz, der Hornklang im zweiten, die Pizzicati, dennoch klangvoll, all das wurde möglich. Im dritten Satz dann lernte man wieder Eschenbachs Vorbereitung an subtiler Dynamik schätzen, von den jungen Instrumentalisten wunderbar ausgeführt und im Finalsatz eine großartige Differenzierung in den Variationsteilen.

Neumünster: Das Tonhalle-Orchester Zürich unter Paavo Järvi mit Robert Schumanns Klavierkonzert (19. August 2021)

Zufall oder bewusste Programmgestaltung? Am Vorabend zum Preisträgerkonzert konnte man Robert Schumanns Konzert hören, in der gleichen Tonart a-Moll wie bei Clara. Auch sein Werk wurde in zwei Etappen hergestellt, erst der erste Satz für sich, eine Fantasie, dann später die beiden folgenden, das Intermezzo mit dem gleich anschließenden Allegro vivace. Beide Versionen brachte Clara, nun als seine Ehefrau, am Piano zur erfolgreichen Uraufführung. Der Ablauf, bei beiden kein klassisches Konzertmuster, ähnelt sich daher. Nur das Klavier spielt eine andere Rolle. Bei Clara ist es der brillante Partner des Orchesters, während Roberts Klavierpart sich mit dem Orchester auf unnachahmliche Weise verschmilzt.

Eigentlich war Hélène Grimaud vorgesehen, mit diesem Konzert ihr Künstlerporträt abzugeben, aber wie schon im Juli musste sie auch im August alles absagen. Schnell hatte das SHMF für diese Aufgabe Jan Lisiecki gewonnen, der 2013 den Leonard Bernstein Award erhalten hatte. Sein Auftritt hatte allerdings nicht gleich gute Voraussetzungen, wie die, die beim Preisträgerkonzert in Lübeck gegeben waren. Sein Aufritt fand in Neumünster statt. Bei den 79 Spielorten, die das SHMF für sich erschlossen hat, sind nur ganz wenige für Sinfonisches geeignet. Einer davon ist ganz im Norden, in Flensburg, einer im ehemaligen Kieler Schloss. Eine wirklich hervorragende Akustik besitzt allerdings nur die MuK in Lübeck, es sei, man geht über die Landesgrenze hinaus und schmückt sich mit fremden Federn.

Jan Lisiecki, Foto: (c) Felix KönigJan Lisiecki, Foto: (c) Felix König

Inmitten des Landes wird in Neumünster in die Holstenhalle ausgewichen, wie auch für dieses Konzert. Eine Mehrzweckhalle ist sie, 1939 für Viehauktionen gebaut, in den Kriegstagen für Flugzeugmontage genutzt. Heute wechseln Landmaschinen-Ausstellungen mit Reitturnieren oder anderem Sport. Manchmal versuchte man es auch mit Kultur, ließ einst Yma Sumac, die Anden-Nachtigall, dort artistisch in vier Oktaven zwitschern oder Anja Silja in unverbrauchtem Teenie-Reiz ihr Publikum begeistern. In SHMF-Zeiten füllten Lang Lang, Martin Grubinger oder die Petersburger die Halle.

Die schwammige Akustik und ein sehr harter Flügel setzte dem Schumannschen Klavierkonzert arg zu. Die Klangverschmelzung wollte sich nicht einstellen, obwohl die Tonhallen-Musiker unter Paavo Järvis vitaler Leitung sich redlich mühten. Allerdings ging mancher verzweifelte Blick an die Decke. Und auch der Solist musste irritiert sein, wenn er Sforzati haben wollte und es Klumpen wurden oder das Trio im dritten Satz durch Echo-Wirkungen verschwamm. Er tat einem Leid, weil er mit dem Orchester nicht verschmolz, er immer vor ihm stand. Der Flügel wollte es anders. Selbst seine Zugabe berührte nicht: Schumanns „Träumerei“ aus den Kinderszenen.

Allein konnten die Züricher mit ein paar Abstrichen die Akustik besser austricksen. Es ist ein Orchester von unbändiger Spielfreude, vermochte Järvis temperamentvolle Tempovorstellung stets zu erfüllen. So erlebten die Zuhörer eine wunderbar gestimmte Achte von Schubert, die „Große“ in C-Dur, die damit die Reihe der Kompositionen von Schubert, die das SHMF in diesem Jahr in den Mittelpunkt gestellt hatte, eindrucksvoll ergänzte. Järvi freute sich, gab seine Freude über die Leistung des Orchesters beim Spiel schon weiter. Das wirkte auf die Musiker, denen ihr Spaß an der Präzision zunehmend anzusehen war. Und es wirkte auf die Zuhörer, die lange applaudierten und mit einem wunderbar zarten „Valse triste“ von Sibelius beschenkt wurden.

Komponisten-Retrospektive und ein Podcast „Über Schubert“

Ein Hinweis ist noch angebracht, der wirklich Interessierten eine neue Dimension eröffnet. Das Festival begleitet hat schon viele Jahre das Brahms-Institut, das der Musikhochschule angegliedert ist. Aus seinen Beständen hat es Jahr für Jahr zu den Schwerpunkten eine sorgsame Ausstellung erarbeitet, ergänzend auch ein Kolloquium durchgeführt. Corona verbat sich auch das.

Der Institutsleiter Prof. Dr. Wolfgang Sandberger, auch ein versierter Rundfunkmann, hat nun als Ersatz eine achtteilige Folge von etwa 25-minütigen Gesprächen mit Kollegen aufgenommen, Podcasts „Über Schubert“. Immer montags und vom SHMF veröffentlicht war Unbekanntes über seine Lieder, seine Kammermusik oder seine Sinfonien zu erfahren. Passgenau drei Tage vor dem Auftritt der Züricher hieß es „‚Himmlische Länge‘: Die große C-Dur-Sinfonie“. Hörenswert und bereichernd lässt das auch von weit her eine Teilnahme am SHMF zu.

Link zum Schubert-Podcast

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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