Fabia Mantwill, Foto: (c) Holger Kistenmacher

JazzBaltica 2021 am Freitag
Mit Höhen und Tiefen

Die JazzBaltica-Open-Air-Location im Strandpark Timmendorf ist sensationell, speziell wenn man seit gefühlten eineinhalb Jahren kein Konzert mehr erleben durfte.

Lauschig unter kühlenden Bäumen gelegen, bietet die große Bühne bei blauem Himmel und Sonnenschein dann auch gleich ein grandioses Auftakt-Konzert mit der jungen, aber überragend vielseitig talentierten Fabia Mantwill und ihrem vielköpfigen Orchestra. Die erst 28 jährige, in Chemnitz geborene Musikerin spielt nicht nur Saxophon, sondern ist auch noch Sängerin, Komponistin, Dirigentin und Arrangeurin in Personal-Union. Dabei hat sie ihre Werke aus Klassik, Jazz und Weltmusik hervorragend zusammengestellt, so dass die Zuhörer immer wieder voller Staunen und Begeisterung zu spontanem Applaus verführt werden.

Mal beginnen ihre Stücke, die alle vom neuen, im Mai erschienenen Album „EM.PERIENCE“ stammen, dezent klassisch mit Streichern und Harfe, während sprudelnde Jazzklänge unterschwellig den Teppich spannen, eine Geige zum Solo ansetzt, während der E-Gitarrist mit einem rockigen Einschlag eine völlig neue Richtung vorgibt. Danach wird es orientalisch, mit Suaheli-Gesang der Orchester-Leiterin und endet in groovenden Sounds.

Foto: (c) Holger KistenmacherFoto: (c) Holger Kistenmacher

Oder ein Gesangsstück mit seidenweicher Stimme wird von orchestralen Klängen von Streichern und Flöten unterlegt, während sich das Orchester zu einer Melange aus Jazz und Breitwand-Sound aufschwingt. Vor dem geistigen Auge tun sich Welten auf, wenn man sich die Film-Musik des Auftritts dazu vorstellt.

Überhaupt steht das ganze Album wie auch der Auftritt im Zeichen der Weltoffenheit und Reiselust seiner Komponistin. Fabia Mantwill ist in ihren jungen Jahren schon viel rumgekommen: einjähriger Aufenthalt in Indien, lange Reise auf dem afrikanischen Kontinent, bis hin ins verregnete Schottland oder in die französischsprachige Schweiz. So sind die Stücke „Sasa Indio Sasa“ und „Kumbukumbu“ von den weiten Savannen Namibias und Tansania inspiriert und werden natürlich in Suaheli gesungen.

Fabia Mantwill (links) und Nils Landgren (rechts), Foto: (c) Holger KistenmacherFabia Mantwill (links) und Nils Landgren (rechts), Foto: (c) Holger Kistenmacher

Zum Stück „Pjujeck“ bittet sie als Gast-Musiker den „alten Schweden“ Nils Landgren mit seiner roten Posaune auf die Bühne und stellt sich selbst bescheiden an den Rand der Bühne. Dabei hat sie es gar nicht nötig, ihr großartiges Können unter den Scheffel zu stellen, denn ihre vielschichtigen Arrangement fordern die wunderbaren Musiker zu immer weiteren Sound-Kulissen heraus. Ein großer Klang-Generator der Vielseitigkeit und Extra-Klasse. Diese Spielfreude und Neugierde auf neue, innovative Sounds machen das Besondere des Konzerts aus.

„Sasa Ndio Sasa“ stammt aus Westafrika und bedeutet „Im hier und Jetzt“, erklärt sie zu dem wunderschönen Stück, weil es vom Glück und der Freude am Leben spricht. Dann legt sie los in Suaheli, während Beat-Box-Rhythmen ihren Gesang verstärken. Sie sampelt und looped sich selbst und singt dann mehrstimmig, um ihre afrikanischen Inspirationen in europäischen Jazz zu übersetzen. Großartig und eine wunderbare Entdeckung.

Wolfgang Muthspiel, Foto: (c) Holger KistenmacherWolfgang Muthspiel, Foto: (c) Holger Kistenmacher

Nach der Umbau-Pause und einem erfrischenden Pils kommt dann das Wolfgang Muthspiel-Trio auf die Bühne, wobei die leicht gelangweilte und etwas trockene Ansage vom Chef Landgren doch irritiert. Denn eigentlich sind die drei Herren ausgewiesene Könner an ihren jeweiligen Gerätschaften. So spielt der österreichische Gitarrist sowohl an der akustischen, wie an der elektrischen Gitarre in der ersten Liga der Jazz-Gitarristen der Welt. Manche sahen in ihm bereits einen Nachfolger von Pat Metheney. Auch der Bassist Scott Collie und der Schlagzeuger Jorge Rossy waren schon beim Jazz-Baltica dabei.

Doch der Auftritt vom Freitag war sicherlich nicht ihr bester. Eher uninspiriert und langweilig plätscherte das Konzert vor sich hin, auch wenn alle drei bei ihren improvisierten Solos ihre eigentliche Klasse aufblitzen ließen. Lag es am kühler werdendem Wetter? Um mich rum nahm das allgemeine Gähnen zu, und einige Zuschauer verabschiedeten sich bereits im Laufe des Konzerts, auch wenn einige wenige Fans am Ende sogar eine Zugabe forderten. Ich persönlich fand den Auftritt wenig innovativ und experimental, sondern schlicht traditionell und hundertfach gehört. Selbst bei Titeln wie „Liebeslied“ aus der Drei-Groschen-Oper von Kurt Weill wollte der Funken nicht überspringen.

Jorge Rossy, Foto: (c) Holger KistenmacherJorge Rossy, Foto: (c) Holger Kistenmacher

Man möchte sich wie Schlagzeuger Rossy fast schon mit unter sein Drum-Set verkriechen. Der Höhepunkt im negativen Sinne war dann das allereinfachste Stück, das er jemals als Komponist geschaffen hat, wie Muthspiel ankündigte. Der Name „Hüttengriffe“ spricht Bände - schade eigentlich. Da wär mehr drin gewesen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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