Jan Garbarek, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Altmeister des Wohlklangs mit enormer Spielfreude und Improvisationswitz
Jan Garbarek und Band eröffnen JazzBaltica

„Garbarek ist wie guter Wein. Je älter er wird, desto besser wird er“, meinte mein Sitznachbar, ein polnischer Pianist, der extra aus Danzig angereist war, um das Jazz-Festival in Timmendorf zu besuchen.

Gerade war das bemerkenswerte Konzert vom norwegischen Ausnahme-Saxophonisten auf der Main-Stage im Konzertsaal des Maritim-Hotels mit einer letzten Zugabe zu Ende gegangen, und das Publikum feierte die vier Altmeister des Wohlklangs mit Standing Ovations.

Nils Landgren, Foto: Nicolaus Fischer BrüggemannNils Landgren, Foto: Nicolaus Fischer Brüggemann

Aber jetzt von Anfang an: Eigentlich wurde die JazzBaltica auf einer offenen Bühne mitten in Timmendorf mit einem Warm-Up vom Leiter des Festivals und Tausendsassa Nils Landgren (der Mann mit der roten Posaune) und der Big-Band des Ostsee-Gymnasiums eröffnet. Doch dann eilte das Publikum bereits zum Höhepunkt des Donnerstagabends in den Saal des Maritim-Hotels. Hier befindet sich neuerdings nach dem Rückzug aus Niendorf die Hauptbühne des heimeligen Jazz-Festivals an der blauen Ostsee. Vor ausverkauftem Haus im leider arg eng bestuhlten Festsaal gaben sich Jan Garbarek und seine langjährigen Begleiter: Rainer Brüninghaus am E-Piano und Steinway-Flügel, Trilok Gurtu an den Percussions und Yuri Daniel am E-Bass die Ehre.

Lange nicht gesehen, aber sofort an seinem sehr eigenen Klang wiedererkannt, beginnt der Norweger Jan Garbarek mit seinem singenden, melodischen Sopran-Saxophon das fabelhafte Konzert. Seit Anfang der siebziger Jahre hat der Katalysator der norwegischen Jazz-Szene mit seinem klaren, asketischen Saxophonton den europäischen Jazz mit geprägt. „Die menschliche Stimme ist mein Ideal“, betonte Garbarek im Interview, um seine sphärischen und lyrischen Melodielinien zu erklären, die ihn international berühmt gemacht haben. Es ist diese Orientierung am Gesang, die seinem Spiel einen völlig eigenen, unverwechselbaren Sound verleiht. „Die Utopie des unendlichen Atems und des natürlichen Wohlklangs treibt meine Musik an.“

Jan Garbarek, Foto: Nicolaus Fischer-BrüggemannJan Garbarek, Foto: Nicolaus Fischer-Brüggemann

Diese Sonderstellung seines Saxophonspiels hat ihm im Laufe der Jahre zu Zusammenarbeiten mit fast allen Größen des modernen Jazz wie Keith Jarret, Eberhard Weber, Manu Katché, Marilyn Mazur, Chick Corea, John McLaughlin oder dem Hillard Ensemble auf die Bühnen der Welt verholfen. Jetzt also Timmendorf. Die Band strotzt nur so vor Spiellaune und Improvisationswitz. Während Garbarek mit seinen weichen Saxophonlinien die Richtung vorgibt, wechselt Rainer Brüninghaus vom E-Piano an den Flügel und zurück.

Sein neuer Bassist, der Brasilianer Yuri Daniel lächelt verschmitzt, während er seine begleitenden Bassläufe zelebriert. Zusammen mit dem indischen Percussion-Magier Trilok Gurtu, der mit Sticks, Besen und Händen sein Schlagwerk-Sammelsurium bearbeitet, bilden sie den Rhythmus-Background, während Garbarek seinen Saxophon-Klangteppich ausbreitet. Die einzelnen Stücke variieren zwischen nordafrikanischer Zirkusmusik, indischen Ragas und nordeuropäischem Liedgut, das gut als Filmmusik dienen könnte. Multikulti-Weltmusik im besten Sinne.

Trilok Gurtu, Foto: Nicolaus Fischer-BrüggemannTrilok Gurtu, Foto: Nicolaus Fischer-Brüggemann

Daneben dürfen sich alle Musiker immer wieder mit beeindruckenden Soli als Könner ihrer Instrumente beweisen. Jeder lässt dem anderen Platz für extraordinäre Einzelauftritte, bevor sie wieder kongenial zusammentreffen. Da gibt es das lustige Zwiegespräch von Bass und Piano voller Witz und Dynamik von Brüninghaus und Daniel, gefolgt vom Solo von Trilok Gurtu. Zunächst lässt er seine Finger über die Tablas sausen, während er im irrwitzigen Tempo seine indischen Ragas singt. Dieser stark rhythmische Katakgesang, eine Art indischer Rap, begeistert das Publikum und steigert sich sogar noch, als Gurtu mit zwei Plastikröhren seine Gongs, Becken und sogar einen Wassereimer bearbeitet.

Wie eine menschliche Beatbox aus Schnalzen, Seufzern und Gezirpe wirbelt er mit allerlei Gedängel auf Deckeln und Gongs durch seine Percussion-Performance, bis sich fast seine Zunge überschlägt. Zur allgemeinen Publikumsbelustigung wird der volle Wassereimer bespielt, bis es spritzt und ihm fast der Gong ins Wasser fällt. Doch dann wird der Percussion-Virtuose von Garbarek mit schlichten Flötentönen wieder eingefangen, und weiter geht’s mit nordischer Sachlichkeit. Nach gut zwei Stunden ist dann Schluss, aber das beseelte Publikum will mehr und lockt die Musiker zu einer weiteren Zugabe auf die Bühne. Dass es den ganzen Abend keine Ansagen oder Reden der Musiker gegeben hat, ist anscheinend keinem so richtig aufgefallen. Garbarek und seine exzellenten Mitstreiter haben einfach ihre Instrumente sprechen lassen, und das war auch gut und wunderbar genug.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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